Jean-Frédéric Schnyder, 8 Einträge
Jean-Frédéric Schnyder, geboren am 16. Mai 1945 in Basel, verbringt seine Jugend im Berner Waisenhaus. Nach einer Ausbildung zum Fotograf in Olten (1962–65) arbeitet er als autodidaktischer Künstler. Für seine frühen, der Pop Art verwandten Objekte erhält er 1966 das eidgenössische Stipendium für angewandte Kunst. Vom Berner Galerist Toni Gerber, den Ausstellungsmachern Jean-Christophe Ammann und Harald Szeemann geschätzt und gefördert, nimmt er an den Ausstellungen „12 Environments“ (1968) und „When Attitudes Become Form – Live in your Head“ in der Kunsthalle Bern (1969) teil. Während Schnyder zahlreiche Angebote von Kuratoren und Sammlern ausschlägt, werden seine Werke an der „documenta 5“ (1972) sowie der „documenta 7“ (1982) in Kassel gezeigt. 1993 vertritt er die Schweiz an der „Biennale di Venezia“. Schnyders nach wie vor skeptische Haltung dem zentrumsfixierten Kunstbetrieb gegenüber zeigt sich nicht zuletzt an seinem Rückzug in die urbane Peripherie. Von 1973 bis 1975 und zwischen 1979 und 1982 lebt er mit seiner Frau Margret im Engadin, anschliessend in Uttigen bei Thun und seit 1996 in Zug. Periodisch würdigen Übersichtausstellungen wie zuletzt im Museum für Gegenwartskunst Basel (2007) seine widerständigen Arbeiten, die Fotografie, Malerei, Skulptur, Objektinstallationen ebenso wie Keramik umfassen.
Während sich die Grenzen der Kunst in den 1960er Jahren erweitern, zeigen auch Jean-Frédéric Schnyders frühe fotografische Farbuntersuchungen, taktile Objektinstallationen oder Holzschnitzarbeiten eine medienübergreifend breite Arbeitsweise mit konzeptuellem Ansatz. In den frühen 1970er Jahren entstehen unter anderem Werke wie „Insignien“ (1972, KML 85.34w) oder eine Reihe von Aquarellen ohne Titel. Hier zitiert er die Bildsprache des Comics, der Werbegrafik und Modezeichnung. Ob Aquarell oder Objekt – es handelt sich um Kunst, die sich von den grossen Erzählungen abgewandt hat, um ihre Themen in der Trivialkultur zu finden. Dabei wird das Banale und Alltägliche, das alle Menschen zwar verbindet, sie jedoch in jeweils unterschiedlicher Weise bewegt, gewichtet.
Das frühe Hauptwerk „Apocalypso“ (1976–78) erscheint dagegen auch als nonchalanter Kommentar auf die Kunstgeschichte. Hier fügt Jean-Frédéric Schnyder sein Formenrepertoire zu einer dreiteiligen, monumentalen Bilderzählung, die Tod, Leben und Erlösung umfasst. In seinem fantastischen Universum verschränken sich Apokalypse und Assoziationen des Wortes ‚Calypso’ zu einem Jüngsten Gericht, wie es die zeitgenössische Vorstellungswelt hervorbringt. Das Werk wird zum Ausgangspunkt einer endlosen Reihe von Querbezügen. Vom Totentanz vor Saturnmond bis zum Tropen-Paradies bezieht Schnyder die menschliche Sehnsucht nach Exotik und Erotik ein, um so schliesslich Mythen des Alltags wie den Marsmenschen, die Südseeinsel oder das Varieté zu dekonstruieren.
