Ben Vautier, 6 Einträge
Ben Vautier, der Sohn eines Schweizers, kommt am 18. Juli 1935 in Neapel zur Welt. Er ist der Urenkel des bekannten Waadtländer Malers Benjamin Vautier d. Ä. (1829–1898). Bereits in jungen Jahren zieht Vautier zusammen mit seiner Mutter nach Smyrna zur Verwandtschaft in der Türkei. Nach Aufenthalten in Ägypten und Lausanne lässt er sich in Nizza nieder, wo er bis heute lebt und arbeitet. Er beschäftigt sich mit Schreib- und Aktionskunst, Performance und Happening. Neben dem Dadaismus stehen der Kunst Vautiers Marcel Duchamp, Yves Klein, John Cage, George Brecht und Arman nahe.
Den ersten Lebensunterhalt verdient Vautier als Fensterputzer und Laufbursche in einer Buchhandlung. Später besitzt er selbst einen Laden und verkauft Bücher und Schreibwaren. Da sein Geschäft nicht besonders gut läuft, beginnt er, gebrauchte Schallplatten zu verkaufen. Sein Laden wird zum beliebten Treffpunkt junger Leute. Daraus hervorgegangene Kontakte zu Künstlern veranlassen Vautier, in einem Raum, der Galerie „Ben Doute de Tout“, Ausstellungen zu organisieren. Seine eigene künstlerische Tätigkeit beginnt in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit formalen Untersuchungen. Auf der Suche nach einer eigenständigen Darstellungsweise in der abstrakten Kunst findet er die Form der Banane. Sein Freund Yves Klein sieht die Abstraktion nicht mehr als innovativ an und ermuntert ihn zu den „Écritures“. Fortan produziert er Schrifttafeln in immer neuen Varianten, die zum Erkennungsmerkmal seines Werkes werden.
Schrifttafeln sind schon Vautiers Markenzeichen als er seinen Laden betreibt. Zwischen 1958 und 1973 verdecken immer mehr Schilder die Fassade. Als ihm 1972 mit grossen Ausstellungen im Kunstmuseum Luzern, im Grand Palais in Paris und an der Documenta 5 in Kassel der künstlerische Durchbruch gelingt, gibt er sein Geschäft auf. Der zum Gesamtkunstwerk gewordene Laden („Le Magasin“) kommt 1994 zusammen mit der „Gallery One“ als Totalinstallation ins Centre Pompidou.
Performative Akte bereichern ab 1962 Bens Frühwerk, als ihn Daniel Spoerri einlädt, an der Misfits Fair in London teilzunehmen. An der Messe lebt Vautier 15 Tage lang in der Vitrine der „Gallery One“. Zudem begegnet er George Maciunas, der ihn auffordert, sich der Gruppe Fluxus anzuschliessen. Nach einem Fluxus-Konzert in Nizza 1963 gründet er mit seinen Freunden das Théâtre Total. In diese Vorführungen eingebunden sind von Vautier beschriebene Schiefertafeln.
Vautiers Handschrift ist allgegenwärtig. Selbst Fotografien von performativen Gesten („Mes Gestes“, 1958–1972) zeigt er mit einer Notiz zur Durchführung daneben auf schwarzen Tafeln. Auf die gleiche Weise präsentiert er seit den 1990er Jahren Alltagsobjekte, über die er die Zeile setzt: „encore un objet qui se prend pour de l’art“. Damit greift er das Duchamp’sche Prinzip von der Aneignung beliebiger Gegenstände durch die Kunst auf, weitet diese Theorie innerhalb seines Kunstschaffens aber weiter aus. Nicht nur Objekte können zur Kunst erklärt werden, sondern auch abstrakte Begriffe. Zwischen 1960 und 1963 eignet er sich durch Signieren alles an, was ihm begegnet: darunter Gefühle, Tiere, Löcher, das komplette Werk Duchamps, Paris – sogar Menschen als lebende Skulpturen sind nicht vor Vautiers Signierwut sicher.
