informationen
Werkbeschrieb
„Restoration“ ist im Sommer 1993 während Jeff Wall's Vorbereitung zu seiner Ausstellung im Kunstmusem Luzern entstanden. Es führt das Interesse des kanadischen Künstlers an der westeuropäischen Bildtradition auf faszinierende Weise vor Augen. Das Bourbaki-Panorama in Luzern, das in „Restoration“ den Bildhintergrund liefert, ist eines der wenigen heute noch existierenden Panoramen weltweit. Es wurde 1881 vom Genfer Maler Edouard Castres (1838-1902) und weiteren Malern, darunter auch Ferdinand Hodler, fertiggestellt und befindet sich seit 1889 in Luzern. Das Kriegsbild schildert die Aufnahme der Französischen Ostarmee nach verlorener Schlacht gegen die Deutschen durch die Eidgenossenschaft im Jahre 1871. 87’000 ausgehungerte Soldaten überquerten damals die Schweizer Grenze im Neuenburger und Waadtländer Jura und wurden von der Zivilbevölkerung und dem kurz davor gegründeten Schweizerischen Roten Kreuz aufgenommen. Es gilt als frühes Denkmal für die humanitäre und neutrale Politik der Schweiz. Die mehrjährigen Restaurierungsarbeiten konnten im Jahre 2004 fertiggestellt werden.
Die Faszination Jeff Walls für das Bourbaki-Panorama kann formal wie inhaltlich begründet werden. In einem Interview mit Martin Schwander von 1994 sagt er: „Die für mich interessante Spannung im Bild ist die zwischen der Flächigkeit der Photographie, die ich mache, und der realen Krümmung des Panorama-Raumes. Weil man sieht, wie das Bild sich biegt und dann aus dem Blick verschwindet, verstehe ich es als eine Art Veranschaulichung des Wesens eines jeden Bildes, das die Illusion von Volumen und gekrümmtem Raum auf eine ebene Fläche projiziert. Bei der Arbeit an dem Bild hat mich besonders interessiert, dass man sieht, wie das Panorama dem Blick entflieht, die Vorstellung, dass es in jedem Bild etwas gibt, ganz gleich wie gut es gestaltet sein mag, das sich dem Gezeigt-Werden entzieht. Ich war schon immer daran interessiert.“
Die Beschäftigung mit dieser prinzipiellen Nicht-Darstellbarkeit einer Sache, d.h. die Unmöglichkeit zur Reproduktion in einem anderen Medium wie der Fotografie, wird bei vielen Werken zum eigentlichen Spannungselement. In „Restoration“ werden 180° des Panoramas auf einen zweidimensionalen Bildfries gebannt. Dies bewirkt unweigerlich eine enge Staffelung und Konzentration der Bildelemente, die durch die Einnahme der horizontalen Augenhöhe durch den Fotografen noch verstärkt wird. Zentrale Kompositionselemente sind die je zwei Restauratorinnen auf den Baugerüsten und die Frau mit dem weissen Kittel auf der Aussichtsplattform. Entgegen vieler Werke Walls, in denen Schauspieler eingesetzt werden, handelt es sich hier um genau jene Restauratorinnen, die auch effektiv am Panorama gearbeitet haben. Sie sind alle auf einer unterschiedlichen Bildtiefe angeordnet. Das einzige zufällige Moment im Bild sind die kaum sichtbaren Besucher des Panoramas im Hintergrund.
