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Description
Das „Porträt der Kinder de Bauffremont“ vereinigt in sich zwei Aspekte, die im Werk Johann Melchior Wyrschs nur selten zusammen auftreten: das Gruppenbild und die Landschaft. Zu sehen sind die fünf Kinder der Familie de Bauffremont, welche zu den einflussreichsten Adelsgeschlechtern der Franche-Comté gehörte. Die dargestellte Szene wird zu beiden Seiten des Gemäldes durch Insignien der Familie abgeschlossen: links im Hintergrund ist das Schloss Scey-sur-Saône, Familiensitz der de Bauffremont, zu sehen. Am rechten Bildrand ist auf einem Stein das Familienwappen angebracht. Unmittelbar darunter sind auf einer Steinplatte die Namen und Geburtsdaten der dargestellten Kinder eingeschrieben: Die älteste Tochter Adelaïde sitzt als zentrale Figur der Gruppe in einem blauen Rüschenkleid auf einem Stein. Während sie sich mit ihrer linken Hand aufstützt, hält sie mit ihrer Rechten ihren kleinsten Bruder Henry zurück, der – ein Steckenpferd zwischen den Beinen – seinem ältesten Bruder Alexandre entgegenläuft. Dieser kümmert sich jedoch wenig um die Anstalten des kleinen Chevaliers; mit gelben Kniehosen und einer Weste bekleidet – Rock und Hut hat er sorgfältig abgelegt – ist er gerade damit beschäftigt, einen Federball anzuschlagen. Mitspielerin ist seine jüngere Schwester Hélène, die die Figurenkomposition nach rechts hin abschliesst. Wie ihr älterer Bruder konzentriert sie sich nicht etwa auf das Spiel, sondern blickt aus dem Bild heraus auf die Betrachterin und den Betrachter. Es scheint fast so, als möchte sie mit ihrer gespreizten linken Hand zu einem höflichen Knicks ansetzen. Im Bildmittelgrund tritt eine Amme mit einem Säugling im Arm aus dem Wald hervor; aufgrund der Familiengeschichte und dem Geburtsdatum auf der Steinplatte kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um die jüngste, soeben geborene Tochter Hortense handelt.
Die im Park ihres Anwesens dargestellten Kinder erscheinen uns wie kleine Erwachsene. Sie sind standesgemäss gekleidet und frisiert und – abgesehen von dem Hund und dem einigermassen unbekümmert vorwärts drängenden kleinen Henry – gibt es keine Anzeichen von der Verspieltheit, die wir bei Kindern erwarten würden. Das Spiel wird zwar in einigen Requisiten – Federball, Trommel, Steckenpferd – zum Ausdruck gebracht, die Bewegungen scheinen jedoch zu Posen erstarrt zu sein. Diese Erstarrung, die sich insbesondere in den beiden Federball spielenden Kindern zeigt, spiegelt sich auch im Aufbau des Bildes wider: eine ganze Reihe von Diagonalen bindet die einzelnen Bildfiguren aneinander. So finden die Armbewegungen des Ältesten eine Entsprechung im Ausschreiten des Jüngsten und im Faltenwurf von Adelaïdes hellblauem Kleid, der durch die etwas bemühte Pose der Ältesten hervorgerufen wird. Auch in entgegen gesetzter Richtung finden sich mehrere Parallelen: Der linke Arm der Federball spielenden Hélène verläuft in derselben Richtung wie derjenige ihrer älteren Schwester und findet wiederum im Ausschreiten Henrys seine Entsprechung.
