Pia Fries, die seit 2014 an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrt, hat ausgehend von der konzeptuellen Malerei ihres Düsseldorfer Lehrers Gerhard Richter eine eigenständige malerische Position entwickelt. Diese bewegt sich gerade in den jüngsten Werken ganz prononciert auf der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Von Anfang an setzte Fries in ihren Gemälden die Farbe wie eine Bildhauerin als plastisches Material ein. Dies wird in den neuen Werken an dem – gegenüber früheren Arbeiten – bewusst engeren Farbspektrum deutlich. Denn durch die Reduktion der Buntfarben wird die Materialität der Farbe betont. Die plastische Qualität wird seit den frühen 1990er-Jahren auch dadurch noch verstärkt, dass die Farbe in klar voneinander geschiedenen Feldern auf den blendend weissen Bildgrund aufgetragen ist.
Diesen pastos aufgetragenen Farbfeldern stehen in «manipulus» Zonen gegenüber, die ebenso unregelmässig begrenzt und dem Bildgeviert zumeist senkrecht eingeschrieben sind. Erst der zweite Blick enthüllt, dass sie gänzlich flach und ihre Kontur und Binnenstruktur – im Gegensatz zu den pastos aufgetragenen Farbfeldern – identisch sind. Es handelt sich bei ihnen nämlich um die fotografische Abbildung eines Astes, die mit Siebdruck auf den Bildgrund gedruckt wurde. Diese Praxis lässt sich auch schon in früheren Werken von Pia Fries nachweisen: In älteren Arbeiten wurde durch die Einfügung von Bildfragmenten die gegenständliche Anmutung der malerischen Setzungen in Richtung von Vegetabilem und Floralem verstärkt. So korrespondierten in diesen Gemälden Ausschnitte von vergrösserten Abbildungen aus Maria Sibylla Merians (1647–1717) naturkundlichen Publikationen oder Details aus den Kupferstichen des Hendrik Goltzius (1558-1617) mit den pastosen Farbschwüngen.
In jedem Fall eröffnet die Zusammenstellung von malerischen Gesten und gedruckten Darstellungen ein reiches Feld an Kontrasten zwischen Fläche und Plastizität oder zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Es lässt sich auch darüber spekulieren, welche Strukturen höheren Realitätscharakter für sich beanspruchen können – die gedruckten Elemente oder die gemalte Farbe. Schliesslich stellt sich angesichts der verwandt erscheinenden Formen der Farbfelder und der abgebildeten Holzstücke ganz grundsätzlich die Frage nach Ähnlichkeit, nach dem Verhältnis von Ur- und Abbild, welche die Kunst seit ihren Anfängen beschäftigt und immer wieder anders beantwortet hat.
Doch neben diesen konzeptuellen Aspekten weist das Werk von Pia Fries eben auch eine enorme Sinnlichkeit auf. Die dick aufgetragene Farbe hat durchaus haptische und fast kulinarische Qualitäten, und die kräftig durchformte Farbmasse verweist immer auf die Handarbeit, worauf auch der Titel anspielt: Denn das lateinische Wort «manipulus» (Bündel, Handvoll) leitet sich offensichtlich von «manus» (Hand) her.
Heinz Stahlhut