Miriam Cahn, 1 Einträge
Miriam Cahn wird am 21. Juli 1949 in Basel geboren. Nach dem Besuch der Grafikfachklasse an der Kunstgewerbeschule Basel von 1968 bis 1973 arbeitet sie bis 1976 als Zeichnungslehrerin und wissenschaftliche Zeichnerin. Dann wendet sie sich ganz der Kunst zu. 1977 findet ihre erste Einzelausstellung in der Galerie Stampa in Basel statt. Sie erhält mehrere Stipendien und Auszeichnungen, etwa 1985 ein Daad-Stipendium für Berlin.
In ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte wie auch die Thematik ihres Frauseins, im persönlichen und gesellschaftlichen Rahmen, ganz zentral. Ihr Engagement in der feministischen Bewegung und für politische Anliegen bildet einen wesentlichen und gleichwertigen Bestandteil ihrer Kunst wie auch die Beschäftigung mit der Familiengeschichte. Neben den persönlichen Themen beeinflussen auch politische Ereignisse ihre Arbeit, so etwa der Golfkrieg für die Arbeit „Beirut, Beirut“ (1991) oder die Jugoslawienkriege für „Sarajevo“ (1993). Das Private und das Öffentliche, das Persönliche und das Allgemeine wie auch das Politische sind ihr gleich wichtig, wobei die Titel ihrer Arbeitsserien jeweils auf ihre Anliegen verweisen.
Mit ihren Themen tritt sie ganz gezielt an die Öffentlichkeit, so mit der Arbeit „Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“: Im Winter 1980 zeichnet sie mit Kohle Flugzeuge, Rohre und Schiffe an die Betonwände der Autobahn-Nordtangente in Basel. Schon da arbeitet sie mit sich wiederholenden Motiven, die zu eigentlichen, wieder erkennbaren Zeichen werden. Mit Bedacht konzentriert sie sich auf die Technik des Zeichnens; das Unfertige, Skizzenhafte versteht sie als Gegensatz zur Malerei, die für sie traditionell männlich codiert ist. Sie entwickelt ihre persönliche Ikonographie mit bewusst einfacher Formensprache und teilt ihre Zeichen in weibliche und männliche ein: dem weiblichen Bereich werden Haus, Schaukel, Boot, Wägelchen, Tisch und Bett zugeordnet, dem männlichen Kriegsschiff, Raketensilo, Panzerwagen, Computerterminal und Ölbohrinsel.
Um ihren eigenen Bildern und Erinnerungen, insbesondere ihren Körpererinnerungen, besser auf die Spur zu kommen, arbeitet sie im Rhythmus ihres Monatszyklus: es entstehen Eisprungarbeiten und Blutungsarbeiten. Zudem versucht sie die üblichen Kontrollmechanismen wie etwa das Zurücktreten vom Werk, das Betrachten auf Distanz, gezielt auszuschalten und experimentiert mit verschiedenen Zeichnungstechniken und Vorgehensweisen: Sie legt grossformatige Papierbogen auf den Boden und kniet sich in die Mitte des Blattes, um den Überblick zu verlieren und ganz aus sich selbst heraus zu zeichnen. Oder sie erspürt zeichnerisch mit geschlossenen Augen die Bilder ihres Körpergedächtnisses. Für die Serie „Lesen in Staub“ (L.I.S.) schabt sie schwarze Kreide zu Staub. Das Kreidepulver breitet sie auf dem Papier aus, um dann mit den Händen darin zu „lesen“. Aus den Körperbewegungen heraus entstehen die eigentlichen Zeichnungen, die praktisch in das Papier hinein gerieben sind. Dieses Vorgehen erinnert – gerade durch die Einsatz des Körpers und die mentale Konzentration – an eine Performance, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Zeichnungen, die als Protokolle dieses Prozesses verstanden werden können, werden nicht fixiert: damit betont die Künstlerin den ihr wichtigen Aspekt des Wandels und der Vergänglichkeit.
