Rolf Winnewisser, 38 Entrées
Rolf Winnewisser wird am 5. Juni 1949 im solothurnischen Niedergösgen geboren, seine Kindheit und Jugend verbringt er in Luzern. In den Jahren 1966-1971 besucht er die Fachklasse für Grafik an der Schule für Gestaltung in Luzern. Nach dem Diplom absolviert er ein Praktikum bei einer renommierten Werbeagentur, doch der Beruf des Grafikers, der weitgehend ein kundenorientieres Denken verlangt, engt ihn schnell ein. Winnewisser konzentriert sich auf sein künstlerisches Schaffen und wird früh vom damaligen Konservator des Kunstmuseums Luzern Jean-Christophe Ammann unterstützt. Das künstlerische Klima im Luzern der 1970er Jahre ist inspirierend, in der allgemeinen Aufbruchsstimmung findet Winnewisser Anschluss an Künstlerkollegen wie Markus Raetz, Hugo Suter, Aldo Walker oder Martin Disler. Besonders die Freundschaft mit dem Bildhauer, Kunsttheoretiker und Schriftsteller Theo Kneubühler erweist sich als fruchtbar, der angeregte Meinungsaustausch über erkenntnistheoretische Fragen stimuliert gegenseitig. 1972 wird der 23-jährige Winnewisser von Harald Szeemann und Jean-Christophe Ammann nach Kassel an die documenta 5 eingeladen, im Jahr darauf an die Biennale des Jeunes in Paris.
Nach diesen ersten Erfolgen tritt er kurz entschlossen eine Stelle als Entwicklungshelfer in Afrika an und verbringt zwei Jahre in Tillaberi, Niger, als Zeichner in einem Hilfsprojekt für Alphabetisierung. Winnewisser zeichnet der einheimischen Bevölkerung Begriffe ihres Alltags, landwirtschaftliches Werkzeug, Wasserstellen, Vieh, Häuser. Es ist ein Experiment, sowohl für die Entwicklungshilfe als auch für den Künstler. Die Begegnung mit der fremden Kultur und der weiten Landschaft greifen tief, neben dem konkreten Auftrag bedeutet der Aufenthalt für Winnewisser eine Befreiung von seinem bisherigen einschränkenden Bildverständnis: „Afrika ist der biografische Ort, wo ich hinkam, nachdem ich das Bild verliess, das mich festzuhalten schien.“ sagt er rückblickend. Winnewisser flieht vor dem eindeutigen Bild und versucht auszuloten, was sein Verhältnis zum Bild in Erregung versetzt. In kleinen Heften hält er seine Eindrücke mit Aquarellen und Bleistiftzeichnungen fest. Es geht ihm dabei weniger um ein getreues Wiedergeben von realen Schauplätzen, es sind vielmehr Skizzen „einer inneren Reise“, wie er selbst sagt, „Landschaften beim Schliessen der Augen“, „Explodierende Flecken“. In Afrika entstehen auch die Vorstudien zu einer unbetitelten Serie von 17 Blättern, die zwei Jahre später erstmalig in der zusammen mit Theo Kneubühler und Aldo Walker konzipierten Ausstellung „Beryll Cristallo“ im Kunstmuseum Luzern gezeigt werden (vgl. KML 2006.136y). Nach seiner Rückkehr 1975 nimmt Winnewisser verschiedene Lehraufträge wahr, unter anderem an der Schule für Gestaltung Luzern und an der ETH in Zürich. Sein Leben ist von einem häufigen Ortswechsel gezeichnet – Luzern, Zürich, Banjul, New York, Schongau, Rom, London, Paris, Birrwil und Berlin sind Lebens- und Arbeitsorte.
