Mixing Memory and Desire
Wunsch und Erinnerung
Mit Francis Alÿs, Janet Cardiff, Edouard Castres, Annelise Coste, Felix Maria Diogg, Raoul De Keyser, Tacita Dean, Markus Döbeli, Marlene Dumas, Gérald, Douglas Gordon, Eberhard Havekost, Bethan Huws, Majida Khattari, Cees Krijnen, Marko Lehanka, Xavier Leroy, Brice Marden, Gianni Motti, Reinhard Mucha, Alexandre Périgot, Michelangelo Pistoletto, Charles Ray, Joseph Reinhart, Adrian Schiess, Gregor Schneider, Miri Segal, Smith/Stewart, Claudia Triozzi, Aldo Walker, Jeff Wall, James Welling, Franz West, Christopher Wool, Johann Melchior Wyrsch, Robert Zünd
Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung reflektiert in exemplarischer Weise die Heterogenität der gegenwärtigen künstlerischen Produktion. Der Titel der Ausstellung ist T. S. Eliots Gedicht The Wasteland (Das wüste Land) von 1922 entlehnt, einer hybriden Komposition von Bildern und Idiomen, dessen innerer Zusammenhalt sich der prismatischen Durchdringung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdankt, auch dem dramatischen Kontrapunkt von Mythos und Modernität, zyklischer und punktueller Zeit. Erinnerung und Wunsch, Gedächtnis und Begehren bezeichnen zwei Temporalitäten individueller Existenz, zwei psychische Dynamiken, die über das Sein des Individuums hier und jetzt hinausweisen. Mit den Erinnerungen (dem Gedächtnis) öffnet sich ein Raum, der nicht nur mein eigener, sondern überindividuell ist. Er ist Schauplatz einer lebendigen, erinnerten Vergangenheit, auf dem Biographie und kollektive Geschichte erscheinen.
Der Wunsch (das Begehren) wiederum übernimmt die Funktion eines existenziellen Piloten in jenem – strukturell unbestimmten – Areal namens Zukunft, dieser Wirklichkeit im Werden. Sie kann nur entstehen und bestehen unter der Bedingung, dass meine Wirklichkeit vom anderen anerkannt wird, und dass ich die Wirklichkeit des anderen anerkenne. Wunsch und Erinnerung, das meint die beiden Pole des Noch-nicht und des Nicht-mehr, zu denen das Pendel der Existenz ausschlägt. Eine Bewegung, die Raum schafft für die Verhandlung zwischen dem Noch-nicht und dem Nicht-mehr: Nicht die Erinnerung und der Wunsch sind betont, sondern auch ihre Koppelung, Überkreuzung, ihr Austausch, letztlich ihre wechselseitige Bedingtheit. Aus dieser Warte stellt sich die Heterogenität – als Ergebnis widersprüchlicher Auffassungen von Wirklichkeit, schwer vereinbarer Erinnerungen und Wünsche – nicht als Ausnahmezustand dar, sondern als notwendige und unausweichliche Bedingung, um sowohl die isolierte Innerlichkeit des Subjekts als auch die ideologischen Sammelidentitäten von Gemeinschaften, Gruppen oder institutionellen Verbänden zu vermeiden.
Schliesslich prägt Heterogenität die Ausstellung Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung nicht nur auf der Achse der Gleichzeitigkeit, sondern auch auf der Achse der geschichtlichen Folge. Beispiele geschichtlicher Kunst aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Werke von Edouard Castres, Felix Maria Diogg, Josef Reinhart, Johann Melchior Wyrsch, Robert Zünd werden punktuell unmittelbar mit Gegenwartskunst in Verbindung gebracht. Die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen, sondern wird mit perspektivischenVerschiebungen immer neu aktualisiert.
Den Beginn des Parcours durch die Ausstellung Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung markiert das photographische Panoramabild Restoration von Jeff Wall aus der Sammlung des Kunstmuseum Luzern. Es zeigt Restauratorinnen bei ihrer Arbeit am Luzerner Bourbaki-Panorama des Malers Edouard Castres: ein Werk aus dem Jahr 1993/94, das ein Werk des Jahres 1881 aufgreift. Es zeigt die gemalten Soldaten in der Winterlandschaft von Les Verrières gegenüber den mit ihrem Arbeitsgerät befassten jungen Restauratorinnen in der Photographie, im Museum das Bild eines anderen, früheren Raumes bildlicher Zurschaustellung. Der Arbeit von Jeff Wall sind Ölstudien des Edouard Castres gegenübergestellt, ebenfalls aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern.
Franz Wests Passstücke und Möbel sind Geräte, welche – gemäss Franz West analog zur neurotisierenden Beeinträchtigung der persönlichen Entwicklung durch ein frühes Trauma – dem Körper ihm fremde Haltungen aufzwingen. Die Models in Vanessa Beecrofts Performance stehen nackt und unbewegt, nichts als ihre kühle Schönheit verrät soziale Bestimmung. Alle Stücke von Douglas Gordon – es werden simultan 35 Video- und Filmarbeiten auf Monitoren gezeigt – greifen Formen der (psychiatrischen) Bemächtigung des Körpers auf und verstärken sie bis zur Schmerzhaftigkeit.
