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Werkbeschrieb
Augusto Giacometti hat sich zwischen 1908 und seinem Todesjahr 1947 in zahlreichen Selbstbildnissen immer wieder selber dargestellt. Ein solches Porträt setzt die intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Spiegelbild voraus und kann so der kritischen Standortbestimmung und Selbstbefragung des Künstlers dienen. Es begleitet und veranschaulicht biographische Stationen und vermag bisweilen sogar die momentane psychische Befindlichkeit des Künstlers wiederzugeben. In Giacomettis Fall spiegeln die Selbstporträts die momentane stilistische Position des Künstlers wider und sind daher besonders interessant. Das erste, um 1908 entstandene "Selbstbildnis mit Hut" ist beispielsweise noch stark von der Jugendstilornamentik und der Auseinandersetzung mit dem italienischen Quattrocento geprägt. Ein anderes, um 1918 gemaltes Selbstbildnis liefert als Resultat der Selbstbespiegelung eine ungegenständliche Darstellung, was zu dieser Zeit einmalig ist.
Das vorliegende Selbstporträt ist 1927, also auf dem Höhepunkt der öffentlichen Anerkennung des Künstlers entstanden. Vor einem in verschiedenen Rottönen changierenden Hintergrund hat sich der Künstler in einem nach rechts gewandten Halbprofil wiedergegeben. Mit ruhigem und freundlichem Gesichtsausdruck blickt der Maler aus dem Bild hinaus. Sein gleichmässig runder Kopf mit den kurzgeschorenen Haupt- und Barthaaren ist plastisch und so nahsichtig wiedergegeben, dass er fast die vordere Bildebene zu durchstossen scheint. Das leuchtende Goldgelb des Inkarnats ist durchsetzt mit Grün, Orange, Violett und Blau, was Assoziationen mit einem der 1926 vom Künstler gemalten "Ostereier" weckt.
Während Giacometti sich in seinen zahlreichen Selbstporträts oft mit gleich bleibendem, neutralem Gesichtsausdruck, mal mit, mal ohne Kopfbedeckung und im Anzug wiedergibt, beweist er im Pinselduktus und vor allem in der Farbwahl mehr Experimentierfreude. Die kräftig farbigen Hintergründe bestehen aus gelben-blauen, blauen-grünen, orangen-gelben und diversen anderen Farbkombinationen und spiegeln sich unterschiedlich stark im Inkarnat des Dargestellten. Die vorliegende Version unterscheidet sich durch eine weiche Pinselschrift von den meisten anderen Selbstbildnissen und besticht durch besonders leuchtende, dichte Farben, durch die Plastizität des Kopfes und durch die Intensität des Gesichtsausdrucks.
Regine Fluor-Bürgi
Provenienz
Kunstmuseum Luzern
Eingangsjahr:1932
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Der Lesesaal. Werke aus der Sammlung von Hodler, Augusto und Giovanni Giacometti, Amiet, Vallotton, Markowitsch, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 06.05.2006 - 27.08.2006
August Babberger. Zum 100. Geburtsjahr und 50. Todesjahr. Ein Zwiegespräch mit Hodler, Kirchner, Amiet, Augusto Giacometti und Danioth, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 22.06.1986 - 10.10.1986
Dipinti di Augusto Giacometti, Milan, Castello Sforcesco
L'art Suisse des origines à nos jours, Genf, Musée d'art et d'histoire
Augusto Giacometti, 1877–1947. Gemälde, Aquarelle, Pastelle, Entwürfe, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 10.07.1987 - 20.09.1987
Exposition Augusto Giacometti, Paris, Bernheim-Jeune, 20.03.1933 - 14.04.1933
Augusto Giacometti. Eduard Bick, Luzern, Kunstmuseum Musegg, 25.05.1930 - 22.06.1930
La collection retrouvée. Von Füssli bis Hodler: Meisterwerke aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.07.1993 - 26.09.1993
Aus der Sammlung: Männer und Frauen
Die Farbe und ich. Augusto Giacometti, Kunstmuseum Bern, 19.09.2014 - 15.02.2015
Bilder von Künstlern und Künstlerinnen, Luzern, 28.02.2015 - 22.11.2015
Expressionismus: Die wilden Fauves kommen!, Lens, Fondation Pierre Arnaud, 15.12.2017 - 20.05.2018
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Literatur
Matthias Frehner, Daniel Spanke, Beat Stutzer,, Die Farbe und ich. Augusto Giacometti, Wienand Verlag, Köln 2014
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Augusto Giacometti - Gemälde, Aquarelle, Pastelle, Entwürfe, mit Texten von Augusto Giacometti (Vortrag 14.11.1933 im Studio Fluntern, Zürich), Hans van der Grinten, Gisela Götte, Martin Kunz und Beat Strutzer, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1987
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Hartmann, Hans, Augusto Giacometti. Pionier der abstrakten Malerei. Ein Leben für die Farbe, Chur: Bündner Kunstmuseum, 1981
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Genf, Musée d'art et d'histoire de la ville de Genève (Ausst.-Kat.), L'art suisse des origines à nos jours, hrsg. von Waldemar Deonna, Genf: Musée d'art et d'histoire de la ville de Genève, 1943.
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Milan, Comune di Milano (Ausst.-Kat.), Dipinti di Augusto Giacometti. Catalogo della mostra tenuta nella sala del consiglio segreto del Castello Sforzesco di Milano, Milan: Comune di Milano, 1935
Luzern, Kunsthaus Luzern (Ausst.-Kat.), Katalog der Eröffnungsausstellung, Luzern: Kunsthaus Luzern, 1933
Paris, Bernheim-Jeune, Exposition Augusto Giacometti, Paris: Bernheim-Jeune, 1933
George, Waldemar, Augusto Giacometti, Paris: Editions des Quatre Chemins, 1932
Luzern, Kunstmuseum Musegg (Ausst.-Kat.), Augusto Giacometti. Eduard Bick, Luzern: Kunstmuseum Musegg, 1930
Poeschel, Erwin, Augusto Giacometti, Zürich: Orell Füssli, 1928 (Monographien zur Schweizer Kunst, Bd. 3)