1979 konzipiert Jean-Christophe Ammann, inzwischen Leiter der Kunsthalle Basel, zusammen mit Winnewisser die Einzelausstellung „Asymmetrisches und Reziprokes“. Die Ausstellung kommt bei Publikum und Kritik nicht an, Winnewissers Arbeiten gelten als zu unnahbar, zu introvertiert – es sind die „Neuen Wilden“, die mit expressiven Werken den Zeitgeist treffen. Winnewisser ist ernüchtert, doch der neuen Kunstmode will er sich nicht unterordnen. Den Schock des Nichtverstandenwerdens verstärkt indessen seine eigene künstlerische Position nachhaltig. Er kann, er will sich nicht für das Publikum übersetzen müssen. „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ sagte Paul Klee einst und meinte damit diese introspektive Position, die Winnewisser auch die nachfolgenden Jahre hartnäckig verfolgen sollte, und die ihn – neben einer Künstlerschar, die sich den herrschenden Kunstströmungen jeweils bedingungslos unterwirft – zum konsequenten Kunstschaffenden auszeichnet. Zahlreiche Kunst-Preise und Stipendien bestärken ihn: Dreimal wird Winnewisser unter anderem das Eidgenössische Kunststipendium und dreimal das Kiefer-Hablitzel-Stipendium zugesprochen.
Von 1987 bis 1988 stellt Winnewisser im kalten London im Atelier der Stiftung Landis & Gyr an der Carpenters Road 23 grossformatige Bilder auf Stoff her, die im Jahr 1990 im Kunstmuseum Luzern ausgestellt werden und von denen sich vier in Besitz des Kunstmuseums Luzern befinden (KML L 90.21x, L 2005.39x, 90.20x, F 89.11x). Die Ausstellung mit dem Titel „See a blob split a blank spot” findet anlässlich des Nordmann-Kunstpreises statt, der dem Künstler ein Jahr zuvor verliehen wird. In den nachkommenden Jahren wird es ruhiger um Winnewisser, bevor im Jahr 2008 sein Werk im Kunsthaus Aarau in einer umfangreichen Retrospektive ausgestellt wird.
Seit Ende der 1980er-Jahre signiert Rolf Winnewisser seine Werke mit „WIWI. R.“. Es ist die Zeit, in der Winnewisser beginnt Super-8-Filme zu drehen und sich mit der Bühne als Bildmodell zu beschäftigen. Die neue Signatur kann einerseits als Verknappung seines eigenen Namens verstanden werden und bedeutet in einer phonetischen Umsetzung andererseits die etwas ominöse Gleichsetzung „wie wir“. In diese Mehrzahl gebettet und stets gestempelt, strahlt das Kürzel eine unpersönliche Förmlichkeit aus. Eine Künstler-Marke mit einer gleichzeitigen Neutralisierung der Herkunft: Der Künstler stellt her, doch will er nicht als Autor eines hermeneutischen Sinnes verstanden werden. Gemäss Winnewisser, der sich intensiv mit den Schriften von Gilles Deleuze oder Jacques Derrida auseinander gesetzt hat, kann dieser immer nur Produkt der menschlichen Wahrnehmung, das Bild somit „Liniengerüst einer Vorstellung“, eine innere Fiktion sein. Entsprechend sucht Winnewisser mit vielgestaltigen Ausdrucksmitteln nach gebrochenen, nach mehrdeutigen Bildern, die in einem Prozess des permanenten Umschichtens, Umwandelns, Zusammenfügens entstehen. Sein bevorzugtes Bildmedium, das Aquarell, erlaubt ein Arbeiten in transparenten Schichten, der „selbstvergessene Pinsel“ malt Flächen und Linien, die in einem Wechselspiel von Zeigen und Verdecken wie ein Lasso Bilder einfangen, um sie noch im Greif-Akt wieder entgleiten zu lassen. Mit einer multiperspektiven Bildsprache konfrontiert, muss sich der Betrachter auf die inneren Zustandsbilder einlassen – ein Unterfangen, das nicht nur einfach fällt.
