Valérie Favre, 19 Entrées
Valérie Favre wird am 18. August 1959 in Evilard in der Nähe von Biel geboren. Sie beginnt früh zu reisen und zieht Ende der 1970er Jahre ohne höheren Schulabschluss nach Paris. Ihr Ziel sind die Bühnen des Theaters. Hier in Paris beginnt Favre Theaterstücke und Performances zu inszenieren, arbeitet als Schauspielerin oder dreht selbst Filme, schreibt, fotografiert und entwirft installativ-bildhauerische Werke. Anfangs der 1990er Jahre entschliesst sie sich vollends der Malerei zuzuwenden.
Als Autodidaktin in allen künstlerischen Bereichen setzt sie für ihre Malerei Techniken und Themen ein, die aus anderen Kontexten stammen. So verbindet sie beispielsweise zeit- und körperbasierte Ausdrucksformen aus Film und Theater mit den 'statischen' aus der Malerei. Die Begegnung mit Jean-Luc Godard liefert Favre wichtige Impulse sowohl innerhalb der Auseinandersetzung mit ästhetischen Fragen als auch in bildnerischer Hinsicht. Godard erfand die Technik der sogenannten 'Jump-Cuts', ein springendes und diskontinuierliches Schnittverfahren, mit welchem er die Handlungsstränge zerlegt und zerreisst, um sie anschliessend konfrontierend zu hinterfragen. Diese Vorgehensweise wendet Favre in ihrer Malerei ebenfalls an. Sie zerlegt oder verschränkt die Motive, Figuren treten in stets neuer Kombination auf, die Bilder gehen auseinander hervor. Parallel arbeitet sie an verschiedenen Formen und Werkgruppen, dies alles unter ihrem Credo: „Ein Bild allein reicht nicht.“ Favres Lust am Erzählen und Malen erscheint in ihrem Werk offensichtlich, wobei sie keine Hemmungen bei der Wahl des Malstils kennt. Indem sie das rein Motivische gegen das rein Malerische stellt, ergeben sich Brüche. Ihre Bildserien besitzen keine linear verbindliche Narration, sondern lediglich Ansätze zu unterschiedlichen Geschichten und Parallelwelten. Sie malt und lässt sich vom Entstandenen inspirieren, ohne zunächst zu wissen, ob sich eine Verbindung herstellen wird. Seit Mitte der 1990er Jahre stellt sie in der „Balls and Tunnels-Serie“ jedes Jahr unter denselben Vorgaben ein abstraktes Bild her, wobei sie dessen Komposition weitgehend dem Zufall überlässt. Die Serie offenbart die Unzulänglichkeit der Trennung von Abstraktion und Figuration in der Malerei.
1998 siedelt Valérie Favre in die Malerhochburg Berlin um, wo sie seither lebt und arbeitet. Als 'akademisch ungelernte Malerin' ist sie entschlossen, sich erneut in der Fremde zu behaupten und ein eigenes Bildverständnis auszuformulieren. Sie spielt mit verschiedenen Mitteln der Selbstinszenierung und entwickelt in Berlin die Figur der Lapine Univers. Als Alter Ego der Künstlerin begonnen, emanzipiert sich die Kunstfigur im Laufe des Malens und ist seither in Favres Werk allgegenwärtig (KML 2010.6y). Die 'Universalhäsin' – vordergründig dem Klischee der Playboy-Bunnys nachempfunden – schlüpft in den Bildern in verschiedene Rollen, ohne dabei festen Zuschreibungen zu gehorchen. Sie nimmt beispielsweise den Platz weiblicher Gallionsfiguren wie der Columbia, oder Posen von Stars, Denkmälern und Figuren aus der Kunstgeschichte ein. Durch den Farbauftrag und die unscharfen Konturen erreichen die beinahe gesichtslosen Lapines jedoch kaum den Status einer Ikone. Vielmehr zeugen sie von einem spielerischen Umgang mit den gesellschaftlichen Rollen- und Geschlechterbildern der medialisierten Welt von heute.
