Ein kleiner Vogel hat auf dem Fenstersims Platz genommen und grüsst den Maler freundlich. Das Fenster steht weit offen, sein Glas spiegelt die Umwelt und das Licht in weissen Reflexionen. Unser Blick ist nach draussen gerichtet. Eine Zimmerpflanze verbindet sich malerisch mit dem Geäst eines Baumes und schafft so einen fliessenden Übergang zwischen drinnen und draussen. Die Landschaft ist in erdigen Farbtönen gemalt, hinter dem Vogel sehen wir ein nur schwer entzifferbares architektonisches Element – handelt es sich um die Lehne eines Stuhls? In «Blick aus dem Atelierfenster» zeigt uns der Schweizer Maler und Wegbereiter der Moderne Cuno Amiet die Sicht aus seinem Atelier in Oschwand, einem kleinen Weiler zwischen Burgdorf und Langenthal. Amiet kaufte zusammen mit seiner Frau Anna Luder von Hellsau ein Haus und machte Oschwand zu seinem kleinen Paradies. Der idyllische Ort war zu Cuno Amiets Lebzeiten beliebter Treffpunkt bekannter Künstler:innen und Schriftsteller:innen, darunter Giovanni Giacometti, Ferdinand Hodler, Wilhelm Worringer und Hermann Hesse. Vorbild für Amiet war das Dorf Pont-Aven in der Bretagne, das nach einem Aufenthalt von Paul Gauguin von zahlreichen jungen Künstler:innen aufgesucht wurde. Cuno Amiet selbst war 1892 in Pont-Aven und sah dort die in kräftigen Farben gemalten Bilder Paul Gauguins. Beeindruckt von der Kunst des französischen Post-Impressionismus legte auch Amiet seinen Fokus auf die Farben. In «Blick aus dem Atelierfenster» lösen sich die Konturen von Landschaft und Figuren zugunsten der Farbgestaltung auf. Die Malweise tendiert hin zur Abstraktion, ohne dass sich Cuno Amiet gänzlich von der Figuration lösen würde. Farbe erzeugt hier nicht mehr einfach eine Illusion, sondern wird als sinnliches Gestaltungsmittel eingesetzt, das die Komposition bestimmt.
Das Gemälde «Blick aus dem Atelierfenster» kam 2019 als Schenkung des ArtClub Luzern zum 200-Jahr-Jubiläum der Kunstgesellschaft in die Sammlung des Kunstmuseums Luzern und ergänzt die beiden Porträts «Sitzendes Mädchen» (1915) und «Selbstbildnis» (1920) in einer eindrücklichen Werkgruppe.