Im Hochformat "Ohne Titel" ranken sich auf weissem Grund stängelartig violette Pinselstriche empor. Die senkrecht ausgerichteten Linien, die organisch gewachsen scheinen, lässt der Maler in kleinen verfransten Widerhaken enden, die an Verzweigungen einer Pflanze erinnern. Das am unteren Bildrand angeschnittene Motiv bekräftigt zudem den Eindruck eines Gewächses. Den Strich zieht Schnider nicht in einem Schwung durch, sondern setzt den Pinsel ab – wiederum kleine Häkchen entstehen –, um ihn dann erneut anzusetzen und weiterzuführen, oder er lässt den Strich bereits bestehende Linien umschlingen. Der ausfasernde Farbauftrag wie auch die unterschiedlich dicken, sich teilweise umrankenden Linien verleihen dem Gemälde Lebendigkeit. Die Weisshöhung in der Mitte des Striches gibt den "Stängeln" Volumen.
Dieses Gemälde ist eines der ersten Werke Albrecht Schniders, das ein ungegenständliches Motiv zum Bildinhalt hat. Das Dargestellte wird zunächst noch an einer Seite vom Bildrand angeschnitten; erst in den späteren Arbeiten führt der Künstler seinen Pinselstrich über alle vier Seitenränder heraus. Die Linie wie auch die Komposition, die der Maler in seinen Zeichnungen (KML 2002.10y oder KML 2002.11y) erprobt und anlegt, wirkt in diesem Bild im Vergleich zu den nachfolgenden Gemälden (KML F 2002.1x) weniger stilisiert und schematisch. Das Weiss dient als Grundschicht, auf der die violetten Linien aufgemalt werden, und die verwendete Ölfarbe – später durch Acryllack ersetzt – lässt hier noch die künstlerische Handschrift des Malers nachempfinden.
Barbara Hatebur