Rolf Winnewisser geht stets bewusst über die Grenzen der bildenden Kunst hinaus. So steht etwa das Schreiben gleichberechtigt und ähnlich enigmatisch neben dem bildnerischen Schaffen. Rolf Winnewisser versucht nicht, das Bild mit der Sprache einzufangen, Bild- und Schreibarbeit laufen vielmehr parallel, sie stimulieren und ergänzen sich gegenseitig. Der Schreibende beobachtet, was der Maler macht, der Maler malt dem Schreibenden zu. Indem die Texte anstelle von analysierenden Erklärungen nur weitere verwirrende Textbruchstücke anbieten, beweisen sie, dass Winnewisser auch die Autonomie von literarischen Bestandteilen unbeirrt erprobt. Dabei schafft er ein sprachbildliches Assoziationsnetz, das dem Lesenden unendlich viel Platz für eigene Interpretationsansätze einräumt.
Denise Frey
Nach diesen ersten Erfolgen tritt er kurz entschlossen eine Stelle als Entwicklungshelfer in Afrika an und verbringt zwei Jahre in Tillaberi, Niger, als Zeichner in einem Hilfsprojekt für Alphabetisierung. Winnewisser zeichnet der einheimischen Bevölkerung Begriffe ihres Alltags, landwirtschaftliches Werkzeug, Wasserstellen, Vieh, Häuser. Es ist ein Experiment, sowohl für die Entwicklungshilfe als auch für den Künstler. Die Begegnung mit der fremden Kultur und der weiten Landschaft greifen tief, neben dem konkreten Auftrag bedeutet der Aufenthalt für Winnewisser eine Befreiung von seinem bisherigen einschränkenden Bildverständnis: „Afrika ist der biografische Ort, wo ich hinkam, nachdem ich das Bild verliess, das mich festzuhalten schien.“ sagt er rückblickend. Winnewisser flieht vor dem eindeutigen Bild und versucht auszuloten, was sein Verhältnis zum Bild in Erregung versetzt. In kleinen Heften hält er seine Eindrücke mit Aquarellen und Bleistiftzeichnungen fest. Es geht ihm dabei weniger um ein getreues Wiedergeben von realen Schauplätzen, es sind vielmehr Skizzen „einer inneren Reise“, wie er selbst sagt, „Landschaften beim Schliessen der Augen“, „Explodierende Flecken“. In Afrika entstehen auch die Vorstudien zu einer unbetitelten Serie von 17 Blättern, die zwei Jahre später erstmalig in der zusammen mit Theo Kneubühler und Aldo Walker konzipierten Ausstellung „Beryll Cristallo“ im Kunstmuseum Luzern gezeigt werden (vgl. KML 2006.136y). Nach seiner Rückkehr 1975 nimmt Winnewisser verschiedene Lehraufträge wahr, unter anderem an der Schule für Gestaltung Luzern und an der ETH in Zürich. Sein Leben ist von einem häufigen Ortswechsel gezeichnet – Luzern, Zürich, Banjul, New York, Schongau, Rom, London, Paris, Birrwil und Berlin sind Lebens- und Arbeitsorte.
1979 konzipiert Jean-Christophe Ammann, inzwischen Leiter der Kunsthalle Basel, zusammen mit Winnewisser die Einzelausstellung „Asymmetrisches und Reziprokes“. Die Ausstellung kommt bei Publikum und Kritik nicht an, Winnewissers Arbeiten gelten als zu unnahbar, zu introvertiert – es sind die „Neuen Wilden“, die mit expressiven Werken den Zeitgeist treffen. Winnewisser ist ernüchtert, doch der neuen Kunstmode will er sich nicht unterordnen. Den Schock des Nichtverstandenwerdens verstärkt indessen seine eigene künstlerische Position nachhaltig. Er kann, er will sich nicht für das Publikum übersetzen müssen. „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ sagte Paul Klee einst und meinte damit diese introspektive Position, die Winnewisser auch die nachfolgenden Jahre hartnäckig verfolgen sollte, und die ihn – neben einer Künstlerschar, die sich den herrschenden Kunstströmungen jeweils bedingungslos unterwirft – zum konsequenten Kunstschaffenden auszeichnet. Zahlreiche Kunst-Preise und Stipendien bestärken ihn: Dreimal wird Winnewisser unter anderem das Eidgenössische Kunststipendium und dreimal das Kiefer-Hablitzel-Stipendium zugesprochen.
