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Werkbeschrieb
Die konkrete Kunst entfernt sich nach Möglichkeit von der sichtbaren Welt, um dem Bild jegliche Abhängigkeit von allen sichtbaren Vorgaben zu nehmen. Dieses Bestreben war im Übrigen (schon bei Theo van Doesburg) der Grund, weshalb der Begriff „abstrakt“ abgelehnt wurde. Das abstrakte Bild, so wurde argumentiert, ist insofern von der ausserbildlichen Welt abhängig, als in ihm von dieser Welt abstrahiert wird. Die abstrakten Bilder erschienen in dieser Argumentation immerhin noch von der Natur abgezogen (abstrahere = abziehen). Demgegenüber strebten die Konkreten eine Malerei an, durch die sich die Welt im Bild selbst verdichtet (concrescere = zusammenwachsen).
In ihrer konsequenten Haltung stellt die konkrete Malerei das Wesen des Bildes in Frage. Sobald Malerei keine Beziehung zur Welt unterhält und nur noch sich selbst zeigt, hört sie auf, Bilder hervorzubringen, wenn nicht verneint werden soll, dass ein Bild immer das Bild von etwas ist. Mit der konkreten Malerei ist die Illusionismuskritik, die das Verschwinden des Bildes in der perfekten Illusion bekämpft hatte, in einer Zirkelbewegung am gleichen Punkt angekommen, von dem sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgebrochen war. Eugen Gomringer hat diesen Sachverhalt beschrieben, indem er – mit einem Rückgriff auf eine Unterteilung des deutschen Philosophen Immanuel Kant – darauf hinwies, dass die konkrete Kunst das Kunstschöne unabhängig vom Naturschönen suche. Schönheit und Ausstrahlung von Werken der konkreten Kunst bleiben von diesen kunsttheoretischen Einwänden weitgehend unbeeinträchtigt.
Eugen Gomringer verdanken wir auch den Hinweis auf die Bedeutung des Begriffs der „Relation“ für die Malerei von Camille Graeser. Der Stellenwert dieses Begriffs kann ohne weiteres auf die gesamte konkrete Malerei ausgeweitet werden. Durch den Aufbau von Beziehungen oder Relationen unter den einzelnen Teilen des Bildes unterscheidet sich die konkrete Malerei von der zeitgleichen ungegenständlichen Malerei Amerikas, die sich durch ihr non-relational, das Durchkreuzen von Beziehungen (Jackson Pollock) oder das Sprengen von Zusammenhängen (Barnett Newman) von den europäischen Tradition, vor allem von Piet Mondrian, absetzen will. Vor diesem Hintergrund erhält das Werk „Kühle Relation/ Konversion“ seinen besonderen Stellenwert.
Der Titel, der bei einem konkreten Bild dem Werk immer nachgeordnet sein muss, weil er im strengen Sinn von sich auf nichts bedeuten darf, kann gleichwohl einen ersten Hinweis auf den Bau des Bildes liefern. Das Adjektiv „kühl“ bezeichnet ohne Zweifel die Zusammenstellung der Farben Blau, Grün, Schwarz, Weiss und Grau. Zur Erläuterung der „Konversion“ gilt es zunächst, den allgemeinen Aufbau des Bildes zu beschreiben. Das Bild ist in vier gleich breite waagrechte Streifen unterteilt, deren zwei untere noch einmal je halbiert werden, während drei senkrechte Linien den obersten Streifen in vier Quadrate teilen. Die Mittellinie bildet eine Horizont- und Symmetrielinie. Über diese Symmetrieachse erfolgt die Konversion des grünen und des blauen Balkens in zwei blaue und zwei grüne Quadrate, die für sich genommen und zusammengerechnet wieder dieselbe Fläche bedecken wie die bei den ersten Balken. Zwei übereinander liegende Balken haben sich auf diese Weise in vier nebeneinander stehende Quadrate verwandelt.
Für die zweite Verwandlung, die wiederum über eine Spiegelung an der Horizontlinie vorgenommen wird, wählt Graeser ein anderes Vorgehen. Der schwarze und der weisse Balken werden konvertiert, indem die beiden zu einem Streifen zusammengelegt werden, der die zwei Farben in gleichen Anteilen enthält. Diese einfache Gliederung der Bildfläche erzeugt – gerade auch im Zusammenhang mit der beschriebenen Gesetzmässigkeit und den kühlen Farben – die klassisch schlichte Wirkung des Bildes. Die Gruppe der Streifenbilder dominiert im Schaffen von Camille Graeser die 1960er Jahre, teilweise mit gleichem, teilweise mit verändertem Flächenaufbau. Aus dieser Serie gehen dann jene Arbeiten mit dem herausgedrehten einzelnen Quadrat hervor, die das Spätwerk von Graeser kennzeichnen. Beide Serien bilden unzweifelhaft den Hauptbeitrag Graesers an die konkrete Malerei. Das Werk „Kühle Relation/Konversion“ selbst nimmt, nicht zuletzt auch durch seinen Verzicht auf den mit Primärfarben arbeitenden Kontrast, im Œuvre von Camille Graeser eine herausragende Stellung ein.
