informationen
Werkbeschrieb
Tierdarstellungen prägen das Gesamtwerk von Jacques-Laurent Agasse. Durch seine aussergewöhnlichen Kenntnisse der Tieranatomie und sein zeichnerisches Können vermag der aus Genf stammende Künstler Tiere von verblüffender Lebendigkeit zu malen. Die spezifisch englische Tradition des Tiersports und der Jagd findet im British Sporting Painting ihren künstlerischen Ausdruck und bildet für Agasse einen idealen Hintergrund, um seiner Berufung als Tiermaler nachzugehen. Für das englische Grossbürgertum und den Adel porträtiert er Pferde und Hunde mit einem guten Gespür für deren charakterlichen Eigenschaften. Das Porträt von "Lord Heathfield" zeigt im Vordergrund einen braunen Hengst mit seinem Reiter und kann in diesem Sinn als eigentliches Doppelporträt verstanden werden.
Lord Heathfield stammt aus einer angesehenen englischen Familie, die sich ihren Adelstitel im späten 18. Jahrhundert durch ihren erfolgreichen Einsatz im Krieg gegen Spanien verdient hat. Auch der hier porträtierte Francis Augustus Heathfield ist im Dienst der Armee tätig. Er wird 1795 Kavallerieoberst und erreicht darauf den Generalsgrad. Er stirbt im Jahre 1813 als letzter Vertreter seines Familienstammes. Als Agasse um 1800 von Genf nach London übersiedelt, wird er von Freunden in die höhere Gesellschaft eingeführt und als Tiermaler empfohlen. Es ist anzunehmen, dass er auf diese Weise auch Bekanntschaft mit Lord Heathfield macht. Vier Mal hat Agasse diesen als Reiter porträtiert. Das erste Porträt der Serie befindet sich in der Sammlung des Musée des Beaux-Arts in Genf. Die Version der Luzerner Sammlung weicht nur geringfügig in Grösse und Hintergrundsgestaltung davon ab. Sie ist 1814 und somit erst nach dem Tod Heathfields entstanden.
Agasse gibt Heathfield in aufrechter Körperhaltung auf seinem Pferd reitend wieder. Leicht aus dem Profil gedreht, blickt der Porträtierte in die Richtung, in die er reitet. Seine elegante Kleidung, der schwarze Zylinder und der mit Messingknöpfen geschlossene schwarze Mantel, die weiss leuchtende, unter dem Kinn geknotete Krawatte, die Handschuhe, die Kniehose aus hellem Leder sowie die glänzend polierten Jockeystiefel, deren unter dem Knie umgeschlagene Stulpe das dekorative Lederfutter zur Geltung kommen lassen, entsprechen der Reitermode des wohlhabenden Engländers und verweisen bildlich auf den hohen gesellschaftlichen Rang des Lords. Die herausragende Eleganz Heathfields wird im Kontrast zur zweiten Person im Bild, dem Reiter im Hintergrund, noch verdeutlicht. Die für einen Edelmann zu farbige Kleidung in Blau und Rot kennzeichnen den Begleiter als Angehörigen einer tieferen sozialen Schicht. Möglicherweise handelt es sich um einen Stallknecht. In seiner frontalen, an den linken Bildrand gedrängten Position sowie in seiner Grösse steht er in keiner Konkurrenz zur Hauptfigur, trägt im Gegenteil noch zur Hervorhebung derselben bei.
Die soziale Stellung von Lord Heathfield scheint in der Darstellung durch den Rückgriff auf die traditionelle Ikonographie des Herrscherporträts noch unterstrichen. So kann die Kraft und die Dynamik des Pferdes, verbildlicht durch die athletische Muskulatur und den unbeirrbaren Schritt nach vorn – signalisiert durch die in Leserichtung erfolgende Bewegung von links nach rechts – im übertragenen Sinn als Hinweis auf die Führungskraft des Reiters verstanden werden. Auch die Landschaft kann im Herrscherporträt auf die Position des Porträtierten verweisen, deutet sie doch meistens auf dessen Herrschaft oder Besitz hin. Bei der hügeligen, von einem Gewässer durchzogenen Wiesenlandschaft mit Laubbäumen, die die Reitergruppe umschliesst, könnte es sich durchaus um Länderein im Süden Englands handeln, wie sie sich im Besitz von Lord Heathfield befunden haben dürften.
Wenn Agasse seine sehr sorgfältig ausgearbeitete Bildkomposition auch auf den Reiter ausrichtet, wird dennoch rasch deutlich, dass er dem Pferd selber in malerischer Hinsicht weit mehr Aufmerksamkeit schenkt als dessen Reiter. Mit Akribie und feinstem Pinselstrich kann der Maler am Körper des Pferdes sein ganzes Können demonstrieren. Der Glanz des Felles, das ausgeprägte Muskelspiel und die leicht angespannte Haltung des Tieres lassen dieses ausgesprochen lebendig erscheinen. Im Vergleich zu seinem Reiter vermag das Reittier aus sich selber eine Art Persönlichkeit zu behaupten. Frappant ist diesbezüglich, dass das Pferd mit seinem rückwärts zur Seite gerichteten rechten Auge den Betrachter fixiert – ganz im Gegensatz zu seinem Reiter. Der virtuose Tiermaler Jacques-Laurent Agasse lässt seine Berufung erkennen in dem er in erster Linie ein Pferd porträtiert: das Pferd von Lord Heathfield.
Insgesamt sind vier Porträts Lord Heathfields zu Pferd von Agasse überliefert, von denen das umm 1811 entstandene für die Royal Collection erworben wurde. Der Porträtierte war Präsident des Veterinary College war, wo Agasse Tierstudien trieb.
