Walter Helbig, 4 Einträge
Zurück in Dresden hilft er Gussmann bei der Ausmalung einer grossen Kirche. 1905 lässt sich der junge Künstler in Hamburg nieder, wo er die Pianistin und Altistin Elisabeth Goetze kennenlernt, die er vier Jahre später heiratet. Häufig besucht Helbig Berlin, um dort Kontakte zu bekannten Künstlerkreisen zu pflegen. Er wird Mitglied der Neuen Secession, die sich aufgrund von Zulassungsunstimmigkeiten von der offiziellen Berliner Secession abgespaltet hat, und macht über Otto Mueller Bekanntschaft mit den Malern der Künstlergruppe "Brücke". Ausserdem hält er Verbindungen zum "Blauen Reiter" in München, wo er 1911, im Gründungsjahr der Künstlergruppe, in der Galerie von Hans Goltz ausstellt.
Im Herbst desselben Jahres lässt sich Helbig zusammen mit seiner Frau in Weggis am Vierwaltstättersee in einem Haus mit angebautem, geräumigem Atelier nieder. Schon zuvor hat er in Briefen an seine Frau einen diffusen Wunsch, auf dem Land zu leben, geäussert, allerdings nicht ohne die Bedenken, dass man dort "kaum das Gefühl, mal mitten drin zu sein" habe, "und daran liegt mir jetzt gerade." Der Rückzug ins ländliche Weggis führt ihn jedoch nicht in die Isolation, sondern zu jungen Künstlern wie Hans Arp und Oscar Lüthy, mit denen er noch im gleichen Jahr den "Modernen Bund" gründet. Die erste avantgardistische Künstlervereinigung der Schweiz versteht sich als Teil der internationalen Bewegung und will durch gemeinsame Ausstellungstätigkeiten das Interesse eines breiteren Publikums für neue Kunstströmungen wecken. Dabei kann die Künstlergruppe von Helbigs Erfahrungen mit der Brücke und der Neuen Secession sowie von seinen diversen Kontakten zu verschiedenen deutschen Gemeinschaften und Kunstszenen profitieren.
Helbigs Werke aus der Zeit des Modernen Bundes sind gekennzeichnet durch einen abrupten Wechsel von einer eher ideell geprägten Tonmalerei zu einer expressiven Formensprache. Vor allem in seinen Holzschnitten, wo er die neuen Ausdrucksmittel zuerst erprobt, lehnt Helbig sich deutlich an die Brückemaler und deren archaisierende, abstrahierende Gestaltungsweise an.
1913 reist der Künstler, gemeinsam mit Arp und Lüthy, zum ersten Mal nach Paris. Ende Oktober zieht er sich an den Lago Maggiore zurück, wo er sich während einer künstlerischen Krise um den authentischen persönlichen Ausdruck bewusst den übermächtigen Tendenzen von Abstraktion und Kubismus verschliesst. Im Jahr darauf erkennt er beim Betrachten von Giottos Fresken in Padua, dass ihm ob der Beschäftigung mit den neuen Ausdrucksmitteln die einfache Umsetzung des ursprünglichen, gefühlsmässigen Erlebnisses verloren gegangen ist.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz zieht er mit seiner Frau nach Zürich, wo sie die kommenden zehn Jahre verbringen. Er unterhält Kontakte mit der Dada-Bewegung, beteiligt sich aber nicht an deren eigentlichen Aktivitäten oder Soirées. 1919 ist er Mitunterzeichner des "Manifests radikaler Künstler", worin Ideen der Berliner Novembergruppe, insbesondere deren Ziel, die kommende ideelle Entwicklung im Staate mitzubestimmen, aufgegriffen werden. Sein künstlerisches Schaffen nimmt nach dem Ersten Weltkrieg eine Wende hin zu religiösen und mythischen Themen. Der Malvorgang als solcher gewinnt dabei an Bedeutung, während aus der tastbaren menschlichen Figur ein schemenhaftes Wesen wird.
1924 siedelt Helbig ins Tessin nach Ascona über und gründet, wie schon nach seinem Umzug nach Weggis, im selben Jahr eine Künstlergruppe. Die Vereinigung "Der grosse Bär" setzt sich, analog zum gleichnamigen Himmelsgestirn, aus sieben Künstlern zusammen (u.a. Marianne von Werefkin, Albert Kohler und Ernst Frick). Auch diese Gruppe bleibt wie der Moderne Bund ohne Statuten und ist rein praktisch ausgerichtet. Durch eine gemeinsame Ausstellungstätigkeit erhofft man sich beispielsweise mehr Resonanz beim Kunstpublikum.
Anregungen des synthetischen Kubismus führen Helbig 1930 zu abstrahierenden Bildern und er nimmt in Paris, wo er zwischen 1930–32 die Wintermonate verbringt, an Ausstellungen der abstrakt arbeitenden Gruppe "1940" teil. Kurz darauf werden die Bilder wieder gegenständlicher, um dann gegen Ende der 1950er Jahre ihre Gegenständlichkeit vollends zu verlieren. Zeichen schweben vor einem unbestimmbaren Bildgrund, die scharf umrissenen Formen lösen sich an den Rändern auf. In diesem Spätwerk verwirklicht Helbig das bereits früher verspürte Bedürfnis nach der Realisierung eines inneren Bildes und nach der Gestaltung eines Farbklangs. Darin ist auch eine Konstante des Werks zu entdecken, das ansonsten durch eine Auseinandersetzung mit den verschiedensten Stilrichtungen geprägt ist.
1968 organisiert Helbig seine letzte Einzelausstellung anlässlich seines 90. Geburtstages. Kurz vor der Eröffnung stirbt er am Abend des 26. März 1968.
Regine Fluor-Bürgi
Hübner, Klaus, "Der Kampf der "Wilden" gegen das Alte. Der Moderne Bund im Kunstmuseum Luzern", in: kunst:art. Die kostenlose Zeitung für Kunst und Künstler, Juli-August, 2011, S. 10
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Landpartie - Die Sammlung des Kunstmuseums Luzern auf Reisen im Kanton, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Theo Kneubühler, Ulrich Loock und André Rogger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1998
Radlach-Pries, Viola Maria/Barzaghini, Mario/Brentini, Fabrizio, Walter Helbig, Locarno: Pinacoteca comunale, Casa Rustica, 1993
Ehrli, Viviane/Wartmann, Wilhelm/Kisling, Richard, Der Moderne Bund, Sarnen: Ehrli Druck, 1982
Radlach, Viola M., Walter Helbig. Spuren seines Frühwerks: 1896-1924, Zürich: Universität Zürich, 1982
Aarau, Aargauer Kunsthaus, Künstlergruppen in der Schweiz 1910-1936, mit Texten von Viviane Ehrli et al., Aarau: Aargauer Kunsthaus, 1981
Kern, Walter, "Der Moderne Bund (1910-1913)", in: Werk, Heft 11, November 1965, S. 411-418