Jean Nouvel
Jean Nouvel ist einer der wichtigsten Architekten der Gegenwart. Mit seiner Agentur realisiert er Projekte in der ganzen Welt und ist dafür bereits mit vielen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet worden. In einem Vortrag vor einiger Zeit sagte er, die moderne Idee, Konstruktionen und Materialien in ihrer Wahrheit zu zeigen, habe sich erschöpft. Ein heutiger Architekt könne aber noch Neuland betreten, indem er Potentiale von Materialien und Konstruktionen bis zum äussersten ausschöpfe – gemäss den Wünschen, die im Verlauf der Projektentwicklung hervortreten. Jean Nouvel hat keinen Stil. Jeder Bau wird neu gedacht. Im Verlauf umfangreicher Reflexionen und Analysen, für die Nouvel sich auch der Kooperation ausserhalb der Architektur stehender Experten versichert, entwickelt er hoch spezifische Entwürfe, welche die besonderen – nicht nur räumlichen, sondern auch sozialen, politischen und geschichtlichen – Bedingungen des Ortes und der Aufgabe spiegeln, pointieren und entfalten. Wenn verschiedene Projekte nicht durch einen Stil miteinander verbunden sind, so doch durch gewisse Motive. Motive sind bei Nouvel allerdings keine verfügbaren Versatzstücke wie bei mancher postmodernen Architektur, sondern Materialisierungen von Denkfiguren. Fassaden werden häufig von aussen entworfen, als Bilder, die nicht unbedingt einen Schluss auf das Innen zulassen. Eindeutigkeit wird vermieden. Die Ansicht aus der Nähe kann der Fernsicht widersprechen. Eine Schicht überdeckt und verbirgt teilweise die andere. Raumgrenzen werden weder negiert noch fixiert, vielmehr der Greifbarkeit entzogen und in eine gewisse Vagheit überführt. Jean Nouvels Architektur ist eher visuell als körperhaft, eher eine Komposition von Bilder als von Volumen, kinematographisch.
Das KKL Luzern gehört zu den komplexesten Arbeiten von Jean Nouvel. Manche Motive seines architektonischen Diskurses sind hier entfaltet und weiterentwickelt worden, insbesondere Möglichkeiten der Bildlichkeit der Architektur. Auf mehreren Ebenen nimmt Nouvel architektonische Kadrierungen vor, die genau bestimmte Ansichten erzeugen: Der Bau selbst funktioniert als Bild – bei Bewegung des Betrachters oder der Betrachterin als Sequenz von Bildern –, und er funktioniert als Maschine zur Erzeugung von Bildern. Seine Ausstellung im neuen Kunstmuseum Luzern, gelegen im vierten Stock des Gebäudes, direkt unter dem Grossen Dach, geht von der Idee aus, die Bilder seiner Architektur in jene Räume, die Museumsräume, hereinzuziehen, die sich durch vollkommene visuelle Neutralität auszeichnen. Die Ausstellung exponiert den Bildervorrat dieses Architekten, sie gewährt einen Zugang zu seinem Imaginären. Gemäss verschiedenen Kategorien geordnet – Masse, Materie, Licht, Spiegelung, Repetition usw. – , in Sequenzen und Juxtapositionen, sind, auf die Wände des verdunkelten Museums projiziert, hunderte von Details seiner Bauten zu sehen. In einem Saal des Museums aber, einem Raum mit einem grossen Fenster, kommen auch konventionelle Medien der Darstellung von Architektur zum Tragen: Pläne, Photos und Modelle des KKL Luzern selber, seiner verschiedenen Entwicklungsstufen einschliesslich der nicht realisierten ersten Entwürfe.
Jean Nouvels Ausstellung im neuen Kunstmuseum Luzern gibt nicht nur einen umfassenden und komplexen Einblick in das Werk dieses Architekten, sondern ist auch das Modell einer Architekturausstellung, in der es mehr um das Imaginäre geht als die dokumentarische Ausbreitung von Tatsachen.