In der Auseinandersetzung mit seinem persönlichen Lebensraum entstehen während der 1980er Jahre mehrere Werkserien von Ölbildern unterschiedlicher Sujets. Charakteristisch für Schnyders Malerei wird ein vielfach pastoser Farbauftrag sowie die systematische Verwertung der Werkstoffe vom Farbrest bis zum Putzlappen. Sogar die Bedingungen, beziehungsweise Kommentare oder Begegnungen während des Arbeitsprozesses veröffentlicht er hin und wieder im Anhang von Ausstellungskatalogen. Seine stets stilbewusste, dem Handwerk verpflichtete Malweise mit dem Spachtel lotet anhand von Sujets wie einem Würfelzucker, dem Hund „Dritchi“ oder gar dem Hakenkreuz die Malerei als technische Fertigkeit am Rande des ‚guten’ Geschmacks aus. Während sich Malen und Basteln angeregt durch Fernsehsendungen oder Kurse seit den 1970er Jahren als ‚Hobbies’ etablieren, absorbiert Schnyders Arbeit Techniken und Produkte ebendieser populärkulturellen Freizeitindustrie. Oft verpackt er sie in Erscheinungsformen des Volkstümlichen oder nutzt die Bildrhetorik des Witzes. Dennoch handelt es sich bei Schnyders Gratwanderungen an der Grenze zum Kitsch nicht um ironische Setzungen. Er suche vielmehr stets das ‚Normale’, erklärt er 1987 anlässlich seiner ersten grossen Werkschau in der Kunsthalle Basel. Diese Ernsthaftigkeit, abgesehen von der Ausdauer, mit der er seine Interessen verfolgt, machen seine Arbeiten widerständig. Den Ironieverdacht mag eine motivische Nähe zu Werken Martin Kippenbergers nähren. In ihrer Haltung, zielen Schnyders Arbeiten aber vielmehr auf die ständig zwischen lieblich und bösartig, zwischen abwechslungsreich und monoton changierende Wahrnehmung des Alltäglichen. Die unverkrampft bejahende und zugleich doppelbödige Rezeption des Trivialen mit Tendenz zum Kunsthandwerk ist insbesondere in den 1990er-Jahren als künstlerische Strategie verbreitet. Im Vergleich zu Werken wie „Puppy“ von 1993 – einer monumentalen Blumenskulptur in Hundeform von Jeff Koons – kommen Schnyders Arbeiten mit subtileren Gesten aus. Mit einem für die Tradition der Alten Meister wie die Betätigung des kleinbürgerlichen Sonntagsmalers ebenso ausgeprägten Sinn gelingt es Jean-Frédéric Schnyder schliesslich in Inventur-artig angelegten Werkreihen wie den „Berner Veduten“ (1982), den in 92 Bildern festgehaltenen „Wartesälen“ (1988–89) oder den „Bänkli“ (1989–90) nicht nur, die schweizerische Agglomerationslandschaft einzufangen. In traditioneller Pleinair-Malerei entstehen darüber hinaus Porträts des Durchschnittlichen, die den sozialen Raum vermessen. In dieser Hinsicht lassen sie sich auch mit Arbeiten der Künstler Fischli/Weiss vergleichen.
In den 1990er Jahren dominieren weiterhin konzeptionell angelegte Bildserien Schnyders Werk. Übersichtsausstellungen im Aargauer Kunsthaus Aarau (1988–1991) und dem Kunstmuseum Bern (1992) tragen sie an eine breitere Öffentlichkeit. Schliesslich stellt Jean-Frédéric Schnyder im Schweizerischen Pavillon an der „Biennale di Venezia“ 119 Ansichten von Autobahnabschnitten der Strecke St. Margrethen–Genf, den Gemäldezyklus „Wanderung“ (1992–93), aus. Nachdem es Mitte der 1990er Jahre ruhiger um ihn wird, meldet er sich am Wendepunkt zum neuen Jahrtausend zunächst mit einem Panoptikum von „Sonnenuntergängen“ (1998) und schliesslich mit einer 1000 Aufnahmen umfassenden Fotoarbeit zurück. „Baarerstrasse/Zugerstrasse“ (1999/2000) zeigt einen bewusst referenziellen Zugang. Strukturell entspricht das auffaltbare Fotoleporello Ed Ruschas Strassenpanorama „Every Building on the Sunset Strip“ von 1965. An die Stelle des legendären Abschnitts des vierspurigen Sunset-Boulevards tritt bei Schnyder aber die Haupt- und Ausfallachse seines Wohnortes Zug. Wiederum geht er hier der Frage nach, was passiert, wenn ein spezifisches, künstlerisches Konzept übernommen und unter den eigenen Lebensbedingungen umgesetzt wird.
