informationen
Werkbeschrieb
Das Querformat "Vor Ostern" (KML D 85.35x) aus dem Jahr 1966 – eine für Johannes Ittens Alterswerk typische geometrische Bildkomposition – ist in unterschiedlich grosse, konstruktiv gestaltete Quadrat- und Rechteckfelder eingeteilt. Helle, frische Farben wie Gelb und Grün werden von Violett- und Blautönen begleitet. Dunkle Farbflächen wie die violetten Quadratraster in der linken unteren Bildecke, der durchgezogene violette Balken unten rechts sowie der sich nicht genau in der Mitte befindende Streifen am oberen Bildrand begrenzen das Gemälde nach aussen, stützen es und halten die helleren, kleinteiligeren Farbfelder zusammen. Im Mittelpunkt des Bildes befindet sich ein in violette Felder unterteiltes Quadrat. Blaue, weisse und hellgelbe, über die Gesamtfläche verteilte Formeinheiten setzen ausgleichende wie auch belebende Akzente.
Das bereits im Frühwerk des "Barmherzigen Samariters" (KML E 78x) anklingende Bestreben, die Farb- und Formgestaltung, unter anderem durch Verwendung von Hell-Dunkel-Kontrasten, mit symbolischem Inhalt aufzuwerten, ist für Ittens konstruktive Kompositionen grundlegend. Die Bedeutung expressiv verwendeter Farben und Formen als Träger des Ausdrucks und des Erlebten theoretisiert er in zahlreichen Schriften. Durch stete Auseinandersetzung mit östlichen Lehren, Religionen wie auch der zeitlebens geführten Beschäftigung mit Tod und Leben begreift Itten die Natur im Zyklus von Werden, Sein und Vergehen. Der Wandel der Jahreszeiten, die der Natur innewohnende rituelle Wiederholung, entspricht den Lebensrhythmen von Kindheit, Jugend, Reifezeit und Alter. Dieses natürliche Ritual des Auf- und wieder Verblühens motiviert den Menschen zum Glauben an die Reinkarnation. Johannes Itten stellt die erlebte und in der Natur beobachtete Landschaft dar, reduziert diese jedoch auf eine abstrakte, geometrische Komposition. Sich vom Materiellen lösend – dem einfach und visuell Kontrollierbaren – überhöht er seine Arbeiten durch den Abstraktionsprozess ins Geistig-Übersinnliche. In "Kunst der Farbe" (1961) beschreibt er, welche Bedeutung die jeweiligen Farben und Formen gegenüber den Jahreszeiten einnehmen: Das jugendlich helle Strahlen und Spriessen der Natur verheisst den Frühling. Die Farbe Gelb kommt dem weissen Licht am nächsten, Gelb, Rosa sowie Lila erinnern an keimende Pflanzenspitzen, und Farbfeldmodulationen dienen zur Orientierung auf der Erde. Das mit "Vor Ostern" betitelte Gemälde verweist einerseits auf den Frühling, andererseits auf die Zeit vor einem der wichtigsten und ältesten Hochfeste des Christentums – die Karwoche. Die Liturgie schreibt jedem christlichen Fest im Kirchenjahr eine Farbe zu, die auf Priestergewändern, Tüchern oder Schmuck zur Geltung kommt wie auch eine Sinneswirkung auf Bewusstsein und Stimmung ausüben soll. Violett als Symbol für Übergang und Verwandlung wird der Zeit der Passion ab Aschermittwoch bis Ostern zugeordnet, nur der Gründonnerstag unterbricht mit Weiss – für Lob und Hoffnung stehend – die Trauer. Der Karfreitag wiederum erscheint in Schwarz oder Violett, und Ostern, der Tag der Auferstehung Jesu vom Tod erstrahlt im Licht symbolisierendem Weiss.
Johannes Ittens religiöse Haltung spiegelt sich nicht nur im Titel, sondern ebenso in den Farben wider: Violettklänge werden von einzelnen weissen oder hellgelben Quadraten durchbrochen. Die violetten Farben vergegenwärtigen Transzendenz; die hellen Farben und das Weiss versprechen Hoffnung und Auferstehung. Als Itten "Vor Ostern" malt ist er 78jährig. Das Gemälde kann als Sinnbild für Tod und Wiedergeburt gelesen werden und steht als Frühlingsbild am Beginn des Zyklus von Werden und Vergehen und bietet somit Ausblick auf ein Weiterleben.
