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Adrian Schiess, 5 Entrées

Adrian Schiess wird am 3. August 1959 in Zürich geboren, wo er auch seine Kinder- und Jugendzeit verbringt. Nach dem Vorkurs an der Kunstgewerbeschule Zürich macht er von 1976 bis 1980 eine Grafikerlehre. Trotz zweier eidgenössischer Stipendien für angewandte Kunst, die der jungen Künstler 1981 und 1985 erhält, führt ihn sein Weg bereits früh in die Welt der freien Künste: schon als 17jähriger beschäftigen ihn die Werke von Judd, Kounellis, Pennone und Flavin, der Eindruck der Arte Povera und vor allem der Minimal Art sollte sich nachhaltig auswirken. Eine erste Einzelausstellung findet 1981 in der Galerie Bob Gysin in Dübendorf statt, 1984 bietet die Winterthurer Kunsthalle Waaghaus erstmals eine grössere Ausstellungsfläche. Auf dem Ausstellungsboden verteilt Schiess bemalte Holzstücke und Kartons, ein Jahr später stapelt er in der Shedhalle Zürich gerissene Papiere, die er „Fetzen“ nennt und als Werkserie bis in die Gegenwart herstellen sollte. Indem die Kartons, Hölzer und farbigen Papiere sich stark räumlich artikulieren, betonen sie ihre Objekthaftigkeit – und kippen dennoch immer wieder in eine malerische Präsenz zurück.

Die ausgestellten Stückwerke und Fragmente sind zu diesem Zeitpunkt aber auch als Rebellion gegen die damals vorherrschenden künstlerischen Positionen zu verstehen: Adrian Schiess, der auch als Musiker in einer Punk-Band spielt, malt gegen die 68er-Mentalität der „Jungen Wilden“ an, deren expressive Malereien auf dem Kunstmarkt für Furore sorgen. Ihre konzeptuellen Positionen fordern immerwährende Diskussions- und Legitimationszwänge, denen sich der Künstler nicht unterziehen will, und die ausufernde affektierte Malgeste – „quadratkilometerweise malen Sie irgendwelche Mythologien und sowas“ – ist ihm grundsätzlich zu illustrativ, zu geschwätzig. Reduziert und gleichzeitig eine grösstmögliche Offenheit beinhaltend soll seine eigene Arbeit dem Pathos eines Martin Dislers entgegen treten und sich von jeglichen ideologischen Standpunkten distanzieren. Das Werk soll in seiner Ungegenständlichkeit und Serialität den „Sinn zerstreuen“, auf nichts hindeuten und unter keinen Umständen auf sich selbst verweisen. Ab Ende 1984 reduziert Schiess den Pinselgestus und seine Arbeiten werden immer monochromer und reihen sich damit in die Tradition der monochromen Malerei ein. Früh stellt Schiess das Einzelbild in Frage. Es scheint ihm nicht möglich, ein repräsentierendes Bild in einer abgeschlossenen Ganzheit des traditionellen Tafelbildes herzustellen, die einzelnen Arbeiten sind daher Fragmente von stetig wachsenden Werkkomplexen. Um die Aura des Unikates vollständig zu brechen, entzieht Schiess seinen Arbeiten die Vertikalität der Wand, die als legitimierender Faktor stets unterstützend wirkt, und bespielt stattdessen den Boden.

Im Jahr 1987 entstehen parallel zu den „Fetzen“ die ersten „Flachen Arbeiten“: Mit Industrielack bemalte, rechteckige Spanplatten im handelsüblichen Format, die auf Kanthölzern aufliegen und grosse Flächen des Ausstellungsbodens besetzen. Im Glanz der Oberfläche spiegelt sich die Umgebung, die dadurch zum Bestandteil der Malerei wird. 1990 findet im Kunsthaus Aarau im neutralen Museumsraum die erste grossangelegte Präsentation der „Flachen Arbeiten“ statt, später im gleichen Jahr sind an der Biennale von Venedig in der Kirche San Staë ähnliche Arbeiten ausgestellt und erzeugen dort im Zusammenspiel mit der barocken Architektur eine völlig andere Wirkung. Kurze Zeit darauf ersetzt Schiess die Spanplatte durch grössengenormte Aluminiumverbundplatten, auf deren harten Oberfläche der Glanz des Industrielackes sich noch stärker zu entfalten vermag. Als methodische Perfektionierung und konsequente Weiterentwicklung erweist sich der Schritt zur industriellen Bemalung: Die Farbe wird nunmehr durch Fachleute aufgespritzt und erzeugt in dieser professionellen Handhabung eine noch homogenere Qualität. Spiegelglatt wird sie zu einem optimalen Reflektor, der im Zusammenspiel mit dem eigenen Farbklang die Umgebung räumlich strukturiert und definiert. Der Anteil des Künstlers reduziert sich auf der Auswahl der Farbe, diese „Begierde“, wie er es selbst nennt, eine bestimmte Farbe ausdehnen zu lassen. Im selben Jahr verlässt Adrian Schiess die Schweiz, um durch einen Ortswechsel neue Anregungen zu finden. Südfrankreich, wo er zuvor noch nie war, bietet die erwünschte kulturelle Veränderung, in Mouans-Sartoux findet er ein geeignetes Atelier. Seit 1994 ergänzt Schiess die „Fetzen“ und die „Flache Arbeiten“ durch grossformatige, mehrteilige Fotografien und vor allem Monitorarbeiten, die im langsamen Ablauf verschiedene Farb- und Lichtreflexe und damit das zentrale Thema Schiess’ – die Farbe – visualisieren. Ein Computerprogramm übernimmt die Farbabfolge auf dem Bildschirm, der Schritt von einer industriellen zu einer technologischen Produktionsweise beinhaltet auch eine fortschreitende Anonymisierung und Entsubjektivierung. Auch die Beschaffenheit der Malerei entkörpert sich: Sie ist nun zugleich immaterielle Lichtquelle, die in den Raum erleuchtet und den Betrachter in ihrer langsamen Änderung zur Ruhe zwingt.

Während sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seit den 80er-Jahren entscheidend geändert haben, folgt der Künstler beharrlich dem eingeschlagenen Weg. Trotz der Objektbezogenheit seiner Werke bezieht der Künstler klare Position: „Ich bin ein Maler, der seit Mitte der achtziger Jahre an einem work in progress, einem einzigen grossen, unendlichen, sich ständig verändernden und zerstreuenden Bild malt. Einem Bild, welches aus einer sich erweiternden Zahl von zumeist farbig lackierten, pixelartigen Einzelteilen und auch farbigem Licht besteht.“ Sein Werk provoziert wesentliche Fragen zur Malerei. Es stellt Fragen nach der Definition des Bildes als Objekt, nach der Reduktion des Bildes auf die Monochromie und nach der Möglichkeit einer gleichzeitigen räumlichen Entgrenzung. Mit zufällig gerissenen, schrundig bemalten „Fetzen“, mit glattlackierten monochromen „Flachen Arbeiten“ und mit digitaler Malerei schafft Schiess neutrale, offene und anonyme Werke, die im Zusammenspiel mit dem Umraum über ihre werkimmanente Grenze hinaus spielen und den Betrachter in den Bann einer multi-orchestrierten Farb- und Formensymphonie ziehen.

Denise Frey
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