2010 entsteht eine Gruppe von geschnitzten Holzobjekten, deren Titel „Bett“, „Kommode“ oder „Uhr“ wiederum auf die Auseinandersetzung mit dem Gewöhnlichen verweisen. In handwerklicher Präzisionsarbeit schafft Jean-Frédéric Schnyder Fetisch-Objekte für den Liebhaber der feinen Verschiebung von Form und Inhalt und knüpft damit an Frühwerke wie „Insignien“ an.
Gabrielle Schaad
Während sich die Grenzen der Kunst in den 1960er Jahren erweitern, zeigen auch Jean-Frédéric Schnyders frühe fotografische Farbuntersuchungen, taktile Objektinstallationen oder Holzschnitzarbeiten eine medienübergreifend breite Arbeitsweise mit konzeptuellem Ansatz. In den frühen 1970er Jahren entstehen unter anderem Werke wie „Insignien“ (1972, KML 85.34w) oder eine Reihe von Aquarellen ohne Titel. Hier zitiert er die Bildsprache des Comics, der Werbegrafik und Modezeichnung. Ob Aquarell oder Objekt – es handelt sich um Kunst, die sich von den grossen Erzählungen abgewandt hat, um ihre Themen in der Trivialkultur zu finden. Dabei wird das Banale und Alltägliche, das alle Menschen zwar verbindet, sie jedoch in jeweils unterschiedlicher Weise bewegt, gewichtet.
Das frühe Hauptwerk „Apocalypso“ (1976–78) erscheint dagegen auch als nonchalanter Kommentar auf die Kunstgeschichte. Hier fügt Jean-Frédéric Schnyder sein Formenrepertoire zu einer dreiteiligen, monumentalen Bilderzählung, die Tod, Leben und Erlösung umfasst. In seinem fantastischen Universum verschränken sich Apokalypse und Assoziationen des Wortes ‚Calypso’ zu einem Jüngsten Gericht, wie es die zeitgenössische Vorstellungswelt hervorbringt. Das Werk wird zum Ausgangspunkt einer endlosen Reihe von Querbezügen. Vom Totentanz vor Saturnmond bis zum Tropen-Paradies bezieht Schnyder die menschliche Sehnsucht nach Exotik und Erotik ein, um so schliesslich Mythen des Alltags wie den Marsmenschen, die Südseeinsel oder das Varieté zu dekonstruieren.
In der Auseinandersetzung mit seinem persönlichen Lebensraum entstehen während der 1980er Jahre mehrere Werkserien von Ölbildern unterschiedlicher Sujets. Charakteristisch für Schnyders Malerei wird ein vielfach pastoser Farbauftrag sowie die systematische Verwertung der Werkstoffe vom Farbrest bis zum Putzlappen. Sogar die Bedingungen, beziehungsweise Kommentare oder Begegnungen während des Arbeitsprozesses veröffentlicht er hin und wieder im Anhang von Ausstellungskatalogen. Seine stets stilbewusste, dem Handwerk verpflichtete Malweise mit dem Spachtel lotet anhand von Sujets wie einem Würfelzucker, dem Hund „Dritchi“ oder gar dem Hakenkreuz die Malerei als technische Fertigkeit am Rande des ‚guten’ Geschmacks aus. Während sich Malen und Basteln angeregt durch Fernsehsendungen oder Kurse seit den 1970er Jahren als ‚Hobbies’ etablieren, absorbiert Schnyders Arbeit Techniken und Produkte ebendieser populärkulturellen Freizeitindustrie. Oft verpackt er sie in Erscheinungsformen des Volkstümlichen oder nutzt die Bildrhetorik des Witzes. Dennoch handelt es sich bei Schnyders Gratwanderungen an der Grenze zum Kitsch nicht um ironische Setzungen. Er suche