Das Grafikblatt – ein Siebdruck kombiniert mit Collage –, das Matt Mullican 1993 begleitend zu seiner Ausstellung im Kunstmuseum Luzern in einer Edition von 20 Exemplaren schuf, zeigt einen äusserst klaren, auf geometrischen Elementen basierenden Aufbau: die viereckige Form des Blattes unterteilt sich in vier kleinere Vierecke. In das untere und obere Ende der viereckigen Grundform ist je ein Halbkreis eingeschrieben. Ein weisses Quadrat befindet sich in der Mitte des Blattes, die Mittte der vier Vierecke, die die Grundform bilden, wird von je einem kleineren weissen Viereck eingenommen. Diese weissen Elemente heben sich von den anderen, mit Zeitung collagierten Teilen stark ab und scheinen optisch über den anderen Teilen zu liegen, ein Effekt, der noch dadurch verstärkt wird, dass die weissen Elemente mit weissen Linien verbunden werden.
Matt Mullicans Grafikblatt reiht sich ein in seine Arbeiten der „Charts“ (dt.: "Diagram", "Grafik"), die im Zusammenhang seiner sein ganzes Werk bestimmenden Idee des „imaginary universe“ entstanden. Schon 1975 hat Matt Mullican begonnen Modelle herzustellen, mit denen er versuchte, die Welt und ihre Prozesse zu analysieren und die Relationen zwischen in der Alltagswelt gefundener und subjektiver, fiktiver Zeichen darzustellen. Seine ersten „Charts“ entstanden auf Papier und sahen zuerst ganz verschieden aus, wurden aber mit der Zeit zu einem fünfteiligen, klar strukturiertem Modell ausarbeitet. Es handelt sich um ein zweigeteiltes Viereck, in dessen Mitte sich ein Quadrat befindet, das als Verbindung der beiden Teile figuriert. Am oberen und unteren Ende des Vierecks ist je ein Halbkreis eingeschrieben. Diese vier grundlegenden Teile, denen die Farben grün, blau, rot und gelb zugeteilt werden, symbolisieren für Mullican verschiedene Elemente der Welt: der unterste Teil das rein Materielle, darüber der Teil, der die unbewusst hingenommene Alltagswelt darstellt, zuoberst der Bereich, der das Subjektive verkörpert. Zusammengehalten werden die genannten Elemente durch die so genannte „world framed“, die gerahmte Welt, die den Bereich der Gedanken und Ideen, der Kunst und Wissenschaft darstellt.
Das Schema der Charts hat Mullican in verschiedene Medien und Techniken übertragen, sei dies, dass er Glasfenster entwarf, die Form in Holz nachbaute oder sogar giessen liess und die „Charts“ so zu Modellen von Städten umformte, die er auch "Cities" nannte. Dabei tauchen die Weltentwürfe jedoch auch immer wieder als Arbeiten auf Papier auf, sei dies als Zeichnungen, Grafik oder als eine Mischform wie die vorliegende Edition.
Sylvia Rüttimann