„Bitte lächeln“ ist die Aufforderung bei einem Fotoshooting. Auf diesen Satz scheint der Titel dieser Edition Bezug zu nehmen. Es sind acht Porträts von acht verschiedenen Typen, die eines gemeinsam haben: es ist immer der Künstler selbst in je verschiedenen Posen und Rollen und nie hat er der Aufforderung zu lachen stattgegeben. Kein Werk kann exemplarischer den mit Lüthi unmittelbar verbundenen Terminus des „Transformes“ ausdrücken. Programmatisch zeigt es den damaligen zeitgenössischen Diskurs um Rollenverständnis und Geschlechtsverhältnis, wie er etwa in der im Kunstmuseum Luzern 1974 von Jean-Christoph Ammann kuratierten Ausstellung „Transformer- Aspekte der Travestie“ thematisiert wurde. In dieser Ausstellung hatte Lüthi, zusammen mit Jürgen Klauke und Luciano Castelli, den prominentesten Auftritt. Lüthi hat später diese stark zeitbezogene Sichtweise seiner durchaus als Ikonen zu bezeichnenden Selbstporträts kritisiert, indem er beklagte, man habe damals etwa formale Aspekte kaum beachtet.
Der Frage nach dem Formalen stand der Künstler mit seiner phänomenalen Präsenz als Objekt seiner Kunst jedoch selbst im Weg. Sein betörender Jüngling lenkte den Blick der Betrachter in erster Linie auf den Inhalt: Fantasie, Irritation und Imagination wurden mit Wucht in Gang gesetzt. Lüthi nahm Posen ein, die traditionellerweise der Darstellung der Frau vorbehalten waren. Er zeigte Gefühle, für die ein Mann sich schämen musste. Seine Fotografien wurden fast ausschliesslich im Kontext der damaligen Zeit betreffend Geschlechterrolle und Sexualität gelesen. In einem 1991 geführten Interview mit Patrick Frey formulierte Lüthi sein Unbehagen gegenüber dieser Deutung seiner frühen fotografischen Selbstporträts: „Dieses Thema kam damals gerade in Mode und war ein Aspekt meiner Arbeit, der dadurch einfach überbewertet wurde. Ich selber habe diese Arbeiten vielmehr als klassische Tafelbilder gesehen, Halbfiguren, Akte, konventionelle Hell-Dunkel-Kompositionen, alles möglichst ohne Manipulation. Ich wollte auch damals in erster Linie die Mehrdeutigkeit der Dinge artikulieren. Das hat man damals einfach nicht wahrgenommen…“
Die Arbeit kann auch unter dem Aspekt der Retrospektive, der in Lüthis Werk eine wichtige Rolle spielt, betrachtet werden. Es handelt es sich doch um eine Art Revue seiner verschiedenen Einzelporträts. Insgesamt fünf Porträts produzierte nämlich Lüthi nämlich schon vorher, drei schuf er neu. Es ist eine Art Mini-Retrospektive seiner Selbstporträts und die Mappe somit ein Vorläufer der grossen retrospektiven Zusammenstellungen des Gesamtwerks zu einem selbständigen Werk, die der Künstler später in mehreren Fassungen und Ausführungen realisiert. Ein wichtiges Werk dieses Typus ist „The Complete Life and Work, Seen Through the Pink Glasses of Desire” von 1993 (Lenbachhaus München). Die Hängung der 180 Fotografien entspricht der korrekten Abfolge der künstlerischen und persönlichen Biografie von Lüthis ersten Lebensjahren bis zu seinen jüngsten Werken. Durch die formale Vereinheitlichung in Grösse und Farbe entsteht hier ein derart starker visueller Eindruck, dass der historische wie der emotionale Zusammenhang des Einzelbildes in den Hintergrund rücken und wir alles – „the complete life and work“ – gleichzeitig und gleichwertig sehen. Es handelt sich nicht um ein Fotoalbum, in welchem man blättert, sondern um die Ausbreitung eines normierten Bildinventars, ein noch vor der grossen Digitalisierung analog angelegter Bildspeicher, den der Künstler fortwährend ausbaut und der ihm als ein Vokabular der Motive für das weitere Schaffen dient. Natürlich kommen auch einige der berühmten Selbstportraits in diesem Werk wieder vor.
Eine weitere Wiederverwendung sollten einige der Selbstporträts aus der Serie „Tell me who stole your smile“ 2001 erfahren. Für die Biennale von Venedig in jenem Jahr schuf Lüthi mehrere seiner Fotos im Grossenformat hinter Plexiglas neu und nannte sie auch gleich das was sie sind: Trademarks, die unwiederbringlich mit dem Namen Urs Lüthi verbunden sind.
Christoph Lichtin