Die Bedeutung der Literatur, des Theaters und des Films für Favres Arbeit widerspiegelt sich in ihrer seriellen Arbeitsweise. Favres Gesamtwerk gleicht einer grossen Erzählung, einem Drama, welches in sich geschlossen ist. „Im Grunde schreibe ich immer denselben Roman“, so die Künstlerin. Jedes Einzelwerk trägt als Teil zum Ganzen bei. Die Serien verfolgen die Handlungsstränge dieser Erzählung. Die meist grossformatigen Bilder erinnern an Kulissen oder Bühnenbilder und sind ein Hinweis auf Favres Ursprung in der Film- und Theaterwelt. Handlungsort sind märchenhafte Landschaften mit Mischwesen als Aktricen, welche in verschiedenen Serien immer wieder auftauchen. Favre bezieht sich in ihren Bildern einerseits auf kunsthistorische oder literarische Modelle und Themen. Hierbei interessiert sie sich unter anderem nebst Texten der britischen Theater-Schriftstellerin Sarah Kane sowohl für historische Maler wie Tizian, Diego Velazquez, Peter Paul Rubens, Jan Vermeer und Eugène Delacroix oder Pontorno und Parmigianino als auch für Künstler ihrer eigenen Gegenwart wie Willem de Kooning, Joseph Beuys, Eva Hesse oder Georg Baselitz. Andererseits offenbaren sich in ihren Bildern auch Geistes- und Gemütszustände. Ihre Malerei ist offen und frei für Interpretationen angelegt. Die Unbestimmtheit, inwiefern die Bilder vom Innenleben der Malerin handeln oder durch den Betrachter hineinprojiziert werden, ist gewollt. Die düster und beklemmend anmutenden Szenerien werden zwar mit potentiellen Geschichten aufgeladen, es liegt jedoch beim Betrachter selbst, diese den Werken einzuschreiben. Letztlich formuliert Favre in ihrem künstlerischen Schaffen kritische Kommentare zur heutigen Gesellschaft. Innerhalb ihrer Märchenwelten geben existenzielle Fragen Anlass zur Diskussion, gängige Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse werden aufgebrochen.
In der seit 2003 entstehenden „Selbstmord-Serie“ beispielsweise – einer in reduzierter Farbigkeit auf immer gleichem Standard-Bildformat angefertigten Sammlung – werden verschiedene Arten sich selbst zu töten aufgezeigt. Jüngst entwickelte Favre mit der „Columbia“ neben der Lapine eine weitere wichtige Frauengestalt. Das Markenzeichen der US Film- und TV-Produktionsfirma, die auch symbolhaften Charakter für die USA hat, dient Favre jedoch dazu, die populäre amerikanisierte Bildkultur auszubeuten. Die Frage nach der Möglichkeit neuer oder unbekannter Darstellungsformen eines bereits bekannten Sujets stellt sich unter anderem in den seit 2007 entstehenden „Redescriptions“. Die auf Rembrandt verweisende Darstellung der Kreuzabnahme wird bei Favre jedoch mit ihrem eigenen Figurenarsenal unterlaufen. Weiter finden sich sogenannte „Autoscooter Garagen“ (KML 2010.5x) – eine Anspielung auf die heutige Welt als Warengesellschaft und ihre gängigen Machtstrukturen.
Seit 2006 ist Valérie Favre Professorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin.
Patrizia Keller
Als Autodidaktin in allen künstlerischen Bereichen setzt sie für ihre Malerei Techniken und Themen ein, die aus anderen Kontexten stammen. So verbindet sie beispielsweise zeit- und körperbasierte Ausdrucksformen aus Film und Theater mit den 'statischen' aus der Malerei. Die Begegnung mit Jean-Luc Godard liefert Favre wichtige Impulse sowohl innerhalb der Auseinandersetzung mit ästhetischen Fragen als auch in bildnerischer Hinsicht. Godard erfand die Technik der sogenannten 'Jump-Cuts', ein springendes und diskontinuierliches Schnittverfahren, mit welchem er die Handlungsstränge zerlegt und zerreisst, um sie anschliessend konfrontierend zu hinterfragen. Diese Vorgehensweise wendet Favre in ihrer Malerei ebenfalls an. Sie zerlegt oder verschränkt die Motive, Figuren treten in stets neuer Kombination auf, die Bilder gehen auseinander hervor. Parallel arbeitet sie an verschiedenen Formen und Werkgruppen, dies alles unter ihrem Credo: „Ein Bild allein reicht nicht.“ Favres Lust am Erzählen und Malen erscheint in ihrem Werk offensichtlich, wobei sie keine Hemmungen bei der Wahl des Malstils kennt. Indem sie das rein Motivische gegen das rein Malerische stellt, ergeben sich Brüche. Ihre Bildserien besitzen keine linear verbindliche Narration, sondern lediglich Ansätze zu unterschiedlichen Geschichten und Parallelwelten. Sie malt und lässt sich vom Entstandenen inspirieren, ohne zunächst zu wissen, ob sich eine Verbindung herstellen wird. Seit Mitte der 1990er Jahre stellt sie in der „Balls and Tunnels-Serie“ jedes Jahr unter denselben Vorgaben ein abstraktes Bild her, wobei sie dessen Komposition weitgehend dem Zufall überlässt. Die Serie offenbart die Unzulänglichkeit der Trennung von Abstraktion und Figuration in der Malerei.