Die Starrheit der dargestellten Situation macht deutlich, dass es in diesem Bildnis weniger darum geht, die Kinder in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit darzustellen, wie dies gerade gegen Ende des 18. Jahrhunderts und damit zeitgleich zu Wyrschs Bild in der englischen Malerei erprobt wurde. Vielmehr scheint es dem Maler darum zu gehen, die Kinder als künftige Erben der im Hintergrund erkennbaren Güter zu zeigen. Der Älteste, der nach dem Tod seines Vaters Louis de Bauffremont im Jahre 1781 und somit zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes bereits Besitzer des Schlosses gewesen sein dürfte, weist mit seinem Federballschläger denn auch explizit darauf hin. Diese Vermutung wird durch die unterschiedlichen Blickrichtungen der einzelnen Figuren bestärkt: Hier wird kaum innerbildlich agiert, geschweige denn miteinander gespielt; vielmehr ist die gesamte Bildkomposition auf einen imaginären Betrachter hin ausgerichtet, dem mit unzweideutigen Gesten der blühende Nachwuchs der Familie de Bauffremont vor Augen geführt werden soll.
Vom „Porträt der Kinder de Bauffremont“ existiert eine zweite, etwas kleinere Fassung (Stans, Kantonalbank). Sie ist signiert und auf 1785, also drei Jahre später als das Luzerner Bild, datiert. Kleinere kompositorische Veränderungen – die Figuren werden näher an den Betrachter herangerückt, die Landschaft wird beschnitten, die Szene als Ganze wirkt gedrängt – bestätigen die spätere Datierung dieser Fassung. Wyrsch ist 1785, zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Bildes, nicht mehr in Besançon tätig, sondern lehrt als Professor an der von ihm gegründeten Zeichenschule in Luzern. Man darf also vermuten, dass diese spätere Version zumindest teilweise von seinen Schülern ausgeführt worden ist.
Barbara von Flüe
Provenance
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, Die Galerie Fischer kauft das Bild 1942 bei der Princesse da Viggiano-Bauffremont, Rom. Dann Ankauf durch Bernhard Eglin-Stiftung.
Eingangsjahr: 1942
Exhibition History
Johann Melchior Wyrsch, Stans, Nidwaldner Museum, 20.06.1998 - 11.10.1998
Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.06.2000 - 24.09.2000
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Collections historiques du 18ème Siècle, Besançon, Musée Franc-Comtois du Palais Granvelle, Musées de Besançon, 20.07.1959 - 15.10.1959
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Highlights der Sammlung
Aus der Sammlung: Männer und Frauen
Von Angesicht zu Angesicht. Füssli, Böcklin, Rondinone und andere, Luzern, 28.02.2015 - 22.11.2015
«Und die alten Formen stürzen ein». Kunst um 1800 aus der Sammlung, Luzern, 09.03.2019 - 17.11.2019
Bibliography
Flüe, Barbara von, "Johann Melchior Wyrsch", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 29-33
Lichtin, Christoph, "Bernhard Eglin and the first years of the Bernhard Eglin Foundation", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 20-27
Lichtin, Christoph, "Bernhard Eglin und die ersten Jahre der Bernhard Eglin-Siftung", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 11-19
Flüe, Barbara von, "Johann Melchior Wyrsch (engl.)", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 35-38
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Mixing Memory and Desire - Wunsch und Erinnerung, hrsg. von Daniel Kurjakovic, mit Texten von Daniel Kurjakovic, Ulrich Look und Ivetta Geraimchuk, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 2000
Stans, Nidwaldner Museum (Ausst.-Kat.), "Gepudert und geputzt". Johann Melchior Wyrsch 1732-1798. Porträtist und Kirchenmaler, hrsg. von Matthias Vogel, Regine Helbling, Marianne Baltensperger, Stans: Nidwaldner Museum; Basel: Schwabe, 1998
Oberholzer, Niklaus, "Virtuoser und engangierter Porträtist", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 141, 22. Juni 1998, S. 11
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Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
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Meyer-Rahn, Hans, Gesamtbericht über die Gründung und Tätigkeit der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1946, Luzern: Bernhard Eglin-Stiftung, 1946
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Blondeau, Georges, "Portraits et tableaux religieux peints par Wyrsch en 1780", in: Mémoires de la Société d'Emulation du Doubs, Dixième Série, 3, 1933, S. 158-191