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Werkbeschrieb
Der Besuch von Gustave Courbets Protestveranstaltung "Le Réalisme" an der Weltausstellung von 1855 in Paris markiert einen wichtigen Punkt in der Entwicklung des jungen Solothurner Künstlers Frank Buchser. Tief beeindruckt von Courbets Kunst, will er sich fortan als Realist betitelt wissen. Dabei geht der Realismus bei Buchser mit dessen romantischen, bisweilen exotistischen Veranlagung eine besondere Verbindung ein. Deutlich wird dies im vorliegenden Gemälde.
Der italienische Begriff "Pifferaro" bezeichnet einen kalabresischen Schafhirten, der vor Madonnenbilder spielt, um sein kärgliches Einkommen aufzubessern. Als künstlerisches Motiv ist der Pifferaro in der Genrekunst des 19. Jahrhunderts nicht unbekannt. Vom damals berühmten Neuenburger Romantiker Léopold Robert (1794–1835) oder von gefeierten Salonkünstlern wie Jean Léon Gérôme (1824–1904) oder Thomas Couture (1815–1879) aufgegriffen, wird die Figur in ikonographischer Hinsicht zu einem relativ fixen Typus. Dunkles, lockiges Haar umrahmt das edle Gesicht des Pifferaro. Ein breitkrempiger Hut sowie ein abgetragener, knielanger Mantel vervollständigen sein Erscheinungsbild. Zudem wird er oft von einem meist jugendlichen Begleiter mit Schalmei oder Dudelsack musikalisch unterstützt.
Buchsers Gemälde greift diesen Typus im Wesentlichen wieder auf. Dem Betrachter präsentiert sich ein langhaariger, braungebrannter junger Mann mit Hut in pittoresk zerschlissener Kleidung. Zu seiner Linken wird als typische Begleitperson ein zufrieden lächelnder Junge im Profil wiedergegeben. Die umstrittene Bezeichnung als Pifferari hat also durchaus eine gewisse Berechtigung, auch wenn die während seines Aufenthalts in Sevilla entworfenen Dudelsackspieler spanische Tracht tragen. Im Unterschied zu Roberts "Pifferari devant une Madone" oder Gérômes "Pifferari" wird der anekdotische Gehalt des Themas bei Buchser allerdings stark zurückgenommen. Die Zuschauer und das Madonnenbild sind in die Ferne gerückt und bilden zusammen mit der hell beschienen Brüstung eine Hintergrundfolie, von welcher sich die Gestalt des Dudelsackspielers kontrastreich absetzt. Indem Buchser den Pifferaro nahe am vorderen Bildrand positioniert und ihn den direkten Blickkontakt mit dem Betrachter suchen lässt, führt er das eigentliche Genrethema in eine Art Musikerbildnis über. Der frontal und nahezu in Lebensgrösse wiedergegebene junge Mann beherrscht das grossformatige Gemälde. Der eher ärmliche Anzug kontrastiert mit dem stolzen Ausdruck und dem forschen, fast herausfordernden Blick, mit dem der Musiker den Bildbetrachter fixiert. Dieser sieht sich in die Rolle des Zuhörers versetzt, der den Strassenmusikanten zwar mit Almosen ernährt, im Gegenzug aber kaum unterwürfige Dankbarkeit zu erwarten hat.
Dem Maler gelingt es, den Charakter des Gegenübers glaubhaft auf die Leinwand zu bannen. Allerdings korrespondiert das Bild, das er von dem Pifferaro entwirft – nämlich jenes eines ungezähmten, stolzen und von der Zivilisation unverdorbenen Naturmenschen – mit dem von Briganten und Vagabunden, wie es in der Literatur seit den Schelmenromanen der Renaissance und des Barock bestens bekannt ist und das 1781 in Schillers Drama "Die Räuber" seine endgültige Idealisierung erfährt. Bohème, Abenteuer und Freiheit sind Stichworte, mit denen sich Buchsers Gegenentwurf zum genormten Leben des Durchschnittseuropäers umschreiben lässt. Sein Œuvre spiegelt diese Lebenseinstellung in unterschiedlichster Ausführung wider: Genannt seien hier lediglich die spanischen Bettlerdarstellungen oder die Genrebilder der schwarzen amerikanischen Bevölkerung.
Nicht nur in seiner Konzentrierung auf die Gestalt des Dudelsackspielers, sondern auch in maltechnischer Hinsicht unterscheidet sich das Gemälde von den Salonausführungen gleichen Themas: Nicht ein gleichmässig glatter Farbauftrag, sondern eine differenzierte, mal flüssige, mal pastos körnige Malweise mit eingekratzten Akzenten bestimmt die Oberfläche und verleiht dem Bild seinen typisch buchserischen Charakter. Ein romantisches Thema in realistischer Ausführung, so könnte das Fazit lauten, dem wohl auch Gotthard Jedlicka kaum widersprochen hätte, der 1937 voller Begeisterung konstatierte: "Aber wie viel von Courbet ist in Buchsers Bild ‚Pifferari’".
