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Description
Einer der wichtigsten Grundsätze, denen Anton Graff in seinen Bildnissen gefolgt ist, verlangt die Beschränkung auf das Wesentliche. Dies bedeutet für seine Porträts eine Konzentration auf die Gesichtszüge und insbesondere auf die Augen als eigentliche Ausdrucksträger. Durch eine einfache Lichtführung, die das Antlitz in ein helles Licht taucht und die Augensterne aufleuchten lassen, einen klaren Bildaufbau und die Verwendung eines monochromen Hintergrundes gelingt es ihm, die Individualität der dargestellten Person hervorzuheben, während Kleidung und Attribute in ihrer Bedeutung zurücktreten.
Diesen Richtlinien folgt auch das Bildnis der Gräfin Medem, geborene von Kleist. Im Halbfigurenporträt präsentiert sich die junge Frau, über die man nichts weiss, ausser ihrem Namen, in auffallend einfacher Kleidung und ohne Schmuck jedwelcher Art in beinahe intim anmutender Offenheit dem Betrachter. Über einem schlichten, hellen Kleid trägt sie ein rotes Schultertuch, das sie um ihre Hände geschlungen hat. Die etwas zerzausten, lockigen Haare sind ungepudert und umrahmen ein blasses, ungeschminkt wirkendes Gesicht. Ein zartes, fleckiges Rosa auf den Wangen und die feucht schimmernden geschwungenen Lippen verstärken den Eindruck der Natürlichkeit, der von der Adligen ausgeht. Der Blick aus den glänzenden, von hellen Wimpern umrahmten Augen geht versonnen ein wenig nach links. Ein Lächeln ist nur schwach angedeutet, die Augenbrauen wie in Gedanken leicht angehoben.
Die einfache, in sparsamer Pinselschrift wiedergegebene Gewandung der Gräfin Medem veranschaulicht, wie sehr Graff in seinen Bildnissen die konventionellen Hinweise auf gesellschaftlichen Rang und Vermögen vernachlässigt. Noch eine Generation zuvor wollte sich der zu Reichtum gelangte Bürger als Edelmann dargestellt wissen. In praktischer Umkehrung dieser Forderung verleiht Graff der von ihm porträtierten Adligen nun eine geradezu bürgerliche Erscheinung. Charakter und Individualität werden ins Zentrum des Gemäldes gerückt. Durch das Sichtbarmachen der geistig-seelischen Kräfte werden beim Betrachter Sympathie für die Dargestellte geweckt. Dass das Kostüm im Hinblick auf die natürliche Würde und die Empfindsamkeit in der Darstellung der jungen Frau sämtliche Bedeutung verliert, ist dabei fast nebensächlich.
Mit Vorliebe betont Graff gerade bei den weiblichen Modellen das Menschliche, Liebliche und lässt die Frauen eine sanfte Gelassenheit ausstrahlen – ein Weiblichkeitsideal jenseits der Standesunterschiede, das er am eindrücklichsten in den Bildnissen seiner Ehefrau umzusetzen weiss.
Regine Fluor-Bürgi
Provenance
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung
Eingangsjahr: 1933
Provenienz/ Provenance
Graf v. Medem
Fritz Nathan, München, 1933
Bernhard Eglin-Stiftung, seit 1933
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References
• Dorotheum, Wien / Kunstabteilung [Hrsg.] Versteigerung von Ölgemälden, Zeichnungen, ostasiatischen Kunstgegenständen, Gemälden holländischer Maler des 19. Jahrh. ..., Zeichnungen, Graphiken, Textilien, Holzarbeiten, Marmor, Dosen, Stöcken, Ausgrabungen, Japonika, Metallarbeiten, Gold und Silber, Waffen ...: 18., 25., 26., 27., und 28. Mai 1943
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/dorotheum1943_05_18/0008
• Berckenhagen, Ekhart, Anton Graff. Leben und Werk, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1967, S.269.
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
• Brief Fritz Nathan an Walter Hugelshofer, Einkäufer der Bernhard Eglin-Stiftung, vom 21.10.1933, Stadtarchiv Luzern
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Die Bernhard Eglin-Stiftung erwarb das Werk im Jahr 1933 und übergab es als Depositum dem Kunstmuseum Luzern. Aus einem Schreiben von Fritz Nathan an Walter Hugelshofer vom 21.10.1933 geht klar hervor, dass Nathans Münchner Ludwigs Galerie als Vermittler zwischen der Bernhard Eglin-Stiftung und dem Grafen Medem fungierte. Der ausgehandelte Preis von CHF 6'000,- entsprach durchaus dem damaligen Niveau (vgl. Angebot einer Handzeichnung von Graff beim Dorotheum, Wien, 1943 für RM 150,-).
Kategorie A
Exhibition History
L'art Suisse des origines à nos jours, Genf, Musée d'art et d'histoire
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.1935 - 08.01.1936
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Anton Graff. 1736 - 1813, Winterthur, Kunstmuseum, 05.07.1936 - 06.09.1936
Eröffnungsausstellung, Luzern, Kunsthaus Luzern, 10.12.1933 - 01.03.1934
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Aus der Sammlung: Männer und Frauen
«Und die alten Formen stürzen ein». Kunst um 1800 aus der Sammlung, Luzern, 09.03.2019 - 17.11.2019
Bibliography
Sladeczek, Franz-Josef/Müller, Andreas, Sammeln & Bewahren. Das Handbuch zur Kunststiftung für den Sammler, Künstler und Kunstliebhaber, Bern: Benteli, 2009
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Berckenhagen, Ekhart, Anton Graff. Leben und Werk, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1967
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Meyer-Rahn, Hans, Gesamtbericht über die Gründung und Tätigkeit der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1946, Luzern: Bernhard Eglin-Stiftung, 1946
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Winterthur, Kunstmuseum Winterthur (Ausst.-Kat.), Anton Graff, 1736 - 1813, Winterthur: Kunstmuseum Winterthur, 1936
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, mit einem Vorwort von Paul Hilber, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1935
Luzern, Kunsthaus Luzern (Ausst.-Kat.), Katalog der Eröffnungsausstellung, Luzern: Kunsthaus Luzern, 1933