Lange Zeit beschränkt sich Miriam Cahn auf schwarz-weisse Zeichnungen, bevor sie auch mit Farbe experimentiert: Sie schleudert die Aquarellfarben auf das gespannte, nasse Papier, worauf sie hinunterfliessen und in einander verlaufen. So entstehen die von der Künstlerin als „Atombombenbilder“ bezeichneten Werke. Später malt sie Fotografien von Industrieanlagen äusserst präzise in Ölfarbe mit feinen Pinseln ab, wobei hier die Farben als eigentliche Zeichen, als Bedeutungsträger verstanden werden müssen und deren Aussage gelesen werden kann. So setzt die Künstlerin Gelb für „giftig, tödlich, tod, vernichtung“, Magentarot für „aufbewahren, lagern, lager“ und Cyanblau für „pflanzen, schatten“ ein. Dieser Prozess des Lesens, der in ihrem Werk immer wieder vorkommt, ist für die Künstlerin von grosser Bedeutung: sie versteht ihre einzelnen Werkserien wie geschriebene Texte als ein Lese-Angebot für den Betrachtenden.
Ab Mitte der 1990er Jahre steht einmal mehr der Körper im Zentrum, diesmal nun das Körperbild mit stark figurativer Darstellung. Die Figuren, Menschen oder tierartige Wesen, zeichnen sich durch eine starke Präsenz aus, ihre Sinne werden oft wie geschärft dargestellt, insbesondere die Augen, die den Betrachtenden glühend fixieren, so etwa in der Serie „Unbenennbar (was mich anschaut)“ von 1993. Die Gesichter erinnern an Porträts, an Phantome oder an Fratzen. In der Werkserie „Schlafen“ von 1997 kennzeichnen die Farben die Zonen der Wärme und Lebendigkeit auf den liegenden Körpern. Diese figurativen farbigen Darstellungen bilden in Präsentationen mit schwarz-weissen, geometrisch-architektonischen Zeichnungen zusammen eine Einheit, etwa in der Ausstellung „Überdachte Flucht-wege“ von 2006 in Davos und Basel.
Zum künstlerischen Prozess Miriam Cahns gehört auch das Einrichten der Ausstellungsräume. Sie hängt ihre Arbeiten selber und errichtet mit dichten Bildabfolgen Raumsituationen, die keinen Überblick erlauben. So versetzt sie die Besucherinnen und Besucher in die gleiche Situation des direkten sinnlichen Erlebens, in die sie sich für ihre Arbeit in der Mitte des Blattes begibt. Die von ihr herausgegebenen Publikationen enthalten neben Abbildungen – für Kataloge eher ungewöhnlich – auch persönliche Texte wie Tagebucheinträge, amtliche Briefe oder Träume. Einmal mehr vermischt sich das Private und das Öffentliche und drückt so die Gleichwertigkeit aller Lebensbereiche aus.
Agatha von Däniken
In ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte wie auch die Thematik ihres Frauseins, im persönlichen und gesellschaftlichen Rahmen, ganz zentral. Ihr Engagement in der feministischen Bewegung und für politische Anliegen bildet einen wesentlichen und gleichwertigen Bestandteil ihrer Kunst wie auch die Beschäftigung mit der Familiengeschichte. Neben den persönlichen Themen beeinflussen auch politische Ereignisse ihre Arbeit, so etwa der Golfkrieg für die Arbeit „Beirut, Beirut“ (1991) oder die Jugoslawienkriege für „Sarajevo“ (1993). Das Private und das Öffentliche, das Persönliche und das Allgemeine wie auch das Politische sind ihr gleich wichtig, wobei die Titel ihrer Arbeitsserien jeweils auf ihre Anliegen verweisen.
Mit ihren Themen tritt sie ganz gezielt an die Öffentlichkeit, so mit der Arbeit „Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“: Im Winter 1980 zeichnet sie mit Kohle Flugzeuge, Rohre und Schiffe an die Betonwände der Autobahn-Nordtangente in Basel. Schon da arbeitet sie mit sich wiederholenden Motiven, die zu eigentlichen, wieder erkennbaren Zeichen werden. Mit Bedacht konzentriert sie sich auf die Technik des Zeichnens; das Unfertige, Skizzenhafte versteht sie als Gegensatz zur Malerei, die für sie traditionell männlich codiert ist. Sie entwickelt ihre persönliche Ikonographie mit bewusst einfacher Formensprache und teilt ihre Zeichen in weibliche und männliche ein: dem weiblichen Bereich werden Haus, Schaukel, Boot, Wägelchen, Tisch und Bett zugeordnet, dem männlichen Kriegsschiff, Raketensilo, Panzerwagen, Computerterminal und Ölbohrinsel.
