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Nils Nova
Manor-Kunstpreis 2002

23.02.02.06.2002
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23.02.
02.06.2002

Glück im Unglück: Nils Nova verdankt seine erst kurze, aber bislang recht steile Künstlerkarriere einer Rückenverletzung, die er sich einem Unfall zugezogen hatte, und die seiner beruflichen Laufbahn als Bootsbauer ein Ende setzte. Der Vorfall ermutigte ihn, 1998 in Luzern das Kunststudium aufzunehmen. Und dieser Entscheid schien voll und ganz seinen Neigungen und Begabungen zu entsprechen. Was folgte war 2001 der Studienabschluss, ein Vertrag mit dem Luzerner Galeristen Urs Meile, der ihn an die Kölner Messe mitnahm, Einladungen zur Teilnahme an verschiedenen Gruppen-ausstellungen, der Eidgenössische Preis für freie Kunst, der Manor-Kunstpreis 2002, und jetzt die mit letzterem verbundene Einzelausstellung im Kunstmuseum Luzern. Die erwähnte Rückenverletzung war nicht der erste Einschnitt in seinem Leben. Als Kind eines Salvadorianers und einer Luzernerin in El Salvador aufgewachsen, zog Nils im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern nach Europa. Die Familie Nova liess sich in Luzern nieder. Klimawechsel, Sprachwechsel, Kulturwechsel – ein Bruch sondergleichen, auch wenn Luzern immerhin in der katholischen Innerschweiz liegt. Der bikulturelle Erfahrungshintergrund prägt Novas Lebensart und bereichert sein künstlerisches Werk. Nova ist ein Geschichtenmensch und Bildermensch, sein Denken ist visuell, und wenn sich diese Eigenschaften mit der Erfahrung unserer westlichen, medial geprägten Lebenswelt paaren, dürfen wir auf spannende Resultate hoffen. Eine sprudelnde Ideenflut, ein grosser Ausdrucks- und Gestaltungswille sowie eine damit verbundene spielerische Leichtigkeit münden in ein auf den ersten Blick disparates Werk, das sich dank verschiedener gemeinsamer Interessen aber doch als kohärent erweist.

Nils Nova gehört einer Generation von Kunstschaffenden an, die sich nicht mehr an Diskussionen über die Tauglichkeit der Malerei aufreibt. Unbekümmert und virtuos jongliert Nova mit den Instru-menten fast sämtlicher heute zur Verfügung stehender Medien, undogmatisch spielt er mit unseren zeitgenössischen Wahrnehmungsmustern, mit den digital zersetzten Formen der bildlichen Vermitt-lung von Realität, mit den Oberflächen, auf denen sich die Bildillusionen abspielen. Dabei handelt es sich teilweise um die zentralen und klassischen Fragestellungen, die die Malerei seit je beschäftigt haben. Deshalb aber Novas Werk insgesamt als Malerei zu klassieren, wie das die Kritik und auch der Künstler selber zu tun neigten, scheint mir eine untaugliche Interpretationsgrundlage. Auch wenn jede Malerei ein gemachtes Bild ist, braucht nicht jedes gemachte Bild gleich Malerei zu sein. Die Ver-fahren der Schichtungen und Überlagerungen, wie sie Nova oft verwendet, auch in den Fotoarbeiten, trägt weniger zu einer Diskussion der Malerei als des Bildes in der medialen Gesellschaft bei. Es sind die Mechanismen, Strategien und Genealogien von Bildern generell, unabhängig vom Medium, die uns interessieren. Nils Nova macht sie sichtbar, indem er sie uns erfahren lässt.

Novas Kunst besteht darin, dass er seine Werke im Hinblick auf ihre Betrachtung konzipiert. Dabei kalkuliert er einen Zustand der Balance, der – abhängig von unserer Betrachterhaltung – auf die eine oder andere Seite kippen kann. An diesem Gemälde fasziniert uns die Identifizierung konkreter Gegenstände oder Raumperspektiven (führen die Perspektiven eigentlich ins Bild hinein oder aus dem Bild heraus?) solange, bis die Bildillusion durch die Dominanz der halbtransparent angelegten Farb-schichten, der abstrakten Formen, der Tropfspuren des flüssigen Farbauftrags verdrängt, das Bild seiner Referenz beraubt und als Artefakt entlarvt wird. Jene Fotografie zieht uns in ein Interieur, das wir sogleich als Filmkulisse identifizieren, umso mehr, als das Bild sich als Fotografie einer TV-Matt-scheibe zu erkennen gibt. Ich ergänze hier Lux Lindner, der in seinem Katalogtext darauf hinweist, dass wir ins Bild eintreten, weil wir im verglasten Rahmen der Fotografie unser eigenes Spiegelbild erkennen. Wir treten dadurch nicht nur ein, sondern wir werden durch unser Spiegelbild zugleich auch ausgeschlossen, ja gleichsam zurückgeworfen in unsere reale Betrachtersituation, die als Spiegelung das illusionistische Bild überlagert. Wir erkennen uns als Voyeur, das Bild als gerahmte Fotografie, als Objekt, als Artefakt. Des weiteren betonen diese Arbeiten die unendliche Vermittelbarkeit von Bildern, sie hintertreiben unsere Sehnsucht nach Authentizität: Wir sehen uns, wie wir eine Fotografie betrachten, die eine TV-Mattscheibe wiedergibt, auf der ein Film läuft, der ursprünglich auf Zelluloid gebannt war und mit Hilfe von Schauspielern in Kulissen das Drehbuch einer erfundenen Geschichte theatralisch umsetzt.

Auch in den Filmstripes-Fotografien zeigt Nova, indem er die Perforierung mit abbildet, woher die Bilder stammen. Hier handelt es sich um Abfall aus dem Kinoschneideraum, um Einzelbilder von im Verlauf von Vorführungen beschädigten oder der internen Zensur von Erotikfilmen zum Opfer gefal-lenen Sequenzen. In ihrer seriellen Anordnung suggerieren sie einen Zusammenhang, oft ergeben sich reizvolle Zusammenspiele, formal wie inhaltlich. Diese Parallelen – willkürlich oder motiviert? – sind auch Novas Thema einer Werkgruppe mit Porträtpaaren, die sich durch physiognomische Ähnlichkeit auszeichnen, beispielsweise Luis-Nils, der Gegenüberstellung einer Fotografie von Luis Buñuel und einem inszenierten Selbstbildnis des Künstlers. Durch die Gleichzeitigkeit der medialen Verbreitung und durch die universale Verfügbarkeit ist alles mit allem potentiell verknüpft.

Nils Nova verleiht seinen Werken Objektcharakter, nicht nur weil er die Spuren der Herkunft seiner Bilder nicht kaschiert, sondern auch indem er seine Arbeiten als Rauminstallationen konzipiert. Als Betrachter werden wir zum Teil des Werks. Das muss nicht neu sein für die Kunstgeschichte, hinge-gen sind sein Hang zum erzählerischen Fragment, sein spielerischer Zugang, sein feiner Witz höchst anregend und garantieren, solange die Werke die Balance halten, von der wir eingangs gesprochen haben, für einen wahrlich raffinierten Kunstgenuss.

kuratiert von Peter Fischer

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