Giuseppe Penone, 1 Entries
1968 finden seine ersten künstlerischen Aktionen in und mit der Natur statt. Der Kunstkritker und Kurator Germano Celant nimmt den jungen Künstler im selben Jahr in seine „Ars-Povera“- Publikation auf. Von da an gehört er zu einem der wichtigsten Vertreter der Bewegung, die in den 1960er und 1970er Jahren die Kunstwelt massgeblich prägte, und nimmt an all ihren grossen Ausstellungen teil. Die Künstler der Arte Povera, wie Giovanni Anselmo, Alighiero Boetti, Pier Paolo Calzolari, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Mario Merz, Marisa Merz, Giulio Paolini, Michelangelo Pistoletto und Gilberto Zorio bilden keine Künstlergruppe im engeren Sinn. Der von Celant 1967 geprägte Begriff bezeichnet vielmehr eine allgemeine Strömung in der italienischen Kunst der späten 1960er Jahre. Im Gegensatz zur nur einige Jahre zuvor in den USA aufgekommenen Pop Art, in der neue Medien thematisiert und benutzt werden, verwenden die Arte Povera-Künstler „arme“, nicht wertvolle Materialien, die sie häufig in der Natur vorfinden, wie beispielsweise Steine, Baumstämme, Blätter, Erde oder Metalle. In diesem Suchen neuer Arbeitsgrundlagen, die sie nicht direkt von ihrem kulturellen Umfeld beziehen, lösen und distanzieren sie sich laut Penone von traditionellen Kunstformen. Celant schreibt von der Arte Povera als „Aufstand der magischen und erstaunlichen Werte von natürlichen Elementen“. Generell ist den Kunstwerken eine provozierende Hinterfragung der Welt, ein zeitloser, poetischer Charakter und starker Bezug zu dem sie umgebenden Raum eigen.
Penone gehört zu den wenigen Arte povera Künstlern, die Werke im Aussenraum realisieren: er flechtet drei junge Bäume ineinander, schlägt einen Eisenkeil mit den Zahlen 1 bis 10 und dem Alphabet in einen Stamm und lässt Vögel aus einem gewaltigen Brotlaib picken, in welchem er das Alphabet aus Eisenblech eingebacken hat. Er untersucht den Austausch zwischen Mensch und Natur, die visuellen und taktilen Kontaktzonen dieser Beziehung. Das konkrete Machen ist ihm wichtig, denn erst wenn man etwas angefasst hat, erlebt hat, besitzt man die Erfahrung der Räumlichkeit und erst dann kann man es begreifen, so die Ansicht des Künstlers. Er versteht sich als Bildhauer, arbeitet aber auch zeichnend und installativ. Häufig überlässt er die Realisierung seiner Werkideen dem Wachstumsverlauf von Pflanzen, in den er gezielt eingreift. Beispielsweise legt er einen eisernen Abguss seiner Hand dauerhaft um einen kleinen Baumstamm, lässt seine Physiognomie im Wuchs von Kartoffeln und Kürbissen entstehen und fixiert seinen Körperabdruck mit Draht an der Baumrinde. Denn, so Penone: „Wenn man ein anderes Zeitmass anlegt, dann ist der Baum nicht fest sondern fliessend. Er entwickelt sich.“ Ab 1969 bis 1991 entsteht sein Baum-Zyklus, zu dem auch der „Albero di undici metri“ in Luzern gehört.
In seinen Werken behandelt Penone bildhauerische Problemstellungen, wie Fragen nach dem Positiv- und Negativvolumen, nach Raumerfahrung, körperlicher Präsenz und Veränderung. In den 1980er Jahren schafft Penone anthropomorphe Figuren in Bronze, die durch das Wachstum der in sie gepflanzten Büsche komplettiert werden. In jüngeren Werken werden Teile seines Körpers, wie Fingernägel oder Hirnschlingen stark vergrössert in den Materialien Glas und Stahl und in Zusammenhang mit der sie umgebenden Natur dargestellt. Auch in seinem Spätwerk bleibt Penone seinen Fragestellungen treu, jedoch vermisst man im Vergleich zu früheren Arbeiten zum Teil die Einfachheit und Direktheit der Umsetzung seiner Ideen. Bemerkenswerterweise äussert sich Penone ausführlich über sein Werk in zahlreichen theoretischen Texten.
Neben vielen Einzelausstellungen, unter anderem in Amsterdam, London, Mailand, Turin, Bonn, New York, Nîmes, Ottawa, Paris, Santiago de Compostella, stellt Penone in zahlreichen international bedeutenden Gruppenschauen aus. So nimmt er teil an der documenta 5, 7 und 8 in Kassel, an der Biennalen in Sao Paulo 1975, Sydney 1976, Venedig 1978 und 1980 und Florenz 1996. Das Kunstmuseum Luzern widmete ihm 1977 eine Einzelausstellung mit dem Titel „Giuseppe Penone. Bäume, Augen, Haare, Wände, Tongefässe“ 1977.
Chonja Lee
Lichtin, Christoph (Hrsg.), Josephine Troller (1908–2004), mit Texten von Isabel Fluri, Christoph Lichtin und Max Wechsler, Luzern, Poschiavo: Edizioni Periferia und Kunstmuseum Luzern, 2007
Berlin, Kupferstichkabinett (Ausst.-Kat.), Where are you standing? - Die Schenkung Paul Maenz Gerd de Vries im Kupferstichkabinett, mit Texten von H.-Th. Schulze-Altcappenberg (et al.), Berlin, Köln: DuMont, 2004
New York, The Drawing Center (Ausst.-Kat.), Giuseppe Penone. The Imprint of Drawing. L'impronta del disegno, mit Texten von Catherine de Zegher (et al.), New York: The Drawing Center, 2004
Gooding, Mel, Erde, Wasser. Licht. Kunst mit der Natur, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 2003
Christov-Bakargiev, Carolyn, Arte Povera, London: Phaidon, 2001
Minneapolis, Walker Art Center (Ausst.-Kat.), Zero to Infinity: Arte Povera 1962-1972, Minneapolis: Walker Art Center, 2001.
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Landpartie - Die Sammlung des Kunstmuseums Luzern auf Reisen im Kanton, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Theo Kneubühler, Ulrich Loock und André Rogger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1998
Rogger, André, "Giuseppe Penone: Albero di undici metri", in: Willisauer Bote, Nr. 161, 22. Oktober 1998, S. 3
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungsbilanz 11 Jahre - 1117 Werke - 211 Künstler und Künstlerinnen, Ergänzungsband 2 zum Sammlungskatalog, hrsg. von Martin Kunz, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1989
Genf, Centre d'art contemporain, 'Promenades'. Parc Lullin, Genthod (Genève), mit Texten von Bruno Corà und Denys Zacharopoulos, Genf: Centre d'art contemporain, 1985
Oberholzer, Niklaus, "Giuseppe Penones Ertasten der Grenzbereiche", in: Vaterland, 25. Mai 1977, S. unbekannt
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Giuseppe Penone. Bäume, Augen, Haare, Wände, Tongefäss, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1977
Kassel, Documenta (Ausst.-Kat.), documenta 5. Befragung der Realität. Bildwelten heute, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Harald Szeemann, Kassel: Documenta, 1972
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Joseph Beuys, Michael Buthe, Franz Eggenschwiler und die Berner Werkgemeinschaft (Konrad Vetter, Robert Waelti), Markus Raetz, Dieter Roth. Sonderausstellung Charles Wyrsch, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1970