Barbara Hatebur
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesamt für Kultur, Bern
Eingangsjahr:1983
Ausstellungsgeschichte
Johannes Itten - Das Lebenswerk, Krefeld, Kaiser Wilhelm Museum
Johannes Itten - Das Lebenswerk, Stuttgart, Galerie der Stadt Stuttgart
Johannes Itten - Das Lebenswerk, Bern, Kunstmuseum Bern, 25.09.1984 - 18.11.1984
Farbgeometrien aus der Sammlung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.2001 - 10.03.2002
Johannes Itten. Gemälde, Gouachen, Aquarelle, Tuschen, Zeichnungen, Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, 24.08.1980 - 05.10.1980
Johannes Itten. Die Jahreszeiten, Winterthur, Kunstmuseum Winterthur, 16.04.1972 - 28.05.1972
Johannes Itten. Die Jahreszeiten, Nürnberg, Kunsthalle Nürnberg, 12.02.1972 - 03.04.1972
60 Jahre Bernhard Eglin-Stiftung. Sammlungsbilanz II: Erwerbungen und Schenkungen, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 16.10.1993 - 28.11.1993
Johannes Itten, Bern, Kunsthalle Bern, 04.09.1971 - 10.10.1971
Johannes Itten (1888–1967). Bilder, Zeichnungen, Aquarelle, Krefeld, Kaiser Wilhelm Museum Krefeld, 18.02.1973 - 23.04.1973
Gekauft, geliehen und geschenkt. Aus der Sammlung der Bernhard-Eglin-Stiftung im Kunstmuseum Luzern, Zürich, Haus für konstruktive und konkrete Kunst, 17.01.1992 - 01.03.1992
L'Etat des Choses II. Neue Kunst in der Sammlung. Fotografische Arbeiten, Zeichnungen und Druckgrafik mit Schenkung Toni Gerber, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 16.10.1987 - 15.11.1987
Eidgenossenschaft Inventur 2011
Frühling, lass Dein blaues Band..., Kunstmuseum Olten, 30.03.2014 - 25.05.2014
Postkarten 2012 Prolitteris
Postkarten 2012
Literatur
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Zürich, Haus für konstruktive und konkrete Kunst, Gekauft, geliehen und geschenkt. Aus der Bernhard-Eglin-Stiftung im Kunstmuseum Luzern, Zürich: Haus für konstruktive und konkrete Kunst, 1992
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungsbilanz 11 Jahre - 1117 Werke - 211 Künstler und Künstlerinnen, Ergänzungsband 2 zum Sammlungskatalog, hrsg. von Martin Kunz, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1989
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Ergänzungsband zum Sammlungskatalog der Gemälde, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1984
Bern, Kunstmuseum Bern/Krefeld, Kaiser Wilhelm Museum/Stuttgart, Galerie der Stadt Stuttgart (Ausst.-Kat.), Johannes Itten. Künstler und Lehrer, mit Beiträgen von Josef Helfenstein (et al.), Bern: Kunstmuseum Bern, 1984
Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster (Ausst.-Kat.), Johannes Itten. Gemälde, Gouachen, Aquarelle, Tuschen, Zeichnungen, Münster: Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, 1980
Rotzler, Willy (Hrsg.), Johannes Itten. Werke und Schriften, hrsg. von Willy Rotzler, mit einem Werkverzeichnis von Anneliese Itten, Zürich: Orell Füssli Verlag, 1978
Krefeld, Kaiser Wilhelm Museum Krefeld (Ausst.-Kat.), Johannes Itten (1888–1967). Bilder, Zeichnungen, Aquarelle, Krefeld, 1973
Nürnberg, Kunsthalle Nürnberg/Winterthur, Kunstmuseum Winterthur (Ausst.-Kat.), Johannes Itten. Die Jahreszeiten, hrsg. von Curt Heigl, mit Texten von Hans Heinz Holz und Johannes Itten, Zollikerberg: Feldegg AG, 1972
Bern, Kunsthalle Bern (Ausst.-Kat.), Johannes Itten, Bern: Stämpfli+Cie AG, 1971