1998 siedelt Valérie Favre in die Malerhochburg Berlin um, wo sie seither lebt und arbeitet. Als 'akademisch ungelernte Malerin' ist sie entschlossen, sich erneut in der Fremde zu behaupten und ein eigenes Bildverständnis auszuformulieren. Sie spielt mit verschiedenen Mitteln der Selbstinszenierung und entwickelt in Berlin die Figur der Lapine Univers. Als Alter Ego der Künstlerin begonnen, emanzipiert sich die Kunstfigur im Laufe des Malens und ist seither in Favres Werk allgegenwärtig (KML 2010.6y). Die 'Universalhäsin' – vordergründig dem Klischee der Playboy-Bunnys nachempfunden – schlüpft in den Bildern in verschiedene Rollen, ohne dabei festen Zuschreibungen zu gehorchen. Sie nimmt beispielsweise den Platz weiblicher Gallionsfiguren wie der Columbia, oder Posen von Stars, Denkmälern und Figuren aus der Kunstgeschichte ein. Durch den Farbauftrag und die unscharfen Konturen erreichen die beinahe gesichtslosen Lapines jedoch kaum den Status einer Ikone. Vielmehr zeugen sie von einem spielerischen Umgang mit den gesellschaftlichen Rollen- und Geschlechterbildern der medialisierten Welt von heute.
Die Bedeutung der Literatur, des Theaters und des Films für Favres Arbeit widerspiegelt sich in ihrer seriellen Arbeitsweise. Favres Gesamtwerk gleicht einer grossen Erzählung, einem Drama, welches in sich geschlossen ist. „Im Grunde schreibe ich immer denselben Roman“, so die Künstlerin. Jedes Einzelwerk trägt als Teil zum Ganzen bei. Die Serien verfolgen die Handlungsstränge dieser Erzählung. Die meist grossformatigen Bilder erinnern an Kulissen oder Bühnenbilder und sind ein Hinweis auf Favres Ursprung in der Film- und Theaterwelt. Handlungsort sind märchenhafte Landschaften mit Mischwesen als Aktricen, welche in verschiedenen Serien immer wieder auftauchen. Favre bezieht sich in ihren Bildern einerseits auf kunsthistorische oder literarische Modelle und Themen. Hierbei interessiert sie sich unter anderem nebst Texten der britischen Theater-Schriftstellerin Sarah Kane sowohl für historische Maler wie Tizian, Diego Velazquez, Peter Paul Rubens, Jan Vermeer und Eugène Delacroix oder Pontorno und Parmigianino als auch für Künstler ihrer eigenen Gegenwart wie Willem de Kooning, Joseph Beuys, Eva Hesse oder Georg Baselitz. Andererseits offenbaren sich in ihren Bildern auch Geistes- und Gemütszustände. Ihre Malerei ist offen und frei für Interpretationen angelegt. Die Unbestimmtheit, inwiefern die Bilder vom Innenleben der Malerin handeln oder durch den Betrachter hineinprojiziert werden, ist gewollt. Die düster und beklemmend anmutenden Szenerien werden zwar mit potentiellen Geschichten aufgeladen, es liegt jedoch beim Betrachter selbst, diese den Werken einzuschreiben. Letztlich formuliert Favre in ihrem künstlerischen Schaffen kritische Kommentare zur heutigen Gesellschaft. Innerhalb ihrer Märchenwelten geben existenzielle Fragen Anlass zur Diskussion, gängige Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse werden aufgebrochen.
In der seit 2003 entstehenden „Selbstmord-Serie“ beispielsweise – einer in reduzierter Farbigkeit auf immer gleichem Standard-Bildformat angefertigten Sammlung – werden verschiedene Arten sich selbst zu töten aufgezeigt. Jüngst entwickelte Favre mit der „Columbia“ neben der Lapine eine weitere wichtige Frauengestalt. Das Markenzeichen der US Film- und TV-Produktionsfirma, die auch symbolhaften Charakter für die USA hat, dient Favre jedoch dazu, die populäre amerikanisierte Bildkultur auszubeuten. Die Frage nach der Möglichkeit neuer oder unbekannter Darstellungsformen eines bereits bekannten Sujets stellt sich unter anderem in den seit 2007 entstehenden „Redescriptions“. Die auf Rembrandt verweisende Darstellung der Kreuzabnahme wird bei Favre jedoch mit ihrem eigenen Figurenarsenal unterlaufen. Weiter finden sich sogenannte „Autoscooter Garagen“ (KML 2010.5x) – eine Anspielung auf die heutige Welt als Warengesellschaft und ihre gängigen Machtstrukturen.
Seit 2006 ist Valérie Favre Professorin für Malerei an der Universität der Künste Berlin.
Patrizia Keller