vielmehr stets das ‚Normale’, erklärt er 1987 anlässlich seiner ersten grossen Werkschau in der Kunsthalle Basel. Diese Ernsthaftigkeit, abgesehen von der Ausdauer, mit der er seine Interessen verfolgt, machen seine Arbeiten widerständig. Den Ironieverdacht mag eine motivische Nähe zu Werken Martin Kippenbergers nähren. In ihrer Haltung, zielen Schnyders Arbeiten aber vielmehr auf die ständig zwischen lieblich und bösartig, zwischen abwechslungsreich und monoton changierende Wahrnehmung des Alltäglichen. Die unverkrampft bejahende und zugleich doppelbödige Rezeption des Trivialen mit Tendenz zum Kunsthandwerk ist insbesondere in den 1990er-Jahren als künstlerische Strategie verbreitet. Im Vergleich zu Werken wie „Puppy“ von 1993 – einer monumentalen Blumenskulptur in Hundeform von Jeff Koons – kommen Schnyders Arbeiten mit subtileren Gesten aus. Mit einem für die Tradition der Alten Meister wie die Betätigung des kleinbürgerlichen Sonntagsmalers ebenso ausgeprägten Sinn gelingt es Jean-Frédéric Schnyder schliesslich in Inventur-artig angelegten Werkreihen wie den „Berner Veduten“ (1982), den in 92 Bildern festgehaltenen „Wartesälen“ (1988–89) oder den „Bänkli“ (1989–90) nicht nur, die schweizerische Agglomerationslandschaft einzufangen. In traditioneller Pleinair-Malerei entstehen darüber hinaus Porträts des Durchschnittlichen, die den sozialen Raum vermessen. In dieser Hinsicht lassen sie sich auch mit Arbeiten der Künstler Fischli/Weiss vergleichen.
In den 1990er Jahren dominieren weiterhin konzeptionell angelegte Bildserien Schnyders Werk. Übersichtsausstellungen im Aargauer Kunsthaus Aarau (1988–1991) und dem Kunstmuseum Bern (1992) tragen sie an eine breitere Öffentlichkeit. Schliesslich stellt Jean-Frédéric Schnyder im Schweizerischen Pavillon an der „Biennale di Venezia“ 119 Ansichten von Autobahnabschnitten der Strecke St. Margrethen–Genf, den Gemäldezyklus „Wanderung“ (1992–93), aus. Nachdem es Mitte der 1990er Jahre ruhiger um ihn wird, meldet er sich am Wendepunkt zum neuen Jahrtausend zunächst mit einem Panoptikum von „Sonnenuntergängen“ (1998) und schliesslich mit einer 1000 Aufnahmen umfassenden Fotoarbeit zurück. „Baarerstrasse/Zugerstrasse“ (1999/2000) zeigt einen bewusst referenziellen Zugang. Strukturell entspricht das auffaltbare Fotoleporello Ed Ruschas Strassenpanorama „Every Building on the Sunset Strip“ von 1965. An die Stelle des legendären Abschnitts des vierspurigen Sunset-Boulevards tritt bei Schnyder aber die Haupt- und Ausfallachse seines Wohnortes Zug. Wiederum geht er hier der Frage nach, was passiert, wenn ein spezifisches, künstlerisches Konzept übernommen und unter den eigenen Lebensbedingungen umgesetzt wird.
2010 entsteht eine Gruppe von geschnitzten Holzobjekten, deren Titel „Bett“, „Kommode“ oder „Uhr“ wiederum auf die Auseinandersetzung mit dem Gewöhnlichen verweisen. In handwerklicher Präzisionsarbeit schafft Jean-Frédéric Schnyder Fetisch-Objekte für den Liebhaber der feinen Verschiebung von Form und Inhalt und knüpft damit an Frühwerke wie „Insignien“ an.
Gabrielle Schaad