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Werkbeschrieb
In der Zeit des Barock wird das Herrscherporträt durch stereotype Formeln bestimmt: Durch Gestik, Kleidung, Haltung und Attribute soll nicht eine Einzelpersönlichkeit, sondern ein Angehöriger einer Klasse oder eines Berufsstandes charakterisiert werden. Bei Anton Graff, der sich um Wiedergabe geistiger und seelischer Eigenschaften bemüht, verlieren diese Formeln ihre Glaubwürdigkeit. Als höfischer Porträtmaler löst er sich schon bald aus dem Zwang eines solchen repräsentativen Schemas und dient neben seiner Tätigkeit am Dresdner Hof vor allem bürgerlichen Auftraggebern.
Auch in der Gattung des Selbstbildnisses gibt es tradierte Bildtypen, etwa jener des Hofkünstlers. Graff hat sich – obwohl dem regierenden Fürsten, dessen Familie sowie dem Hofadel am sächsischen-kurfürstlichen Hof zu Diensten – in keinem seiner zahlreichen Selbstbildnisse als Hofkünstler inszeniert und somit etwa Ansprüche auf einen gehobenen gesellschaftlichen oder geistigen Rang geltend gemacht. Dennoch hat er sich überraschend oft mit sich selbst als "Forschungsobjekt" beschäftigt – häufiger als irgendein anderer Maler des 18. Jahrhunderts.
Das vorliegende Bildnis, das Graff als 51-Jährigen zeigt, ist eine von mehreren Repliken eines im selben Jahr entstandenen Selbstporträts. Dies zeugt nicht zuletzt von der Beliebtheit des Malers zu seiner Zeit, denn die Selbstbildnisse wurden zu einem Grossteil verkauft. Im Gegensatz zu einer etwas genrehaft anmutenden Darstellung – wie beispielsweise Graffs frühes Selbstbildnis im Atelier, das er als Probebild nach Dresden schickte – sind hier die üblichen Requisiten und Malutensilien an den Bildrand gerückt und kaum mehr zu erkennen. Die Leinwand verschmilzt mit dem dunkeltonigen Grüngrau des Bildhintergrundes und lässt keinen Blick auf das gemalte Bild zu. Die Haltung mit dem über die Schulter zum Betrachter gewandten Antlitz ist charakteristisch und hat einen Zusammenhang mit dem notwendigen Blick des Malers in den Spiegel. Der Blick aus den grossen, dunklen Augen des Künstlers ist aufmerksam und man glaubt seinem Schwiegervater, dem Philosophen Johann Georg Sulzer, wenn er bemerkt, dass viele der Porträtierten die "scharfen und empfindungsvollen Blicke, die er auf sie wirft, kaum vertragen können, weil jeder bis in das Innere der Seele zu dringen scheint."
Aus dem monochromen Dunkel lässt Graff sein Gesicht mit der hohen Stirn, der grossen Nase und dem schmalen Mund sowie seine rechte Hand auftauchen. Die äussere Erscheinung des Malers ist schlicht: Die Kleidung besteht aus einem einfachen rotbraunen Rock mit breitem Kragen, die Haare sind ungepudert.
Graff folgt in seinen Porträts einem mittleren Ausdruckswert, der zwischen den beiden Extremen Idealbild und Karikatur angesiedelt ist. Seelenvoll sind die Gesichter zwar, geben aber die Seele – etwa durch übertrieben gefühlsvolle Mimik – nicht preis. Diesem Grundsatz folgt der Maler auch in seinem Selbstbildnis. Der Betrachter begegnet einem aufgeklärten, selbstbewussten und in sich ruhenden Künstler, dessen Zurückhaltung ihm eine zeitlose Würde verleiht.
Regine Fluor-Bürgi
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stadt Luzern, 1935, 1933 Schenkung Friedrich Frey-Fürst an die Stadt Luzern zuhanden des Kunstmuseums
Eingangsjahr:1935
Provenienz/ Provenance
Von Friedrich Frey-Fürst 1933 in München erworben
Stadt Luzern, 1933
Depositum ans Kunstmuseum Luzern 1933
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References
• Frey-Fürst, Friedrich, Bilder- und Gobelins-Sammlung der Bürgenstock-Hotels, Luzern 1951
• Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958.
• Berckenhagen, Ekhart, Anton Graff. Leben und Werk, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1967
• Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983.
• Steigmeier, Andreas: Friedrich Fürst, in: Historisches Lexikon der Schweiz 2005: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D29603.php
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
Emailkorrespondenz mit Peter Frey, Enkel des Friedrich Frey-Fürst, vom Juni 2017.
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Die Stadt Luzern erhielt das Gemälde 1933 als Geschenk von Friedrich Frey-Fürst und überwies es im selben Jahr als Depo-situm an das neu errichtete Kunstmuseum Luzern.
Friedrich Frey-Fürst, der 1925 die Hotels auf dem Bürgenstock erworben hatte, war u. a. als Einkäufer von Kunstwerken, hochwertigen Möbeln und Einrichtungsgegenständen für das Hotel Bürgenstock tätig; seine Ankäufe publizierte er – allerdings ohne Herkunftsangaben – 1951 in einem Führer durch die Sammlung des Hotels.
Die Nachfrage beim heutigen Hotel Bürgenstock ergab, dass das heutige Hotel Palace seinen Besitzer zwischen 1996 und 2011 mehrfach wechselte und in dieser Zeit auch sämtliche von Frey-Fürst erworbenen Kunstwerke veräussert wurden. So war eine Recherche verunmöglicht, ob sich auf diesen Kunstwerken Hinweise auf die Erwerbsquellen von Frey-Fürst fänden.
Auf Anfrage schrieb Peter Frey, Enkel Friedrich Frey-Fürsts, dass bei verschiedenen Händlern im In- und Ausland eingekauft habe, aber keine Unterlagen über die Erwerbungen seines Grossvaters existierten. Auf Kunstwerken aus dem Besitz seines Grossvaters fänden sich ebenso wenig Hinweise auf deren Herkunft.
Die Provenienz des Bildes muss daher als ungeklärt angesehen werden; ein Verdacht auf Raubkunst besteht allerdings auch nicht.
Kategorie B
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Eröffnungsausstellung, Luzern, Kunsthaus Luzern, 10.12.1933 - 01.03.1934
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Bilder von Künstlern und Künstlerinnen, Luzern, 28.02.2015 - 22.11.2015
Aus der Sammlung: Männer und Frauen
Von Angesicht zu Angesicht. Füssli, Böcklin, Rondinone und andere, Luzern, 28.02.2015 - 22.11.2015
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen 2017, Luzern, 09.12.2017 - 07.01.2018
«Und die alten Formen stürzen ein». Kunst um 1800 aus der Sammlung, Luzern, 09.03.2019 - 17.11.2019
Literatur
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Berckenhagen, Ekhart, Anton Graff. Leben und Werk, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 1967
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Luzern, Kunsthaus Luzern (Ausst.-Kat.), Katalog der Eröffnungsausstellung, Luzern: Kunsthaus Luzern, 1933