Hans-Peter Wittwer (leicht redigierter Text von 1993)
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Gottfried Keller-Stiftung, Bern
Eingangsjahr:1991
Ausstellungsgeschichte
Farbgeometrien aus der Sammlung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.2001 - 10.03.2002
Hommage an Viktor Lüthy (1924–1998), Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.08.2004 - 26.09.2004
Schweizer Kunst 1900-1990 aus Schweizer Museen und öffentlichen Sammlungen, Zug, Kunsthaus Zug, 26.05.1990 - 05.08.1990
Gekauft, geliehen und geschenkt. Aus der Sammlung der Bernhard-Eglin-Stiftung im Kunstmuseum Luzern, Zürich, Haus für konstruktive und konkrete Kunst, 17.01.1992 - 01.03.1992
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Camille Graeser, Zürich, Gimpel & Hanover, 31.08.1968 - 05.10.1968
Camille Graeser, Zürich, Kunsthaus Zürich, 09.02.1979 - 25.03.1979
Camille Graeser: Werkschau aus Anlass der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Zürich, Zürich, Kunsthaus Zürich
60 Jahre Bernhard Eglin-Stiftung. Sammlungsbilanz II: Erwerbungen und Schenkungen, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 16.10.1993 - 28.11.1993
Camille Graeser, Kiel, Kunsthalle zu Kiel, 28.03.1993 - 09.05.1993
Camille Graeser, Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum
Camille Graeser, Bottrop, Moderne Galerie Quadrat
Accrochage, Zürich, Gimpel & Hanover
Camille Graeser: Gemälde, Zeichnungen, Düsseldorf, Kunstmuseum Düsseldorf, 07.11.1976 - 31.12.1976
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Camille Graeser / Friedrich Vordemberge-Gildewart, Basel, Kunsthalle Basel, 18.03.1967 - 23.04.1967
Camille Graeser, Zürich, Gimpel & Hanover, 26.02.1972 - 25.03.1972
Camille Graeser, Stuttgart, Galerie der Stadt Stuttgart, 01.12.1992 - 31.01.1993
Literatur
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Koella, Rudolf, Camille Graeser. Bilder, Reliefs und Plastiken, mit einem Text von Eugen Gomringer, Zürich: Offizin Verlag, 1995 (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft. Oeuvrekatalog Schweizer Künstler 15)
Gottfried Keller-Stiftung, Bericht über die Tätigkeit der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung 1989 bis 1992, Winterthur: Verlag der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung, 1993
Winterthur, Kunstmuseum Winterthur (Ausst.-Kat.), Camille Graeser, mit einem Beitrag von Rudolf Koella, Zürich: Camille Graeser-Stiftung, 1992
Haupenthal, Uwe, "Camille Graeser zum 100. Geburtstag", in: Weltkunst, Nr. 8, 1992, S. 1032-1033
Zürich, Haus für konstruktive und konkrete Kunst, Gekauft, geliehen und geschenkt. Aus der Bernhard-Eglin-Stiftung im Kunstmuseum Luzern, Zürich: Haus für konstruktive und konkrete Kunst, 1992
Padowski, Stefan, Camille Graeser. Druckgraphik und Multiples. Werkverzeichnis Band 2, mit einem Text von Willy Rotzler, Zürich: Camille Graeser-Stiftung, 1990
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungsbilanz 11 Jahre - 1117 Werke - 211 Künstler und Künstlerinnen, Ergänzungsband 2 zum Sammlungskatalog, hrsg. von Martin Kunz, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1989
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Ergänzungsband zum Sammlungskatalog der Gemälde, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1984
Bottrop, Moderne Galerie Quadrat/Hannover, Kunstmuseum Hannover (Ausst.-Kat.), Camille Graeser, Bottrop, Moderne Galerie Quadrat; Hannover, Kunstmuseum Hannover, 1981
Zürich, Kunsthaus Zürich/Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum (Ausst.-Kat.), Camille Graeser, Zürich: Kunsthaus Zürich; Ludwigshafen: Wilhelm-Hack-Museum, 1979
Münster, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte/Düsseldorf, Kunstmuseum Düsseldorf (Ausst.-Kat.), Camille Graeser: Gemälde, Zeichnungen, mit einem Text von Friedrich W. Heckmanns, Münster: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte; Düsseldorf: Kunstmuseum Düsseldorf, 1976
Aarau, Aargauer Kunsthaus (Ausst.-Kat.), Haben und nicht haben, Aarau: Aargauer Kunsthaus, 1974
Zürich, Gimpel & Hanover (Ausst.-Kat.), Camille Graeser, Zürich: Gimpel & Hanover, 1972
Zürich, Gimpel & Hanover (Ausst.-Kat.), Camille Graeser, Zürich: Gimpel & Hanover, 1968
Basel, Kunsthalle Basel (Ausst.-Kat.), Camille Graeser / Friedrich Vordemberge-Gildewart, mit Beiträgen von Arnold Rüdlinger, Willy Rotzler und Richard Paul Lohse, Basel: Kunsthalle Basel, 1967