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Werkbeschrieb
Der „Tellensprung“ bildet mit „Tells Apfelschuss“, „Gesslers Tod“ und dem „Rütlischwur“ den Bildzyklus aus dem Tellmythos, der die Wände der kleinen Tellskapelle ziert. An dieser Stelle des Urnersees soll Wilhelm Tell mit einem wagemutigen Sprung aus Gesslers Boot der Gefangenschaft entronnen sein. Stückelbergs Darstellung zeigt, wie Tell nach dem Sprung den Nauen wieder zurück in den stürmischen See stösst. Angstvoll zusammengepfercht versuchen die Habsburger des Bootes Herr zu werden, während Gessler eine wütende Drohgebärde an Tell richtet.
Als arrivierter Historienmaler gewinnt Stückelberg den 1877 ausgeschriebenen Wettbewerb für die Erneuerung der Tellskapelle. Seine Entwürfe orientieren sich inhaltlich an Schillers Drama von 1804, er wagt aber Abweichungen bezüglich der tradierten Ikonographie, weshalb die Jury und die Urner Regierung Stückelberg zu Änderungen verpflichten. Stückelberg willigt ein, gestaltet seine Szenen eingängiger und dramatischer, und zieht 1878 zur Anfertigung erster Studien nach Bürglen. Dort malt er zahlreiche Porträtstudien von Einheimischen: Ihre Verwendung für die Gesichter der Figuren soll den Mythos auf die Gegenwart der Bevölkerung beziehen und ihn aktualisieren. Nach der Ausarbeitung der Kartons in Basel lebt Stückelberg von 1880 bis 1882 in einer Holzhütte bei der neu erbauten Tellskapelle, um die Fresken auszuführen. Schon vor der Einweihung am 24. Juni 1883 erscheinen begeisterte Presserezensionen, unter anderem Gottfried Kellers „Kleines Kunstreischen“, in denen die Leistung der patriotischen Historienmalerei für die Bildung einer Nationalideologie gepriesen wird.
Die Ölskizze zum „Tellensprung“ im Kunstmuseum Luzern fixiert in einer tonigen, pastosen Malweise die Lichteffekte, die wichtigen Achsen und Figurenhaltungen der Komposition. Im Vergleich zum Entwurf hat Stückelberg die Seiten vertauscht: Nun klammert sich der entsprungene Held auf der rechten Seite an einen Baum, während links auf dem Nauen Gessler und seine Gesellen buchstäblich aus dem Bild gedrängt werden. Mit der gegenläufig zum Nauen gerichteten Körperlinie Tells, sowie den aufpeitschenden Wellen, dem Blitz und den durch die Berge geschlossenen Hintergrund ist das Bildfeld spannungsreich besetzt. Die Verteilung der Figuren an den Rändern, während die Bildmitte leer bleibt, die sich im Vordergrund abspielende Handlung mit dem überquellenden Wasser und schliesslich die ausdrucksvolle Gestik und gespannte Körperhaltung sind effektvolle Mittel, mit denen Stückelberg die Szene äusserst dramatisch komponiert.
Martina Papiro
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung
Eingangsjahr:1934
Ausstellungsgeschichte
Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.1935 - 08.01.1936
Von Anker bis Zünd – die Kunst im jungen Bundesstaat, Zürich, Kunsthaus Zürich, 13.02.1998 - 10.05.1998
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Ein bescheidenes Kunstreischen, Zürich, Kunsthaus Zürich, 09.06.1990 - 05.08.1990
Bilder vom Vierwaldstättersee. Von William Turner bis Kurt Felix, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 10.06.2006 - 01.10.2006
Triumph und Tod des Helden, Zürich, Kunsthaus Zürich, 03.03.1998 - 24.04.1988
Von Angesicht zu Angesicht. Füssli, Böcklin, Rondinone und andere, Luzern, 28.02.2015 - 22.11.2015
Literatur
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Omlin, Sibylle, Kunst aus der Schweiz. Kunstschaffen und Kunstsystem im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich: Pro Helvetia, 2002
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Von Anker bis Zünd: Die Kunst im jungen Bundesstaat 1848-1900, Zürich: Scheidegger & Spiess, 1998
Zürich, Kunsthaus Zürich (Kat.-Ausst.), Triumph und Tod des Helden: europäische Historienmalerei von Rubens bis Manet, hrsg. von Ekkehard Mai und Anke Repp-Eckert, Köln: Electa, 1988
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Zelger, Franz, Die Fresken Ernst Stückelbergs in der Tellskapelle am Vierwaldstättersee, Bern: Paul Haupt, 1972
Meyer-Rahn, Hans, Gesamtbericht über die Gründung und Tätigkeit der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1946, Luzern: Bernhard Eglin-Stiftung, 1946
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, mit einem Vorwort von Paul Hilber, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1935