Zu Beginn der 1960er Jahre bringt eine Tafel mit der Aufschrift „Je signe tout/Ben 1960“ seine damals aktuelle Kunstposition auf den Punkt. Der performative Akt des Signierens wird in einer neuen Form thematisiert. Was dieses Beispiel verdeutlicht, gilt für Vautiers gesamtes Kunstschaffen: Immer wieder greift er mit unterschiedlichen Ausdrucksmitteln auf einmal künstlerisch aufgenommene Themen zurück. Was er auf den Schriftleinwänden festhält, steht ebenso mit seinen Fluxusideen und den ständig veröffentlichten Theorien in Beziehung. Um Vautiers komplexe Vorstellungen besser erfassen zu können, muss deshalb sein Schaffen in der Gesamtheit überblickt werden. Einen wichtigen Teil davon machen die Texte aus, die seit dem Ende der 1980er Jahre entstehen. Was mit massenhaften Briefzusendungen (Mail Art) an Freunde und Kunstfreunde begonnen hat, setzt sich heute im Internet fort. Auf der schwer überblickbaren Website (www.ben-vautier.com) sind seine Standpunkte nachzulesen.
In den theoretischen Schriften reflektiert Vautier genauso wie in seinen Werken unaufhörlich über die Kunst oder stellt sich selbst völlig in den Mittelpunkt. Auf seinen schwarzen Leinwänden mit weisser Schrift sagt er alles, was es zu sagen gibt, ohne sich je zu wiederholen. Obwohl das Schreiben zentral ist für Vautiers Schaffen, ist er kein Schriftsteller. Er hantiert mit Leinwand und Farbe, womit er sich als bildenden Künstler ausweist. Nicht nur das, sondern auch die Art wie er die Kunst thematisiert, macht ihn zum Maler, nicht zum Literaten. Dennoch gibt Vautier seine Gedanken weiter und regt den Betrachter selbst zum Denken an. Wenn Vautier ein Wort auf eine Leinwand schreibt, dann geht er davon aus, dass die Assoziation selbst – das, was sich auf einer gedanklichen Ebene ausserhalb der Leinwand abspielt – zur Kunst wird. Die Werke sollen nur ein Ausgangspunkt sein, um auf etwas Weiteres zu verweisen, das nicht dargestellt werden kann, sondern mit dem Leben verbunden ist.
Bereits die Aufnahme seines Ladens im Centre Pompidou verdeutlicht, dass die Trennung von Kunst und Leben aufgelöst wird. Vautier erschwert diese Unterscheidung weiter, indem er sich in seiner Kunst ständig selbst in den Mittelpunkt stellt. Die Signatur „Ben“ kann so viel Gewicht erhalten, dass sie zum einzigen Inhalt eines Werkes wird. Immer wieder gelingt es ihm, mit einzelnen Begriffen auf Leinwänden oder ganzen Statements auf sich und seine Rolle als Künstler aufmerksam zu machen. Zumindest im Rahmen seiner Kunst kann er alles für sich beanspruchen und die Welt dirigieren. Vautier gibt vor, so viel über sich bekannt zu geben, dass nicht mehr sicher ist, ob alles nicht nur eine reine Inszenierung im Rahmen der Kunst ist.
Sonja Gasser
Den ersten Lebensunterhalt verdient Vautier als Fensterputzer und Laufbursche in einer Buchhandlung. Später besitzt er selbst einen Laden und verkauft Bücher und Schreibwaren. Da sein Geschäft nicht besonders gut läuft, beginnt er, gebrauchte Schallplatten zu verkaufen. Sein Laden wird zum beliebten Treffpunkt junger Leute. Daraus hervorgegangene Kontakte zu Künstlern veranlassen Vautier, in einem Raum, der Galerie „Ben Doute de Tout“, Ausstellungen zu organisieren. Seine eigene künstlerische Tätigkeit beginnt in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit formalen Untersuchungen. Auf der Suche nach einer eigenständigen Darstellungsweise in der abstrakten Kunst findet er die Form der Banane. Sein Freund Yves Klein sieht die Abstraktion nicht mehr als innovativ an und ermuntert ihn zu den „Écritures“. Fortan produziert er Schrifttafeln in immer neuen Varianten, die zum Erkennungsmerkmal seines Werkes werden.
Schrifttafeln sind schon Vautiers Markenzeichen als er seinen Laden betreibt. Zwischen 1958 und 1973 verdecken immer mehr Schilder die Fassade. Als ihm 1972 mit grossen Ausstellungen im Kunstmuseum Luzern, im Grand Palais in Paris und an der Documenta 5 in Kassel der künstlerische Durchbruch gelingt, gibt er sein Geschäft auf. Der zum Gesamtkunstwerk gewordene Laden („Le Magasin“) kommt 1994 zusammen mit der „Gallery One“ als Totalinstallation ins Centre Pompidou.
