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Werkbeschrieb
Das Bildnis des Schweizer Schriftstellers Carl Spitteler (1845–1924) malt Hodler im Jahr 1915, als die beiden Männer durch die Propaganda der beiden kriegführenden Nachbarn Frankreich und Deutschland sehr angefeindet werden. Der Schriftsteller und Biograf Hodlers, Carl Albert Loosli, hat den Kontakt zwischen den beiden hergestellt, da sie durch ihren persönlichen Einsatz in die ideologischen Auseinandersetzungen der kriegführenden Nachbarstaaten Frankreich und Deutschland hineingezogen worden waren und die Diskussionen um die neutrale Rolle der Schweiz sowie die Zerstörung von Kulturgut erweitert hatten.
Auslöser war im September 1914 Hodlers Unterschrift unter einen Aufruf Westschweizer Kulturschaffender gegen die Beschiessung der Kathedrale von Reims durch deutsche Artillerie. Der Künstler war anschliessend in Deutschlands Kunstszene als undankbarer Verräter beschimpft und in der Kunst- und Kulturszene weitgehend isoliert worden. Spitteler, der bereits mehrere Artikel über die Eigenständigkeit der Schweiz in einem von aggressivem Nationalismus geprägten Zeitalter veröffentlicht hatte, ergriff in der Folge Partei für Hodler und verteidigte ihn in einem Leserbrief im Luzerner Tagblatt vom 18.10.1914 gegenüber den vor allem in Deutschland erhobenen Vorwürfen, die Hodler in Verkehrung der Tatsachen „niedere Beweggründe“ unterstellten. Diese Vorgänge führten zu der persönlichen Begegnung, aus der die Idee zu einem Porträt entstand.
Wie die auf der Rückseite des Gemäldes angebrachte Widmung Hodlers verrät, ist das Gemälde ein Geschenk des Malers zum nahen 70. Geburtstag des Dichters am 24. April. Hodler malt mehrere vorbereitende Bildnisse in Öl auf Papier und Zeichnungen. Die Wahl eines querrechteckigen Formats ermöglicht es Hodler, das Brustbildnis trotz des unbestimmten Hintergrundes in räumlicher Anordnung zu zeigen, indem er auch den Lehnsessel und die rechte Hand des Dichters mit ins Bild setzt.
Die Darstellung des Dichters im Profil ist ein Bildtypus der bei Hodler selten vorkommt. Meist werden die Menschen in den Porträts frontal gezeigt. Im selben Jahr 1915 malt der Künstler auch mehrere Profilbildnisse des Generals Ulrich Wille. Der bärtige Mann blickt entspannt und ohne Regung in eine unbestimmte Ferne – eine Haltung, die eine Atmosphäre von Überzeitlichkeit verströmt und als künstlerischer Ausdruck einer Gegenposition zu den aktuellen Stürmen gesehen werden kann, die Porträtierenden und Porträtierten umgaben.
Matthias Fischer
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stadt Luzern, 1962 Schenkung Frau Spitteler
Eingangsjahr:1936
Ausstellungsgeschichte
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Ferdinand Hodler, Martigny, Fondation Pierre Gianadda, 13.06.1991 - 20.10.1991
Der vergessene Dichter Carl Spitteler (1845-1924), Luzern, Richard Wagner Museum, 11.06.2005 - 17.07.2005
Der Lesesaal. Werke aus der Sammlung von Hodler, Augusto und Giovanni Giacometti, Amiet, Vallotton, Markowitsch, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 06.05.2006 - 27.08.2006
Ferdinand Hodler 1853–1918, St. Gallen, Kunstmuseum St. Gallen, 14.11.1953 - 20.12.1953
Hodler. Amiet. Giacometti. Werke aus Innerschweizer Sammlungen, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 10.07.2010 - 10.10.2010
Ferdinand Hodler 1853–1918, Bern, Kunsthalle Bern, 09.05.1936 - 05.07.1936
Ferdinand Hodler, 1853–1918, Wien, Wiener Secession, 06.11.1962 - 06.01.1963
Ferdinand Hodler-Gedächtnisausstellung, veranstaltet zur Ehrung des Meisters bei Anlass der zwanzigsten Wiederkehr seines Todestages, Bern, Kunstmuseum Bern, 19.05.1938 - 26.06.1938
