informationen
Werkbeschrieb
Als Jugendlicher lernt Füssli durch seinen Lehrer Johann Jacob Bodmer Shakespeares Literatur kennen, die ihn ausserordentlich begeistert. Während seiner Zeit in Rom in den 1770er Jahren träumt er von einem Gesamtkunstwerk zu Ehren Shakespeares, eine Art Heiligtum bestehend aus Bildzyklen – den Ausmalungen Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle ähnlich. Als 1786 der englische Verleger John Boydell die Schaffung einer Shakespeare-Galerie finanzieren will, entspricht dies zwar nicht ganz Füsslis gigantischer Vision, doch er beteiligt sich mit mehreren Bildern an diesem Projekt.
„Beatrice belauscht Hero und Ursula“ gehört nicht zu den Objekten für Boydells Shakespeare-Galerie, es ist jedoch anzunehmen, dass das Bild im Zusammenhang mit jenen Arbeiten entstanden ist. Es illustriert eine Szene aus Shakespeares Komödie „Viel Lärm um Nichts“, einem Werk, welchem Füssli sonst in seiner Kunst wenig Aufmerksamkeit schenkt. Von dieser Szene existieren jedoch noch eine zweite, sehr ähnliche Version (Gemäldegalerie Dresden), ein Gemälde der lauschenden Beatrice als isolierte Darstellung (Schweizer Privatbesitz) und einige Zeichnungen. Die Geschichte handelt von Beatrice und Benedict, die durch Intrigen zueinander geführt werden. In der dargestellten Szene sprechen Hero und Ursula über Benedicts angebliche Begeisterung für Beatrice, wohl wissend, dass sie von dieser belauscht werden und mit dem Ziel, in ihr eine Leidenschaft zu wecken.
Das Bild verfügt wie alle Kompositionen Füsslis über einen klaren Aufbau. Die in der Mitte dargestellte Mauer teilt die Szene in zwei Schauplätze, wobei links die Unterhaltung von Hero und Ursula zu sehen ist und rechts die lauschende Beatrice. Blickführung und Körpersprache der beiden äusseren Figuren, Ursula und Beatrice, zu einander hin, verbinden die beiden Bildhälften zu einer Einheit und veranschaulichen darüber hinaus den Inhalt der Szene: Ursulas Blick zu Beatrice und der begleitende Zeigegestus ihrer linken Hand demonstrieren das Wissen über Beatrices Anwesenheit, und die theatralisch übertriebene Körperwendung der Beatrice, hin zu den sprechenden Damen, sowie die stark verdrehten Augen und der Finger am Ohr, verdeutlichen Beatrices lauschende Haltung. Die Figurengruppe links wird kleiner dargestellt als Beatrice, obwohl sich perspektivisch alle Gestalten auf ungefähr gleicher Distanz zum Betrachter befinden. Füssli wählt immer wieder unrealistische Grössenverhältnissen zwischen dargestellten Figuren, um ihnen verschiedene Prioritäten innerhalb des Bildes zuzuordnen: Die Hauptfiguren werden am grössten dargestellt, Nebenrollen erscheinen kleiner. Eine Lichtquelle vorne links beleuchtet hauptsächlich die drei Frauen, schafft intensive Lichtreflexe auf deren Körper und hebt sie in einem starken Kontrast vom dunklen Hintergrund ab. Das ausgesprochen helle Inkarnat der Damen und das grundsätzlich blasse Kolorit ihrer Kleider verleihen dem Bild eine kühle Atmosphäre. Intensivere, wärmere Farben werden nur sparsam – beispielsweise in Form der dunkelroten Bänder an Beatrices Kleid – ins Bild integriert und relativieren die kühle Stimmung ein wenig.
Während der Füssli-Spezialist Gerd Schiff Beatrice voll von hemmungsloser und perverser Freude am Belauschen und Enthüllen des Geheimnisses charakterisiert, lauten Füsslis eigene Worte zu dieser Figur ganz anders. Im Magazin „Analytical Review“ Nr. IV schreibt er 1789: „Ihre angeregte Haltung zeigt die Munterkeit ihres Sinnes; aber es ist nicht die Leichtfertigkeit einer Losen, die sich hier zeigt: im Gegenteil, in einer wollüstigen Form erkennen wir die gezügelte Verspieltheit unschuldiger Fröhlichkeit, die nicht einmal träumt von den Wünschen, die sie weckt. Eine Aura von Anstand und Würde gemahnt uns, dass wir ein Weibchen sehen, welches ihr Rang und ihre Erziehung gleichermassen bewahrt haben, die Grenzen zu überschreiten, welche die Bescheidenheit vorschreibt, oder auch vulgäre Manieren anzunehmen.“ (Zitiert bei Schiff 1973, Bd. I, S. 147). Handelt es sich bei diesen Worten wirklich um eine Fehldeutung der eigenen Kunst, so wie Schiff es Füssli vorwirft? Sicherlich kann Füsslis Beschreibung einer vornehmen und zurückhaltenden Beatrice angezweifelt werden – liegt doch in ihrem freizügigen Décolleté und dem emotional erregten Gesichtsausdruck etwas Laszives. Doch heisst dies nicht, dass Beatrice grundsätzlich und eindeutig als zügelloses Wesen verstanden werden muss, so wie Schiff dies tut, und seine scharfe Anprangerung der Künstlersicht scheint ebenfalls problematisch zu sein. Füsslis Vorgehensweise kann äusserst subtil sein. Die Farben des Bildes sind gemässigt und kühl, verlieren in ihrer Wirkung jedoch dank ihrer Inszenierung in starken Hell-Dunkel-Kontrasten und der Beifügung von vereinzelten warmen Farbeffekten nicht an Temperament und Bewegtheit. In diesem Kolorit und in der Stimmung, die es erzeugt, liesse sich eine Parallele zu Füsslis angeführter Charakterisierung der Beatrice zwischen Zurückhaltung und Lebendigkeit sehen.