Die beiden Restauratorinnen im rechten Bildvordergrund führen eine Tätigkeit aus, die an sich nur an Ölgemälden vorgenommen wird, die transportiert werden, nämlich das Festigen von losen Gemäldepartien zu Sicherungszwecken. Jeff Wall unterstreicht damit die Tätigkeit der Restauratorinnen, die er als immens und ermüdend bezeichnet. Darin liegt für ihn auch eine Ironie begründet, die sich in einer „Bildhaftigkeit“ zeigt, die sich in der Konfrontation zwischen den jungen Frauen und dem Monumentalgemälde auftut. Die Restauratorinnen erhalten ein Panoramagemälde, das innerhalb einer patriarchalischen Tradition steht, „mit der sie womöglich in anderen Bereichen ihres Lebens in Konflikt stehen. Eine junge Frau in einen solchen Zusammenhang zu stellen, ist in meinen Augen etwas sehr Bildhaftes.“
Susanne Neubauer
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Bestehen der KGL, 1994
Eingangsjahr:1994
Ausstellungsgeschichte
Jeff Wall, London, Whitechapel Art Gallery, 10.03.1996 - 05.05.1996
Jeff Wall. Photographs 1978-2004, Basel, Schaulager, 30.04.2005 - 02.10.2005
Ghost Story. Nachbilder des Kinos, Wien, Künstlerhaus, 28.08.1998 - 27.09.1998
Biennial Exhibition, New York, Whitney Museum of American Art, 23.03.1995 - 04.06.1995
Jeff Wall, Chicago, Museum of Contemporary Art, 17.06.1995 - 20.08.1995
Jeff Wall, Washington D. C, The Hirschhorn Museum and Sculpture Garden, 12.02.1997 - 11.05.1997
Jeff Wall. Transit, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Galerie Neue Meister, 20.06.2010 - 19.09.2010
Jeff Wall, Düsseldorf, Kunsthalle Düsseldorf, 07.05.1994 - 19.06.1994
PROSPECT/RETROSPECT. Zeitgenössische Kunst aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.10.1994 - 27.11.1994
Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.06.2000 - 24.09.2000
Jeff Wall - Space and Vision, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus, 23.10.1996 - 12.01.1997
Jeff Wall, Helsinki, Kiasma - Museum of Contemporary Art, 05.01.1996 - 18.02.1996
The Museum as Muse: Artists Reflect, New York, The Museum of Modern Art, 14.03.1999 - 01.06.1999
Jeff Wall, Wolfsburg, Kunstmuseum, 24.05.1996 - 25.08.1996
Jeff Wall, Los Angeles, The Museum of Contemporary Art, 13.07.1997 - 05.10.1997
Jeff Wall, Mito, Art Tower Mito, 13.12.1997 - 22.03.1998
The Epic & the Everyday: Contemporary Photographic Art, London, The South Bank Centre, Hayward Gallery, 23.06.1994 - 29.08.1994
Jeff Wall, Paris, Musée du Jeu de Paume, 10.10.1995 - 26.11.1995
Literatur
Laurence Madeline et Jean-Roch Bouiller,, J'aime les panoramas, Flammarion Verlag, Paris 2015
Malfroy, Sylvain, "Atmosphère. Quand espace et émotion ne font qu'un", in: Faces. Journal d'architecture, Nr. 67, Frühling 2010, S. 4-10
Lister, Martin/Dovey, Jon/Giddings, Seth/Grant, Iain/Kelly, Kieran, Nowe Media. Wprowadzenie, Krakow 2009, 2. Aufl.
Lister, Martin/Dovey, Jon/Giddings, Seth/Grant Iain/Kelly, Kieran, New Media. A critical Introduction, Abingdon, Oxon: Routledge; New York: Routledge, 2009
Basel, Schaulager/London, Tate Modern (Ausst.-Kat.), Jeff Wall. Catalogue Raisonné 1978-2004, hrsg. von Theodora Vischer und Heidi Naef, Basel: Schaulager; Göttingen: Steidl Verlag, 2005
Oberholzer, Niklaus, "Jeff Walls leuchtende Bilder des Alltags", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 101, 2.5.2005, S. 10
Schmidt-Wulffen, Stephan, "Die Distanz zum Friedhof. Über das Unheimliche bei Jeff Wall", in: Frame. The State of the Art, Nr. 15, Nov/Dez, 2005, S. 26-33
Mack, Gerhard, "Hund und Henne in einem Slum", in: Art. Das Kunstmagazin, Nr. 6, Juni 2005, S. 84-85
Pictures of Architecture - Architecture of Pictures. A Conversation between Jacques Herzog and Jeff Wall moderated by Philip Ursprung, Basel, November 4th, 2003, hrsg. von Cristina Bechtler in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Bregenz, Küsnacht: Inktree/Bregenz: Kunsthaus Bregenz, 2004
Wien, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Ausst.-Kat.), Jeff Wall, Photographs, Wien: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 2003
Buchart, Dieter, "Jeff Wall 'Photographs'", in: Kunstforum International, Nr. 165, Juni-Juli 2003, S. 342-344
Perl, Jed, Eyewitness. Reports from an Art World in Crisis, New York: Basic, 2000
Lowry, Joanna, "History, Allegory, Technologies of Vision", in: History Painting Reassessed, hrsg. von David Green und Peter Seddon, London/New York, 2000, S. 97-103
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Mixing Memory and Desire - Wunsch und Erinnerung, hrsg. von Daniel Kurjakovic, mit Texten von Daniel Kurjakovic, Ulrich Look und Ivetta Geraimchuk, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 2000
The Museum as Muse: Artists Reflect, New York, The Museum of Modern Art (Ausst.-Kat.) New York: The Museum of Modern Art 1999
Montréal, Musée d'art contemporain de Montréal (Ausst.-Kat.), Jeff Wall: Oeuvres 1990-1998, Montréal: Musée d'art contemporain de Montréal, 1999
Jocks, Heinz-Norbert, "Jeff Wall: Judd plus Flavin plus ein Foto: Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks", in: Kunstforum International, Nr. 144, März-April 1999, S. 230-245
Rochlitz, Rainer, L'art au banc d'essai.Ésthétique et critique, 1998