Hodler-Gedächtnis-Ausstellung, Bern, Kunstmuseum Bern, 20.08.1921 - 23.10.1921
Eröffnungsausstellung, Luzern, Kunsthaus Luzern, 10.12.1933 - 01.03.1934
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Ferdinand Hodler. Ausstellung zum 50. Todestag, Bern, Kunstmuseum Bern, 30.06.1968 - 18.08.1968
Ausstellung Ferdinand Hodler 1853–1918, Thun, Kunstsammlung der Stadt Thun im Thunerhof, 24.05.1953 - 30.08.1953
Art suisse au XXe siècle. Schweizer Kunst im 20. Jahrhundert. Arte svizzera nel XXo secolo, Lausanne, Musée cantonal des beaux-arts, 30.04.1964 - 25.10.1964
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Ferdinand Hodler, Amsterdam, Stedelijk Museum
Literatur
Bätschmann, Oskar/Brunner, Monika/Walter, Bernadette, Ferdinand Hodler. Catalogue raisonné der Gemälde. Band 2. Die Bildnisse, hrsg. vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, Zürich: Scheidegger und Spiess; Zürich: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, 2012
Loosli, Carl Albert, Hodlers Welt. Werke Band 7: Kunst und Politik, hrsg. von Fredi Lerch und Erwin Marti, Zürich: Rotpunktverlag, 2009
Genf, Musée d'art et d'histoire Genève (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler et Genève. Collection du Musée d'art et d'histoire Genève, mit Texten von Jura Brüschweiler (et al.), Genf: Musée d'art et d'histoire, 2005
Bühlmann, Karl, "175 Jahre Kunstgesellschaft Luzern.", in: Luzerner Neuste Nachrichten, Beilage, 23. Juni 1994, S. 1-7
Cincinnati, Cincinnati Art Museum/New York, National Academy of Design/Toronto, Art Gallery of Ontario/Hartford, Wadsworth Atheneum (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler. Views & Visions, hrsg. von Juerg Albrecht und Peter Fischer, mit Beiträgen von Jura Brüschweiler, Oskar Bätschmann und Sharon Hirsh, Zürich: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft; Washington: The Trust for Museum Exhibitions, 1994
Martigny, Fondation Pierre Gianadda (Ausst.-Kat.), Hodler, Katalog Jura Brüschweiler, Martigny: Fondation Pierre Gianadda, 1991
Stahel, Urs, "ART unterwegs", in: ART, Nr. 5, 1987, S. 123-136
Luzern, Stadt Luzern/Luzern, Kanton Luzern (Slg.-Kat.), Durchsicht. Aus dem Kunstbesitz von Kanton und Stadt Luzern, Luzern: Stadt Luzern, Kanton Luzern, 1983
Brüschweiler, Jura, "Ferdinand Hodler (Bern 1853-Genf 1918). Chronologische Übersicht: Biographie, Werk, Rezensionen", in: Berlin, Nationalgalerie Berlin/Paris, Musée du Petit Palais/Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst-Kat.), Ferdinand Hodler, mit Texten von Jura Brüschweiler (et al.), Zürich: Kunsthaus Zürich, 1983
Mühlestein, Hans/Schmidt, Georg, Ferdinand Hodler. Sein Leben und sein Werk, Zürich: Unionsverlag, 1983
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Paris, Musée du Petit Palais (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler 1853-1918, Katalog von Jura Brüschweiler und Guido Magnaguagno, mit Texten von Adeline Cacan de Bissy (et al.), Paris: Association française d'action artistique, 1983
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Spitteler, Carl, Prometheus der Dulder, Zürich: Artemis, 1945
Mühlestein, Hans/Schmidt, Georg, Ferdinand Hodler 1853-1918. Sein Leben und sein Werk, Erlenbach-Zürich: Rentsch, 1942
Müller, Werner Y., Die Kunst Ferdinand Hodlers. Gesamtdarstellung. Band 2. Reife und Spätwerk 1895-1918, Zürich: Rascher, 1941
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler-Gedächtnisausstellung, veranstaltet zur Ehrung des Meisters bei Anlass der zwanzigsten Wiederkehr seines Todestages, Bern: Kunstmuseum Bern, 1938