Regine Fluor-Bürgi
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Gottfried Keller-Stiftung, Bern, Ankauf durch die Gottfried Keller Stiftung am 29.8.1939 für CHF 15'000
Eingangsjahr:1939
Ausstellungsgeschichte
Gedächtnisausstellung Frank Buchser 1828-1890, Otto Frölicher 1840-1890, Solothurn, Kunstmuseum Solothurn, 14.09.1940 - 13.10.1940
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Frank Buchser 1828-1890, Solothurn, Kunstmuseum Solothurn, 09.06.1990 - 16.09.1990
Gedächtnisausstellung Frank Buchser 1828-1890, Solothurn, Kunstmuseum Solothurn, 20.05.1928 - 01.07.1928
Frank Buchser, 1828-1890, Zürich, Kunsthaus Zürich, 06.09.1928 - 30.09.1928
Frank Buchser. Ausstellung zum 50. Todestag, Basel, Kunsthalle Basel, 06.10.1940 - 24.11.1920
Gedächtnisausstellung Frank Buchser 1828-1890, Bern, Kunsthalle Bern, 07.07.1928 - 05.08.1928
50 Jahre Gottfried-Keller-Stiftung, Bern, Kunstmuseum Bern, 14.06.1942 - 20.09.1942
La collection retrouvée. Von Füssli bis Hodler: Meisterwerke aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.07.1993 - 26.09.1993
Modell für ein Museum. Werke aus der Sammlung, mit der integralen Schenkung Minnich, dazu ein "Bilderzimmer" von Anton Henning und Allan Porters "I Am a Museum", Luzern, Kunstmuseum Luzern, 21.10.2006 - 11.02.2007
Sehnsucht nach der Fremde
Aus der Sammlung: Männer und Frauen
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Literatur
Lichtin, Christoph, "Die Sammlung im Kunstmuseum Luzern", in: s/w visarte.bern, Nr. 3, 2007, unpaginiert
Athens, Georgia Museum of Art (Ausst.-Kat.), Frank Buchser. A swiss artist in America, 1866-1871, hrsg. von William U. Eiland und Laura Mullins, mit Texten von Rudolph P. Byrd (et. al.), Athens: Georgia Museum of Art, 1996
Solothurn, Kunstmuseum Solothurn (Ausst.-Kat.), Frank Buchser, 1828-1890, mit Essays von Roman Hollenstein und Petra ten-Doesschate Chu, Einsiedeln: Eidolon, 1990
Landolt, Hanspeter, Sammeln für die Schweizer Museen. Gottfried Keller-Stiftung. Collectionner pour les musées suisses. Fondation Gottfried Keller. Collezionare per i musei svizzeri. Fondazione Gottfried Keller. 1890–1990, mit Texten von Hugo Wagner (et al.), Bern: Benteli, 1990
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Wälchli, Gottfried, Frank Buchser. Persönlichkeit - Leben - Kunst, Bern: Paul Haupt, 1956 (Schweizer Heimatbücher 77/78)
Gottfried Keller-Stiftung, Bericht über die Tätigkeit der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung 1932-1945. 4. Folge. Gemälde und Zeichnungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert., Bern: Verlag der Eidgenössischen Gottfried Keller-Stiftung 1946
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), 50 Jahre Gottfried Keller Stiftung, Bern: Kunstmuseum Bern, 1942
Wälchli, Gottfried, Frank Buchser 1828-1890. Leben und Werk, Zürich: Orell Füssli, 1941 (Monographien zur Schweizer Kunst 9)
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Basel, Kunsthalle Basel (Ausst.-Kat.), Frank Buchser. Ausstellung zum 50. Todestag, Basel: Kunsthalle Basel, 1940
Solothurn, Kunstmuseum Solothurn (Ausst.-Kat.), Gedächtnisausstellung Frank Buchser 1828-1890, Otto Frölicher 1840-1890, mit einem Text von Gotthard Jedlicka, Solothurn: Kunstmuseum Solothurn, 1940
Jedlicka, Gotthard, "Frank Buchser. Fragmente über den Menschen und Künstler", in: Neue Schweizer Rundschau, N.F. 4, Heft 9, 9.1.1937, S. 513-530
Solothurn, Kunstmuseum Solothurn (Ausst.-Kat.), Gedächtnisausstellung Frank Buchser 1828-1890, veranstaltet durch die Schweiz. Eidgenossenschaft, unter Mitwirkung des Kunstvereins Solothurn, mit einem Text von Dr. Conrad von Mandach, Solothurn: Kunstmuseum Solothurn, 1928
Roffler, Thomas, Frank Buchser (1828-1890), Frauenfeld/Leipzig: Huber, 1928 (Die Schweiz im deutschen Geistesleben 12)
Zürich, Kunsthaus Zürich (Ausst.-Kat.), Frank Buchser, 1828-1890, Zürich: Kunsthaus Zürich, 1928
Bern, Kunsthalle Bern (Ausst.-Kat.), Gedächtnisausstellung Frank Buchser, 1828-1890, veranstaltet durch die Schweiz. Eidgenossenschaft, mit einem Text von Dr. Conrad von Mandach, Bern: Kunsthalle Bern, 1928