Balthasar Burkhard wird am 24. Dezember 1944 in Bern geboren. Nach einer dreijährigen Fotografenlehre bei Kurt Blum arbeitet Burkhard in einem eigenen Atelier als freischaffender Fotograf. 1965 beginnt eine enge Zusammenarbeit mit dem Direktor der Kunsthalle Bern Harald Szeemann, der ihn öfters beauftragt, Ausstellungen fotografisch festzuhalten. So dokumentiert Burkhard 1969 die Ausstellung „When attitudes become form“ in der Kunsthalle Bern und reist 1972 mit Szeemann an die documenta 5 in Kassel, an der er auch Happenings filmt. Die an der documenta 5 entstandenen Künstlerdokumentationen werden ein Jahr später von Harald Szeemann in Bern, Mailand und Bari ausgestellt. Ende der sechziger Jahre beginnt auch die Zusammenarbeit mit dem Berner Architekturbüro Atelier 5, deren Architektur Burkhard über mehrere Jahre fotografiert.
Durch den engen Kontakt zur Kunstszene entwickelt Burkhard eigenes Interesse an der Kunst. Daraus entstehen 1969/70 als Gemeinschaftswerk mit dem drei Jahre älteren Schweizer Künstler Markus Raetz die ersten Arbeiten Burkhards (vgl. KML 689q). Diese wurden für die Ausstellung „Visualisierte Denkprozesse“ im Kunstmuseum Luzern ausgearbeitet und finden sowohl beim Publikum, wie auch bei den Kritikern grossen Anklang. Mit den ersten Werken in Luzern wird Burkhard vom Dokumentfotografen zum eigenständigen Künstler. Seine fotografischen Arbeiten, die durchwegs schwarzweiss gehalten sind, sind zwischen den Medien Fotografie, Objekt und Skulptur anzusiedeln. Burkhard sucht immer wieder die gleichen Motive und beschäftigt sich jeweils intensiv und über mehrere Jahre mit denselben Themen. Körperteile, wie Ohr, Knie, Arm und Torso, aber auch Objekte aus der Natur, etwa Orchideen, oder Vogelflügel setzt er isoliert und meist in monumentaler Grösse in die Bildfläche. In der Ausweitung des Bildformats und in der Auswahl extremer Ausschnitte liegt Burkhards emanzipatorischer Schritt. Sein Ziel ist es, die Struktur der sichtbaren Welt aufzuzeigen und dem Beliebigen Gültigkeit zu verleihen.
Weitere Ausstellungen folgen in Paris (1971), Zürich (1974), und Chicago (1977), wo er für mehrere Jahre lebt und 1976/77 als ‚Visiting Lecturer of Photography’ an der Universität in Illinois unterrichtet. 1982 kehrt Burkhard in die Schweiz zurück und arbeitet in La Chaux-de-Fonds und Bern. In der ersten Hälfte der 1980er Jahre konzentriert sich Burkhard auf das Thema des nackten menschlichen Körpers. Die fragmentarischen Ausschnitte von Körperteilen, wie Arme oder Rückenpartien, sind wie Skulpturen zu sehen und immer als pars pro toto zu verstehen. Die einzelnen Körperpartien werden so zu autonomen Kunstgebilden. Burkhard erreicht durch die Strategie des extremen Ausschnitts eine Verweigerung des Anspruchs an die Fotografie, eine Situation objektiv (vollständig) wiederzugeben.
Nach seinem dreimonatigen Japanaufenthalt 1987 experimentiert Burkhard mit verschiedenen Bildträgern: Es entsteht eine Vorläuferin der Serie riesiger Fahnen, die 1992 an der Weltausstellung in Sevilla vor dem Schweizer Pavillon hingen. 1989 zieht Burkhard erneut um und zwar nach Boisset-et-Gaujac, Frankreich. Dort wirkt er bis 1992 als Gastprofessor an der Ecole des Beaux-Arts de Nîmes. 1995 kehrt er in die Schweiz zurück und beginnt die Zusammenarbeit mit USM Haller, für die er Architekturfotografien ausarbeitet. Zwei Jahre später beginnt Burkhard Grossstädte, wie Tokio oder Mexiko City, aus der Luft zu fotografieren. Gleichzeitig entstehen Aufnahmen von Wüsten und öden Landschaften. Mit der klassischen Gegenüberstellung von Menschen gemachter und natürlicher Struktur statuiert der Künstler die Polarität von Kultur und Natur. Zugleich nähert sich Burkhard mit diesen Bildmotiven den klassischen Themen der Reise- und Reportagefotografie, rückt diese aber in einen neuen Kontext, in dem er die Struktur schaffenden Linien der Städte und Landschaften sichtbar macht. Ihn interessiert die Morphologie, weshalb Burkhard keinen direkten Blick auf die Städte und Dünen sucht, sondern vielmehr die Weite der sich ausdehnenden Flächen erkundet. 2000 und 2002 unternimmt Burkhard weitere Reisen unter anderem an den Rio Negro. Während diesen Reisen entstehen seine ersten Videoarbeiten.
Anna-Maria Papadopoulos
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Omnia. Balthasar Burkhard, hrsg. von Matthias Frehner, Zürich: Scalo, 2004
Thun, Kunstmuseum Thun (Ausst.-Kat.), Balthasar Burkhard. Voyages, hrsg. von Madeleine Schuppli, Thun: Kunstmuseum Thun, 2001
Zürich, Helmhaus (Ausst.-Kat.), Balthasar Burkhard, hrsg. von Marie-Louise Lienhard, Zürich: Helmhaus, 2001
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungsbilanz 11 Jahre - 1117 Werke - 211 Künstler und Künstlerinnen, Ergänzungsband 2 zum Sammlungskatalog, hrsg. von Martin Kunz, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1989