Mauricio Dias und Walter Riedweg erzählen in ihren Werken von Begegnungen. Es sind intime Geschichten ihrer Mitmenschen über Identität, Gesellschaft und das Anderssein. Mit ausgesprochener Sensitivität bindet das brasilianisch-schweizerische Künstlerduo das Publikum in diese Erzählungen mit ein und rückt mit filmischen und fotografischen Mitteln Themen wie Migration, Arbeitslosigkeit, Sexualität, Reichtum, Bildung oder Urbanismus gezielt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Präsenz des Duos und ihr vertrauter Umgang mit den Akteurinnen und Akteuren lässt dabei jegliches Gefühl von Distanz und Fremdheit vergessen.
In ihrer Videoarbeit O Espelho e a Tarde erzählen Dias und Riedweg die Geschichte eines jungen Mannes, der mit einem Spiegel unter dem Arm in der Abenddämmerung die Gassen und Stufen seiner Favela hinaufschreitet. Die bunte Szenerie ist geprägt von Hektik und Lärm. Die Strassen werden von Verkehr und Menschen gleichermassen dominiert. Gesteigert wird dieser verwirrende, aber dennoch sehr sinnliche Eindruck durch zwei weitere Video-Überlagerungen. Zusammen mit den Spiegelreflektionen enthüllen sie dabei nicht nur neue Perspektiven und Winkel des rauen Aussenbezirks von Rio, sondern auch bekannte Probleme der rasanten Urbanisierung. Auf städtebauliche Bemühungen folgen Bauruinen, auf spielende Kinder patrouillierende Militärs. Armut und Kriminalität gehören in Brasiliens Armenvierteln wie dem Complexo do Alemão zum Alltag.
Dias und Riedwegs Fotografie O Espelho e a Tarde (ein Still aus dem Video) zeigt uns ein anderes Bild der brasilianischen Favela. Mit dem Spiegel unter dem Arm steht der junge Mann zwischen Strommast und Häuserfassade oben am Hang des Complexo do Alemão. Sein Blick schweift in die Ferne und lässt die pulsierende, tropische Metropole am Horizont erahnen. Die Abenddämmerung verwandelt die Szene in einen farblos-wirkenden Schattenriss. Überzogen mit einem Netz aus dünnen schwarzen Linien, leuchtet der Himmel schwach im Hintergrund. Im Gegensatz zum Video ist die Momentaufnahme frei von jeglicher Hektik. Fernab vom lebhaften Zentrum bestimmen für einmal Ruhe und Sehnsucht das Geschehen.
Philipp Intlekofer