Seraina Werthemann
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, 1933 Ankauf
Eingangsjahr:1933
Provenienz/ Provenance
Freiherr W. von Stumm, Berlin, 1914
Heinz Steinmeyer, Berlin, 1933
Bernhard Eglin-Stiftung, 1933
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
Dokumente der Bernhard Eglin-Stiftung, Stadtarchiv Luzern
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Das Gemälde wurde von der Bernhard Eglin-Stiftung im Jahr 1933 über den Berliner Kunsthändler Heinz Steinmeyer bei Freiherr Wilhelm von Stumm erworben, was wir der Liste «Inventar der Sammlung der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1945» aus dem Stadtarchiv Luzern entnehmen konnten. Eine fotografische Aufnahme aus dem Jahr 1912 bestätigt, dass sich das Bild bereits damals im Besitz jenes Herrn von Stumm befunden hat. Damit ist die Provenienzkette bis ins Jahr 1912 abgeschlossen.
Kategorie A
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Johann Heinrich Füssli 1741–1825. Gemälde und Zeichnungen, Zürich, Kunsthaus Zürich, 17.05.1969 - 06.07.1969
Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.1935 - 08.01.1936
Johann Heinrich Füssli, Kitakyushu, City Art Museum
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Henry Fuseli, Tokyo, The National Museum of Western Art, 12.11.1983 - 18.12.1983
Johann Heinrich Füssli 1741–1825. Gedächtnisausstellung, Zürich, Kunsthaus Zürich, 17.08.1941 - 05.10.1941
Jean Etienne Liotard 1702–1789 – Johann Heinrich Füssli 1741–1825, Paris, Musée de l’Orangerie
Johann Heinrich Füssli 1741–1825, Düsseldorf, Stiftung Pro Helvetia
Eröffnungsausstellung, Luzern, Kunsthaus Luzern, 10.12.1933 - 01.03.1934
Jean Etienne Liotard 1702–1789 – Johann Heinrich Füssli 1741–1825, Genf, Musée d’Art et d’Histoire, 10.07.1948 - 12.09.1948
La collection retrouvée. Von Füssli bis Hodler: Meisterwerke aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.07.1993 - 26.09.1993
Jahrhundert-Ausstellung deutscher Kunst 1650–1800, Darmstadt, Residenzschloss, 19.05.1914 - 04.10.1914
Johann Heinrich Füssli 1741–1825, Bremen, Stiftung Pro Helvetia, 28.04.1957 - 26.05.1957
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Literatur
Sladeczek, Franz-Josef/Müller, Andreas, Sammeln & Bewahren. Das Handbuch zur Kunststiftung für den Sammler, Künstler und Kunstliebhaber, Bern: Benteli, 2009
Vogel, Maria, "Schweizer Meister seit 1772", in: Willisauer Bote, 6.6.2008, S. 5
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Tokyo, The National Museum of Western Art (Ausst.-Kat.), Henry Fuseli, Tokyo: The National Museum of Western Art, 1983
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Schiff, Gert, L’ opera completa di Füssli, Mailand: Rizzoli, 1977 (Classici dell’arte - Biblioteca Universale delle arti figurative)
Schiff, Gert, Johann Heinrich Füssli 1741–1825, 2 Bde, Zürich: Berichthaus, 1973 (Oeuvrekataloge Schweizer Künstler)
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Johann Heinrich Füssli 1741-1825. Gemälde und Zeichnungen, Zürich: Kunsthaus Zürich, 1969
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Pro Helvetia (Ausst.-Kat.), Johann Heinrich Füssli. 1741-1825, hrsg. von der Stiftung Pro Helvetia, mit einem Text von Paul Leonhard Ganz, ohne Ort: Pro Helvetia, 1957
Genf, Musée d’Art et d’Histoire (Ausst.-Kat.), Liotard 1702-1789 et Füssli 1741-1825, Genf: Musée d’Art et d’Histoire, 1948
Paris, Musée de l’Orangerie (Ausst.-Kat.), Exposition de Jean Etienne Liotard 1702-1789 - Johann Heinrich Füssli 1741-1825, mit einem Vorwort von Paul Lachenal, Adrien Bovy, Paul Ganz, Zürich : Neue Zürcher Zeitung, 1948
Meyer-Rahn, Hans, Gesamtbericht über die Gründung und Tätigkeit der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1946, Luzern: Bernhard Eglin-Stiftung, 1946
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Johann Heinrich Füssli 1741-1825. Zur Zweihundertjahrfeier und Gedächtnisausstellung 1941, Zürich: Kunsthaus Zürich, 1941
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, mit einem Vorwort von Paul Hilber, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1935
Luzern, Kunsthaus Luzern (Ausst.-Kat.), Katalog der Eröffnungsausstellung, Luzern: Kunsthaus Luzern, 1933
Federmann, Arnold, Johann Heinrich Füssli. Dichter und Maler 1741–1825, Zürich: Orell Füssli, 1927