Um ihren eigenen Bildern und Erinnerungen, insbesondere ihren Körpererinnerungen, besser auf die Spur zu kommen, arbeitet sie im Rhythmus ihres Monatszyklus: es entstehen Eisprungarbeiten und Blutungsarbeiten. Zudem versucht sie die üblichen Kontrollmechanismen wie etwa das Zurücktreten vom Werk, das Betrachten auf Distanz, gezielt auszuschalten und experimentiert mit verschiedenen Zeichnungstechniken und Vorgehensweisen: Sie legt grossformatige Papierbogen auf den Boden und kniet sich in die Mitte des Blattes, um den Überblick zu verlieren und ganz aus sich selbst heraus zu zeichnen. Oder sie erspürt zeichnerisch mit geschlossenen Augen die Bilder ihres Körpergedächtnisses. Für die Serie „Lesen in Staub“ (L.I.S.) schabt sie schwarze Kreide zu Staub. Das Kreidepulver breitet sie auf dem Papier aus, um dann mit den Händen darin zu „lesen“. Aus den Körperbewegungen heraus entstehen die eigentlichen Zeichnungen, die praktisch in das Papier hinein gerieben sind. Dieses Vorgehen erinnert – gerade durch die Einsatz des Körpers und die mentale Konzentration – an eine Performance, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Zeichnungen, die als Protokolle dieses Prozesses verstanden werden können, werden nicht fixiert: damit betont die Künstlerin den ihr wichtigen Aspekt des Wandels und der Vergänglichkeit.
Lange Zeit beschränkt sich Miriam Cahn auf schwarz-weisse Zeichnungen, bevor sie auch mit Farbe experimentiert: Sie schleudert die Aquarellfarben auf das gespannte, nasse Papier, worauf sie hinunterfliessen und in einander verlaufen. So entstehen die von der Künstlerin als „Atombombenbilder“ bezeichneten Werke. Später malt sie Fotografien von Industrieanlagen äusserst präzise in Ölfarbe mit feinen Pinseln ab, wobei hier die Farben als eigentliche Zeichen, als Bedeutungsträger verstanden werden müssen und deren Aussage gelesen werden kann. So setzt die Künstlerin Gelb für „giftig, tödlich, tod, vernichtung“, Magentarot für „aufbewahren, lagern, lager“ und Cyanblau für „pflanzen, schatten“ ein. Dieser Prozess des Lesens, der in ihrem Werk immer wieder vorkommt, ist für die Künstlerin von grosser Bedeutung: sie versteht ihre einzelnen Werkserien wie geschriebene Texte als ein Lese-Angebot für den Betrachtenden.
Ab Mitte der 1990er Jahre steht einmal mehr der Körper im Zentrum, diesmal nun das Körperbild mit stark figurativer Darstellung. Die Figuren, Menschen oder tierartige Wesen, zeichnen sich durch eine starke Präsenz aus, ihre Sinne werden oft wie geschärft dargestellt, insbesondere die Augen, die den Betrachtenden glühend fixieren, so etwa in der Serie „Unbenennbar (was mich anschaut)“ von 1993. Die Gesichter erinnern an Porträts, an Phantome oder an Fratzen. In der Werkserie „Schlafen“ von 1997 kennzeichnen die Farben die Zonen der Wärme und Lebendigkeit auf den liegenden Körpern. Diese figurativen farbigen Darstellungen bilden in Präsentationen mit schwarz-weissen, geometrisch-architektonischen Zeichnungen zusammen eine Einheit, etwa in der Ausstellung „Überdachte Flucht-wege“ von 2006 in Davos und Basel.
Zum künstlerischen Prozess Miriam Cahns gehört auch das Einrichten der Ausstellungsräume. Sie hängt ihre Arbeiten selber und errichtet mit dichten Bildabfolgen Raumsituationen, die keinen Überblick erlauben. So versetzt sie die Besucherinnen und Besucher in die gleiche Situation des direkten sinnlichen Erlebens, in die sie sich für ihre Arbeit in der Mitte des Blattes begibt. Die von ihr herausgegebenen Publikationen enthalten neben Abbildungen – für Kataloge eher ungewöhnlich – auch persönliche Texte wie Tagebucheinträge, amtliche Briefe oder Träume. Einmal mehr vermischt sich das Private und das Öffentliche und drückt so die Gleichwertigkeit aller Lebensbereiche aus.
Agatha von Däniken