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Michelangelo Pistoletto
Fraktale

14.10.200011.03.2001
14.10.2000
11.03.2001

Der Ausstellungstitel verweist auf die Unterteilung von Michelangelo Pistolettos Oeuvre in eine grössere Anzahl von Bruchstücken, die zusammen doch kein Ganzes ergeben (der Prozess geht weiter). Er deutet aber auch an, dass alles in dieses Werk eingeht. Die Ausstellung ist keine Retrospektive (die Idee des Spiegels, die Pistolettos ganzes Werk bestimmt, lässt keinen einfachen Rückblick zu). Sie gewährt keinen Überblick, sondern bringt Werke verschiedener Zeiten in einen räumlichen Zusammenhang, in dem sie neue Beziehungen zueinander eingehen. Le gallerie Photos leerer Galerieräume, in denen Michelangelo Pistoletto ausgestellt hat, füllen einen Raum seiner jetzigen Ausstellung – in einer zukünftigen Ausstellung könnte ein Photo des Ausstellungsraumes hängen, wie er vor Hängung der Galeriephotos aussah.

Candele Riflessi sul muro Quadro di fili elettrici Arbeiten aus der Arte Povera-Zeit: Umgang mit den normalen Dingen, Eindringen der Alltäglichkeit in die Welt der Kunst. Tätige Bilder: sie leuchten, sie senden Reflexe aus, sie verzehren sich. Gegensätzliche Zeiten des Lichtes: Kerzenlicht / elektrisches Licht, gegensätzliche Präsenzen des Lichtes: ausgehend von einer Lichtquelle / wiedergegeben von einer Spiegelfläche. Divisione e moltiplicazione dello specchio Rilievo di taglio Der geteilte Spiegel, der, über Eck, mit sich selbst verspiegelt ist und dessen Schnitt dem Betrachter in der Mitte sein Bild entzieht (der blinde Fleck – man ist sich selbst sichtbar nur in der einen oder der anderen Hälfte des Spiegels, ausserhalb der Verspiegelung). Die dünnen weissen, mit Leinwand überzogenen Platten machen jenen Schnitt zu einer körperlichen Realität, sie schneiden den Raum (vgl. Fontanas Schnitte in die Leinwand).

Arte dello squallore Kunst des Abscheus und des Ekels: Grosse, dumpfe und unförmige Volumina ohne Inneres, Häute ohne Körper – die weissen Raumschnitte in sich selbst zurückgekrümmt und verdüstert, Verschliessung ohne Geheimnis. Urlo della lupa – eine Gasse aus hohen Wänden schwarzer Lautsprecherboxen, aus denen ohrenbetäubender Strassenlärm dröhnt: unentwirrbare, zum Geheul gesteigerte Mischung aller Geräusche menschlicher Lebensführung. Segno Arte Das Zeichen Kunst: Nicht alles ist Kunst, doch alle Objekte alltäglicher Praxis empfangen ihre Prägung durch das Zeichen der Kunst. Michelangelo Pistoletto sagt: «In der Kunst gibt es alles: das Brot, das Licht… Das ist meine bis zum Äussersten gehende öffentliche Erklärung der Autonomie der Kunst.» – seine neueste Arbeit.

Orchestra degli stracci Venere degli stracci Noch zwei Arbeiten aus der Arte Povera-Zeit. Die Lumpen sind farbig und armselig, zerrissene Kleidung, der die Körper fehlen, von ihren Rahmen abgespannte, auf den Boden gefallene und übereinander geschichtete Gemälde (vgl. Burris „Gemälde“ mit Sackleinen u. ä.), stummes Material, das seines Zu-etwas-gut entkleidet ist und die ungeahnte Schönheit seiner Farben enthüllt, seine Zartheit und Wärme. Mit den erhitzten Kesseln wird der Aggregatzustand des Wassers umgewandelt (neuerliche Umwandlung bei der Kondensation an den kalten Glasplatten). Die kalte, nackte Frau, Venus, Kopie einer antiken Statue, Repräsentanz der Geschichte, ihres Versprechens und ihrer Autorität, sinkt in den Haufen abgelegter Kleider. Mica Bildflächen, bedeckt mit perlmuttartigen Glimmer-Flocken: Aufsplitterung des Spiegels in tausende von Facetten, Rezeptor/Reflektor von allem Sichtbaren mit dem Effekt, dass es „nichts“ zu sehen gibt. Quadri specchianti Diese Arbeiten bezeichnen (fast) den Beginn von Michelangelo Pistolettos künstlerischer Praxis (ab 1962).

Im Raum des Spiegels begegnet der Betrachter, die Betrachterin mit seinem oder ihrem Bild (hier, jetzt) dem photographischen Bild einer anderen Person aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort oder sieht sich versetzt in die Gemeinschaft mit ebenso entfernten, aber doch präsenten Dingen. Ein Narzissmus, der umgewendet ist in eine virtuelle Beziehung zum anderen (keine Lösung aus der narzisstischen, letztlich todbringenden Verkoppelung des Selbst mit seinem Bild, aber doch Begegnung des Selbst-Bildes mit dem Bild des anderen). Der Blick in den Spiegel ist ein Blick nach vorn (in die Zukunft), mit dem aber Einblick genommen wird in den hinter dem Betrachter oder der Betrachterin liegenden Raum (Vergangenheit).

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