Von 1987 bis 1988 stellt Winnewisser im kalten London im Atelier der Stiftung Landis & Gyr an der Carpenters Road 23 grossformatige Bilder auf Stoff her, die im Jahr 1990 im Kunstmuseum Luzern ausgestellt werden und von denen sich vier in Besitz des Kunstmuseums Luzern befinden (KML L 90.21x, L 2005.39x, 90.20x, F 89.11x). Die Ausstellung mit dem Titel „See a blob split a blank spot” findet anlässlich des Nordmann-Kunstpreises statt, der dem Künstler ein Jahr zuvor verliehen wird. In den nachkommenden Jahren wird es ruhiger um Winnewisser, bevor im Jahr 2008 sein Werk im Kunsthaus Aarau in einer umfangreichen Retrospektive ausgestellt wird.
Seit Ende der 1980er-Jahre signiert Rolf Winnewisser seine Werke mit „WIWI. R.“. Es ist die Zeit, in der Winnewisser beginnt Super-8-Filme zu drehen und sich mit der Bühne als Bildmodell zu beschäftigen. Die neue Signatur kann einerseits als Verknappung seines eigenen Namens verstanden werden und bedeutet in einer phonetischen Umsetzung andererseits die etwas ominöse Gleichsetzung „wie wir“. In diese Mehrzahl gebettet und stets gestempelt, strahlt das Kürzel eine unpersönliche Förmlichkeit aus. Eine Künstler-Marke mit einer gleichzeitigen Neutralisierung der Herkunft: Der Künstler stellt her, doch will er nicht als Autor eines hermeneutischen Sinnes verstanden werden. Gemäss Winnewisser, der sich intensiv mit den Schriften von Gilles Deleuze oder Jacques Derrida auseinander gesetzt hat, kann dieser immer nur Produkt der menschlichen Wahrnehmung, das Bild somit „Liniengerüst einer Vorstellung“, eine innere Fiktion sein. Entsprechend sucht Winnewisser mit vielgestaltigen Ausdrucksmitteln nach gebrochenen, nach mehrdeutigen Bildern, die in einem Prozess des permanenten Umschichtens, Umwandelns, Zusammenfügens entstehen. Sein bevorzugtes Bildmedium, das Aquarell, erlaubt ein Arbeiten in transparenten Schichten, der „selbstvergessene Pinsel“ malt Flächen und Linien, die in einem Wechselspiel von Zeigen und Verdecken wie ein Lasso Bilder einfangen, um sie noch im Greif-Akt wieder entgleiten zu lassen. Mit einer multiperspektiven Bildsprache konfrontiert, muss sich der Betrachter auf die inneren Zustandsbilder einlassen – ein Unterfangen, das nicht nur einfach fällt.
Rolf Winnewisser geht stets bewusst über die Grenzen der bildenden Kunst hinaus. So steht etwa das Schreiben gleichberechtigt und ähnlich enigmatisch neben dem bildnerischen Schaffen. Rolf Winnewisser versucht nicht, das Bild mit der Sprache einzufangen, Bild- und Schreibarbeit laufen vielmehr parallel, sie stimulieren und ergänzen sich gegenseitig. Der Schreibende beobachtet, was der Maler macht, der Maler malt dem Schreibenden zu. Indem die Texte anstelle von analysierenden Erklärungen nur weitere verwirrende Textbruchstücke anbieten, beweisen sie, dass Winnewisser auch die Autonomie von literarischen Bestandteilen unbeirrt erprobt. Dabei schafft er ein sprachbildliches Assoziationsnetz, das dem Lesenden unendlich viel Platz für eigene Interpretationsansätze einräumt.
Denise Frey