Performative Akte bereichern ab 1962 Bens Frühwerk, als ihn Daniel Spoerri einlädt, an der Misfits Fair in London teilzunehmen. An der Messe lebt Vautier 15 Tage lang in der Vitrine der „Gallery One“. Zudem begegnet er George Maciunas, der ihn auffordert, sich der Gruppe Fluxus anzuschliessen. Nach einem Fluxus-Konzert in Nizza 1963 gründet er mit seinen Freunden das Théâtre Total. In diese Vorführungen eingebunden sind von Vautier beschriebene Schiefertafeln.
Vautiers Handschrift ist allgegenwärtig. Selbst Fotografien von performativen Gesten („Mes Gestes“, 1958–1972) zeigt er mit einer Notiz zur Durchführung daneben auf schwarzen Tafeln. Auf die gleiche Weise präsentiert er seit den 1990er Jahren Alltagsobjekte, über die er die Zeile setzt: „encore un objet qui se prend pour de l’art“. Damit greift er das Duchamp’sche Prinzip von der Aneignung beliebiger Gegenstände durch die Kunst auf, weitet diese Theorie innerhalb seines Kunstschaffens aber weiter aus. Nicht nur Objekte können zur Kunst erklärt werden, sondern auch abstrakte Begriffe. Zwischen 1960 und 1963 eignet er sich durch Signieren alles an, was ihm begegnet: darunter Gefühle, Tiere, Löcher, das komplette Werk Duchamps, Paris – sogar Menschen als lebende Skulpturen sind nicht vor Vautiers Signierwut sicher.
Zu Beginn der 1960er Jahre bringt eine Tafel mit der Aufschrift „Je signe tout/Ben 1960“ seine damals aktuelle Kunstposition auf den Punkt. Der performative Akt des Signierens wird in einer neuen Form thematisiert. Was dieses Beispiel verdeutlicht, gilt für Vautiers gesamtes Kunstschaffen: Immer wieder greift er mit unterschiedlichen Ausdrucksmitteln auf einmal künstlerisch aufgenommene Themen zurück. Was er auf den Schriftleinwänden festhält, steht ebenso mit seinen Fluxusideen und den ständig veröffentlichten Theorien in Beziehung. Um Vautiers komplexe Vorstellungen besser erfassen zu können, muss deshalb sein Schaffen in der Gesamtheit überblickt werden. Einen wichtigen Teil davon machen die Texte aus, die seit dem Ende der 1980er Jahre entstehen. Was mit massenhaften Briefzusendungen (Mail Art) an Freunde und Kunstfreunde begonnen hat, setzt sich heute im Internet fort. Auf der schwer überblickbaren Website (www.ben-vautier.com) sind seine Standpunkte nachzulesen.
In den theoretischen Schriften reflektiert Vautier genauso wie in seinen Werken unaufhörlich über die Kunst oder stellt sich selbst völlig in den Mittelpunkt. Auf seinen schwarzen Leinwänden mit weisser Schrift sagt er alles, was es zu sagen gibt, ohne sich je zu wiederholen. Obwohl das Schreiben zentral ist für Vautiers Schaffen, ist er kein Schriftsteller. Er hantiert mit Leinwand und Farbe, womit er sich als bildenden Künstler ausweist. Nicht nur das, sondern auch die Art wie er die Kunst thematisiert, macht ihn zum Maler, nicht zum Literaten. Dennoch gibt Vautier seine Gedanken weiter und regt den Betrachter selbst zum Denken an. Wenn Vautier ein Wort auf eine Leinwand schreibt, dann geht er davon aus, dass die Assoziation selbst – das, was sich auf einer gedanklichen Ebene ausserhalb der Leinwand abspielt – zur Kunst wird. Die Werke sollen nur ein Ausgangspunkt sein, um auf etwas Weiteres zu verweisen, das nicht dargestellt werden kann, sondern mit dem Leben verbunden ist.
Bereits die Aufnahme seines Ladens im Centre Pompidou verdeutlicht, dass die Trennung von Kunst und Leben aufgelöst wird. Vautier erschwert diese Unterscheidung weiter, indem er sich in seiner Kunst ständig selbst in den Mittelpunkt stellt. Die Signatur „Ben“ kann so viel Gewicht erhalten, dass sie zum einzigen Inhalt eines Werkes wird. Immer wieder gelingt es ihm, mit einzelnen Begriffen auf Leinwänden oder ganzen Statements auf sich und seine Rolle als Künstler aufmerksam zu machen. Zumindest im Rahmen seiner Kunst kann er alles für sich beanspruchen und die Welt dirigieren. Vautier gibt vor, so viel über sich bekannt zu geben, dass nicht mehr sicher ist, ob alles nicht nur eine reine Inszenierung im Rahmen der Kunst ist.
Sonja Gasser