Fabienne Sutter
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Gottfried Keller-Stiftung, Bern
Eingangsjahr:1938
Provenienz/ Provenance
Englischer Privatbesitz
Salon Bollag, 1937/1938
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Gottfried Keller-Stiftung seit 1938
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References Auktionskatalog «Gemälde, Aquarelle … und aus anderem Besitz», G & L Bollag, Zürich, 23.03.1935, , Nr. 60, Tf. IV.
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Das Gemälde befindet sich als Depositum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Gottfried Keller-Stiftung, Bern, seit 1938 im Kunstmuseum Luzern. 1935 wurde es vom Kunstsalon Bollag in Zürich angeboten; in der Auktion aber offenbar nicht verkauft. Denn 1937 wurde es durch die GKS dort erworben und im Folgejahr dem Kunstmuseum Luzern überwiesen.
Kategorie B
AB: Bollag meinte, sei in engl. Vorbesitz gewesen, Hans-Peter Wittwer meint, BAK untersuche da weiter, Werke aus Gebieten ausserhalb des NS besetzten Gebiete (18.04.2023)
Ausstellungsgeschichte
Fantaisie Equestre, Lausanne, Musée Cantonal des Beaux-Arts, 23.07.1982 - 12.09.1982
Meisterwerke der Gottfried Keller-Stiftung. Schweizer Kunst aus neun Jahrhunderten, Zürich, Kunsthaus Zürich, 10.06.1965 - 21.07.1965
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Im Licht der Romandie, Winterthur, Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten, 10.06.2001 - 28.10.2001
Das Pferd in der Kunst, St. Gallen, Kunstmuseum St. Gallen, 04.09.1954 - 17.10.1954
50 Jahre Gottfried-Keller-Stiftung, Bern, Kunstmuseum Bern, 14.06.1942 - 20.09.1942
Meisterwerke der Schweizer Kunst, 1800-1950. Jubiläumsausstellung des Schweizerischen Kunstvereins, Zofingen, Schweizerischer Kunstverein Zofingen, 19.08.1956 - 07.10.1956
Schweizer Maler im Zeitalter des Klassizismus und der Romantik, Zürich, Kunsthaus Zürich, 01.09.1936 - 19.09.1936
Rendez-vous à cheval. Pferde und Reiter um 1800, Jegenstorf, Schloss Jegenstorf, 06.06.1970 - 18.10.1970
Jubiläumsausstellung: 50 Jahre Kunstmuseum Luzern im Kunsthaus / 50 Jahre Bernhard Eglin-Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 01.01.1983 - 31.12.1983
Landesausstellung, Zürich, Kunsthaus Zürich
From Liotard to Le Corbusier. 200 Years of Swiss Painting. 1730-1930, Atlanta, Georgia, The High Museum of Art, 09.02.1988 - 10.04.1988
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Highlights der Sammlung
Literatur
Im Licht der Romandie. Oskar Reinhart als Sammler von Westschweizer Kunst, hrsg. von Lukas Gloor (et al.), mit Texten von Alberto de Andrés (et al.), Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag; Zürich: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, 2001
Oberholzer, Niklaus, "Lord Heathfield zu Pferd. Agasse im Luzerner Kunstmuseum", in: Luzerner Zeitung, Nr. 165, 19.7.1994, S. 27
Landolt, Hanspeter, Sammeln für die Schweizer Museen. Gottfried Keller-Stiftung. Collectionner pour les musées suisses. Fondation Gottfried Keller. Collezionare per i musei svizzeri. Fondazione Gottfried Keller. 1890–1990, mit Texten von Hugo Wagner (et al.), Bern: Benteli, 1990
Atlanta, High Museum of Art (Ausst.-Kat.), From Liotard to Le Corbusier. 200 Years of Swiss Painting, 1730-1930, mit Texten von Hans Ulrich Jost, Brandon Brame Fortune und William Hauptman, Zürich: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, 1988
Genf, Musée d'Art et d'Histoire; London, Tate Gallery London (Ausst.-Kat.), Jacques-Laurent Agasse. 1767–1849, hrsg. v. Renée Loche und Colston Sanger, mit Texten von Lucien Boissonas, Renée Loche und Colston Sanger, London: The Tate Gallery, 1988
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Lausanne, Musée cantonal des beaux-arts (Ausst.-Kat.), Fantaisie Equestre, mit Texten von Willy Rotzler und Erika Billeter, Lausanne: Musée cantonal des beaux-arts, 1982
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Meisterwerke der Gottfried Keller-Stiftung. Schweizer Kunst aus neun Jahrhunderten, mit einem Beitrag von Michael Stettler, Bern: Verlag der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung, 1965
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
St. Gallen, Kunstmuseum St. Gallen (Ausst.-Kat.), Das Pferd in der Kunst, hrsg. vom Kunstverein St. Gallen, St. Gallen: H. Tschudy & Co., 1954
Mandach, Conrad von, Bericht der Gottfried Keller Stiftung. 1932-1945. 3. Folge. Gemälde und Zeichnungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, Zürich: Kommissionsverlag Atlantis, 1946
Neuweiler, Arnold, La peinture a Genève de 1700 a 1900. Avec une introduction d'Adrien Bovy, Genf: Editions Alexandre Jullien, 1945
Bovy, Adrien, La Peinture à Genève de 1700 à 1900, Genf: Editions Alexandre Jullien, 1945
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), 50 Jahre Gottfried Keller Stiftung, Bern: Kunstmuseum Bern, 1942
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Ganz, Paul (et al.), Kunst in der Schweiz. Die Schweiz im Spiegel der Landesausstellung 1939, Zürich: Atlantis, 1940
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Schweizer Maler im Zeitalter des Klassizismus und der Romantik, hrsg. von W. Wartmann, Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1936