Landschaftsträume (erweitert)
Johann Baptist Marzohl, Robert Zünd, Ferdinand Hodler, Helmut Federle, Ugo Rondinone
In Landschaftsbildern formulieren Künstlerinnen und Künstler eine Beziehung zu ihrer Umgebung. Die Art und Weise, wie der landschaftliche Raum dargestellt ist, gibt einen Hinweis auf die Befindlichkeit des Individuums in der Welt.
In der Sammlung des neuen Kunstmuseums Luzern befindet sich ein umfangreiches Konvolut von etwa 350 Zeichnungen und Aquarellen des Johann Baptist Marzohl. Anfang des 19. Jahrhunderts war Johann Baptist Marzohl für viele Innerschweizer Künstler als Zeichen- und Mallehrer an der Luzerner Kunstschule eine wichtige Bezugsperson. Er war Lehrer von Johann Jakob Zelger, Robert Zünd und Jost Schiffmann. Zudem figuriert er zusammen mit Augustin Schmid und Jakob Schwegler 1819 als Initiator der Kunstgesellschaft Luzern. Obwohl gewisse Arbeiten auch von dokumentarischem Interesse sind, weisen sie über die Vedute hinaus.
Marzohls Aufmerksamkeit galt unspektaktulären Landschaftsausschnitten der näheren Umgebung Luzerns sowie Landschaftseindrücken aus Italien. Der paysage intime verpflichtet, richtet sich sein Blick auf Motive, die sich später in ähnlicher Weise auch bei Robert Zünd finden: Studien einzelner Bäume und Partien von Waldesinnerem. Hervorzuheben ist der ausgeprägte Farbensinn, der sich in romantisch unterlegten, atmosphärischen Landschaftsstimmungen äussern kann.
Robert Zünd sieht seine Welt aus der Nähe und registriert alle Details mit photographischer Genauigkeit – wenn seine Bilder auch alle Zeichen der Industrialisierung, der tiefgreifendsten Herausforderung seiner Zeit, ausschliessen, kehrt mit dem photographischen Charakter doch ein Symptom der Industrialisierung in die Malerei zurück, ohne dass Zünd selbst sich dessen wirklich bewusst wird. Seine Darstellungen beanspruchen grösstmögliche Ähnlichkeit zur gesehenen Landschaft, die Bilder öffnen den landschaftlichen Raum, als sei es möglich, sich in ihn hineinzubewegen, sie produzieren eine Illusion räumlicher Tiefe.
Ferdinand Hodler wendet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen den photographischen Anspruch. Was er malt, sind Konstruktionen, und das gilt sowohl für seine Landschaften als auch für seine symbolistischen Figurenbilder. Er entwirft Bilder der Welt, wie sie in seiner Sicht wirklich ist, nicht wie sie erscheint, und dabei würdigt er die fundamentalen Gegebenheiten des Bildes, vor allem anderen dessen reale Flachheit. Die bildliche Konstruktion lässt keine Illusion räumlicher Tiefe zu. Das Fenster, als das der Renaissance-Theoretiker Alberti das Gemälde versteht, beginnt, sich zu verschliessen. Hodlers Bilder schaffen eine eigene Realität, der Zugang zu einer «vorhandenen» Welt wird problematisch.
Helmut Federle malt gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Seine malerische Konzeption ist beispielhaft für das Ende einer Entwicklung, die Maler wie Hodler eingeleitet haben. Das Bild ist nun vollends zur undurchdringlichen Fläche geworden, der sich der Betrachter oder die Betrachterin in direkter körperlicher Begegnung gegenüber sieht.
Ugo Rondinone zeichnet auf grossen Blättern etwas, das aussieht wie Baumgruppen, das an Bäume denken lässt, offensichtlich jedoch auf keine direkte Anschauung der Natur zurückgeht. Rondinones Bilder werden als Landschaftsdarstellungen aufgefasst, da wir bereits wissen, was eine Landschaft ist. Sie beziehen sich auf einen Begriff, nicht aber auf eine Sicht. «Hinter» oder «neben» diesen Zeichnungen ist keine sichtbare Wirklichkeit zu finden. Sie tragen daher den Charakter der Simulation.