Smith/Stewart dekonstruieren überkommene Modelle der körperlichen und spezifisch geschlechtlichen Identität in Doppelprojektionen von Videos ihrer eigenen, in einer Art narzisstischem Chiasmus aufeinander bezogenen Körper. Die Malereien und Zeichnungen von Marlene Dumas exponieren Obszönität, das Daneben der Szene, welches den Blick zugleich anzieht und abweist. In der audio-visuellen Installation Playhouse von Janet Cardiff wird die Situation eines Konzertsaals mit Zeichen einer anderen, beunruhigende Realität infiltriert. Gregor Schneider besetzt die Räume, die geschaffen sind für den täglichen Aufenthalt, die Räume einer Wohnung, mit deren architekturaler Verdoppelung: eine Verschiebung, die Räume des Unheimlichen kreiert. Francis Alÿs durchstreift den Raum der Stadt und hinterlässt Spuren dieser Gänge im Raum des Museums.
In ihrem Film Sound Mirrors verbindet Tacita Dean monströse Militärarchitekturen der akustischen Überwachung aus den dreissiger Jahren, gleichzeitig Architekturen, die zu ihren Kindheitserinnerungen gehören, mit zeitgenössischen, jetzt, zur Zeit der Filmherstellung an diesem Ort aufzufindenden Geräuschen. Reinhard Muchas Vitrinen vollziehen eine Bewegung der Verdichtung: Sie reflektieren die Dispositive musealer Konservierung der Geschichte, sie fassen Momente seiner eigenen Biographie und der Geschichte seines Werkes, und sie entwerfen eine geschichtliche Topographie Deutschlands. In einer komplexen, vor Ort realisierten Installation bildet Marko Lehanka – mit Campingplatz und Gemäldeausstellung als Leitgedanken – Orte präzis inszenierter Befindlichkeiten und Assoziationen.
Die schriftliche Arbeit von Bethan Huws zur Identitätsthematik exponiert und kritisiert das Kommunikationspotential der Sprache. Die Zeichnungen von Annelise Coste sind voll von Bruchstücken der direkten Rede, welche die Berührung des anderen durch sprachliche und bildliche Zeichen in dem Masse einfrieren, in dem sie Kommunikation zu vermitteln scheinen. Miri Segals Video-Objekte stellen Kurzschlüsse her zwischen projiziertem Bild, Bildmedium und Betrachter.
In Architektur- und Personenbildern übernimmt Eberhard Havekost Gegebenheiten des elektronisch hergestellten Bildes in die Malerei, um einen Blick zu werfen nicht nur auf dessen Gegenstände, sondern auch auf die Besonderheiten dieses anderen, indirekt eingesetzten Mediums. Aldo Walkers Morphosyntaktisches Objekt ist eine Sequenz von konstruktiv, durch die Kombination vorgegebener zeichnerischer Einheiten hervorgebrachten Darstellungen, deren Wiedererkennbarkeit nicht die Abhängigkeit von einem Vorbild beeinhaltet. Michelangelo Pistolettos Immagine sind grossformatige Photographien von skulpturalen Objekten, die demnächst im Kunstmuseum Luzern ausgestellt werden.
Adrian Schiess überschreitet die Grenzen einer visuellen Bestimmung der Malerei und macht daraus eine körperliche Praxis, innerhalb derer die Körperlichkeit nur eines der verschiedenen Potentiale ist. Langsamkeit bestimmt die Wahrnehmung von Brice Mardens Malereien, deren Linienzüge die angrenzenden Felder aufnehmen und jene Differenzierung von Figur und Grund aufheben, die für die Darstellung fundamental ist. Raoul De Keysers Malerei ist damit beschäftigt, der Malerei ihren Grund durch Einfaltung des Bildgrundes in das Feld des Bildes zu entziehen. Markus Döbeli macht aus den materiellen Begrenzungen der Malerei deren Zeichnung oder vertauscht Vorder- und Rückseite des Gemäldes auf der Suche nach der Komplexität bildlicher Einheit, die überschreitet, was das Konzept der Darstellung zulässt.
James Wellings photographische Lightsources, Aufnahmen des industrialisierten Alltags einschliesslich dessen romantischen Gegenteils, werden zusammen mit der naturalistischen Malerei eines Robert Zünd aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeigt, die dicht umhüllende Waldstücke darstellt in einem geschichtlichen Moment, in dem die Wälder abgeholzt werden, um Eisenbahnschwellen zu produzieren. Angrenzend findet sich ein Saal mit Portraits des 18. und 19. Jahrhunderts, aufgespannt zwischen höfisch-repräsentativer (Johann Melchior Wyrsch) und bürgerlich-soziographischer Malerei (Joseph Reinhart, Felix Maria Diogg).
kuratiert von Ulrich Loock, unterstützt von Cornelia Dietschi und Daniel Kurjakovic