informationen
Werkbeschrieb
Ein hell durchleuchtetes Geländeplateau nimmt fast die gesamte Bildfläche ein. Am Rand des erhöht liegenden Plateaus sitzt eine Figur. Es macht den Anschein, als dass sie sich am Gras festhalten muss, um nicht in die Tiefe zu rutschen. Der zweite Junge, der einen Sammelkorb trägt, streckt die Hand fast gemahnend aus. Der obere Bildrand wird durch eine Fernsicht auf eine flache Landschaft markiert, durch die ein Fluss zieht. Die Kombination von Nah- und Fernsicht, Vorder- und Hintergrund ist ein traditionelles Kompositionsschema, um Bildtiefe und Dreidimensionalität zu erreichen.
Das Bild „Blick auf die Kapelle am Rain“ gehört in die Werkgruppe von Zünds Terrainstudien. Malerisch bis ins Detail ausgemalt waren diese Terrainstudien nie zum Verkauf bestimmt, sondern zierten Zünds Atelier und dienten ihm höchstens als Inspiration. Da Atelierbesuche selten waren – Zünd bevorzugte es, mit Auftraggebern zu korrespondieren – können sie auch nicht als eigentliche Schaustücke gegolten haben. Durch die fertige Ausführung unterscheiden sich die Terrainstudien auch von anderen Studien in Öl, die durch ihre malerische Handschrift eindeutig als Entwurfsskizzen oder Ölstudien im Freien betrachtet werden können.
Das Gemälde „Blick auf die Kapelle am Rain“, auf dessen Keilrahmen Zünd „Terrain (…) Rayn“ und die Datierung „11. Octob 59“ notierte, darf durch die identischen Formate und die nahe Entstehungszeit als Pendant der sich ebenfalls im Kunstmuseum Luzern befindenden „Geländestudie mit Mädchen“ gesehen werden. Betrachten wir beide Gemälde gleichzeitig, nämlich den „Blick auf die Kapelle am Rain“ links von der „Geländestudie mit Mädchen“ und vergleichen den Sonneneinfall, so lässt sich zudem auch inhaltlich ein Bezug erkennen. Dem traditionellen Prinzip der Ehepaar-Darstellung folgend, in welcher der Mann links von der Frau zu stehen kommt, scheint sich die junge Frau, die offenbar einen Korb mit Mittagsessen trägt, den beiden jungen Männern zu nähern. Die Motivwahl entspricht dem Repertoire, das sich Zünd erarbeitet hat und ist gekennzeichnet durch eine liebliche, naturnahe Darstellung von Landschaft, in der sich die Menschen nahtlos mit ihren Tätigkeiten einfügen und eine symbolische Einheit bilden. Obwohl Robert Zünd nur vereinzelt biblische Darstellungen ausgeführt hat, erscheinen in den meisten seiner Gemälde Anspielungen auf eine gläubige Lebensweise des Menschen im Einklang mit der Natur – auch in unserem Gemälde hält der stehende Jüngling nicht nur seine schützende Hand über das Haupt seines Begleiters, sondern zeigt mit ihr auch auf die im Flussdelta liegende Kapelle. Gotteshaus und Mensch bilden den kleinen zentralen Nukleus dieses Bildes.
Susanne Neubauer
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, 1942 Familie Hess-Naeder, Engelberg
Eingangsjahr:1942
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
Innerschweiz. 11. Gemäldeausstellung Trubschachen, Trubschachen, Kulturverein Trubschachen, 23.06.1984 - 15.07.1984
Mixing Memory and Desire – Wunsch und Erinnerung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.06.2000 - 24.09.2000
Von Anker bis Zünd – die Kunst im jungen Bundesstaat, Zürich, Kunsthaus Zürich, 13.02.1998 - 10.05.1998
Robert Zünd (1826-1909), Luzern, Kunstmuseum Luzern, 12.06.2004 - 26.09.2004
Strassenszenen, Luzern, Historisches Museum, 29.05.2002 - 15.09.2002
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Robert Zünd in seiner Zeit, Luzern, Kunstmuseum, 01.07.1978 - 10.09.1978
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Terrain. Von Robert Zünd bis Tony Cragg – Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts und zeitgenössische Skulptur aus der Sammlung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 02.03.2007 - 05.08.2007
Robert Zünd (1827-1909), Tobias Madörin (*1965). Bellevue, Luzern, 07.07.2017 - 15.10.2017
Die Natur des Menschen – Weltanschauung und Lebensgefühl, Solothurn, Kunstmuseum Solothurn, 25.09.2010 - 30.01.2011
Ins Offene! Landschaftsdarstellungen von Ferdinand Hodler und Robert Zünd bis Max von Moos, Luzern, 08.03.2014 - 16.11.2014
Literatur
Fischer, Peter, "Robert Zünd", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 71-77
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Bugmann, Urs, "Zünds Landschaften sind wie Kino", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 150, 1.7.2008, S. 11
Fischer, Peter, "Robert Zünd", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 71-77
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Robert Zünd, hrsg. von Susanne Neubauer, mit Texten von Cornelia Dietschi, Susanne Neubauer und Peter Fischer, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2004
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Von Anker bis Zünd: Die Kunst im jungen Bundesstaat 1848-1900, Zürich: Scheidegger & Spiess, 1998
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Robert Zünd in seiner Zeit, hrsg. von Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1978
Gantner, Joseph/Reinle, Adolf, Kunstgeschichte der Schweiz. Vierter Band. Die Kunst des 19. Jahrhunderts. Architektur, Malerei, Plastik, Frauenfeld: Huber, 1962
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Althaus, Peter F., "Spitzenwerke der Malerei. Museen der Schweiz und Sammlung Liechtenstein", in: Schreibmappe 1955, hrsg. von der Verbandsdruckerei AG, 1955, unpaginiert
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Uhde-Bernays, Hermann, Robert Zünd, Basel: Benno Schwabe & Co, 1934