Rémy Markowitsch, in Zusammenarbeit mit Michael Ming Hong Lin
Bibliotherapy meets Bouvard et Pécuchet, Robinson Crusoe and Der grüne Heinrich

01.02.27.04.2003
01.02.
27.04.2003

Bibliotherapy – ein Ausstellungs- und Publikationsprojekt – handelt vom Buch, vom Lesen und vom Gelesenen. Es oszilliert zwischen Kunst und Wissenschaft, Literatur und Therapie, Original und Kopie, Licht und Nahrung, Bonsai und Potato, zwischen Bouvard und Pécuchet, Markowitsch und Lin.

Rémy Markowitsch (*1957) wuchs in Zürich auf und arbeitete zunächst als Journalist und Fotograf in Luzern. Seit 1991 mit künstlerischen Arbeiten in Ausstellungen präsent, hat er dank seines gleichermassen komplexen und präzisen Schaffens in der Schweiz und international Beachtung und Anerkennung gefunden. Nach einem längeren Aufenthalt in Berlin ist er zur Zeit als Stipendiat der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr in London.

Unter dem Titel Bibliotherapy hat Markowitsch ein Kunstprojekt entwickelt, das sich mit der Tätigkeit des Lesens und dessen im weitesten Sinne therapeutischen Wirkungen beschäftigt. Für dieses Projekt macht er nicht nur den Akt des Lesens zum Gegenstand seiner Recherche, sondern auch das Bild des lesenden Interpreten, das sich dem Betrachter bietet, und die Frage, wie Zuhörer/-seher über das Gesagte hinaus emotional berührt werden. Markowitsch’s Interesse an der Reproduktion – seit 1991 beschäftigt er sich in seiner umfangreichen Fotoarbeit Nach der Natur mit fotografischen Bildern in Büchern – verlagert sich bei Bibliotherapy vom Visuellen, dem gedruckten Bild im Buch, zu einer Auseinandersetzung mit der Vermittlung des Textes selber. Dazu dient die Betrachtung der Reproduzierenden, das Porträtieren der Lesenden.

Bibliotherapy – erstmals im Winter 2001/02 in der Esslinger Villa Merkel mit Video-Lesungen von Gustave Flauberts Bouvard et Pécuchet realisiert – fand im Herbst 2002 mit einer Installation rund um die Video-Lesungen von Daniel Defoes Robinson Crusoe an der Liverpool Biennale eine Fortsetzung.Für die Luzerner Ausstellung realisierte Markowitsch den dritten und komplexesten Teil von Bibliotherapy. Er ist Gottfried Kellers Bildungsroman Der grüne Heinrich gewidmet und besteht – in formaler und inhaltlicher Analogie zu den vier Bänden dieses Werks – aus vier Leserkategorien: Markowitsch filmte eine grosse Anzahl von Jugendlichen, Künstlerkollegen in Berlin und in der Schweiz, meistens in ihren Ateliers, sowie beeindruckende Frauenpersönlichkeiten. Für den vierten Band schlüpfte der Künstler schliesslich selbst in die Rolle des Lesenden und trägt diesen weitgehend allein.

Die Zusammenführung von drei bedeutenden Werken der Weltliteratur, im Original abschnittweise gelesen von rund 260 Protagonisten, gipfelt in der Präsentation im grossen Ausstellungsraum des Kunstmuseums Luzern. In fünf Videoprojektionen und auf Monitoren verschränken sich geschriebene Sprache, gesprochene Sprache und Bildsprache. Die Installation erhält eine eigene Atmosphäre durch Markowitschs gigantische, leuchtende Skulptur „BonsaiPotato“, die als ruhender Pol den Raum dominiert, sowie durch eine nahezu flächendeckende, mit floralen Mustern bemalte Bodenarbeit von Michael Ming Hong Lin (*1964). Die Zusammenarbeit mit dem in Taiwan und Paris lebenden Künstler, der im neu eröffneten Museum für Gegenwartskunst Palais de Tokyo in Paris letztes Jahr mit einer grossen Installation Aufsehen erregte, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tradition von Künstler- und Männerfreundschaften interessant – eine Thematik, die auch die drei literarischen Werke verbindet.

kuratiert von Peter Fischer
Ausstellungskonzept von Rémy Markowitsch, in Zusammenarbeit mit Michael Ming Hong Lin

Die Ausstellung wird unterstützt durch Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr, Zug.
In Kooperation mit der Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen und der Henry Moore Foundation – Contemporary Projects.

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