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Werkbeschrieb
Johann Jakob Biedermann bedient sich sowohl in seinen Radierungen als auch in den grösseren Ölgemälden eines sorgfältig austarierten Kompositionsschemas, das den Eindruck eines klassizistisch ruhenden Ganzen vermittelt, jedoch keine besonders grossen Variationsmöglichkeiten aufweist.
Auch in dieser um 1819 entstandenen Landschaft, das den Blick von Interlaken gegen die Jungfrau zeigt, kommt dieses Kompositionsschema zum Einsatz. Ein schmaler, von verschiedenen Nutztieren sowie einem Hirtenpaar bevölkerter Uferstreifen führt gleichsam als Bühne in das Bild hinein. Ein im Schatten liegender, vom Bildrand beschnittener Laubbaum soll als klassisches Repoussoirmotiv der Steigerung des Tiefeneindrucks dienen. Der Mittelgrund wird von einem kleinen See sowie dem angrenzendem Ufer samt verschiedenen, detailliert wiedergegebenen Behausungen gebildet, was Biedermanns Vorliebe für idyllisch-heitere See- und Hügellandschaften widerspiegelt. Durch Betonung der vertikalen Mittelachse wird der Blick über das Tal zur Jungfrau gelenkt, die das Bild gegen hinten abschliesst. Dabei werden dem Betrachter unterschiedliche alpine Geländeformationen vorgeführt: Ausgehend von einer bewaldeten Hügelkuppe erfährt die Landschaft eine stete Steigerung. Ein von Wiesen und Hecken geprägter Berghang leitet über zu schroffen Felsabsprüngen und findet schliesslich einen Höhepunkt in den Schnee- und Gletscherlandschaften des Jungfraumassivs.
Die Nähe zu Joseph Anton Kochs klassizistischen Gebirgslandschaften wird durch eine lineare Malweise, die Blätter und Gräser in klaren Umrissen wiedergibt, sowie durch einen sparsamen, dünnen Farbauftrag betont, der keine erkennbare Pinselfaktur aufweist. Dennoch herrscht nicht ein heroischer, sondern vielmehr ein idyllischer Gesamteindruck vor. Ein heiterer Himmel und mildes Sonnenlicht, das sich in einem einheitlichen, warmen gelben Grundton äussert, sowie das behaglich saufende Vieh und die beiden hübsch gekleideten, allerdings massstäblich etwas zu klein geratenen, ländlichen Figuren vermitteln das Bild eines schweizerischen Arkadiens, fernab vom beginnenden industriellen Zeitalter mit Eisenbahnen und Fabriken. Bereits 1835 hat ein früher Biograph des Künstlers festgestellt: "In Biedermanns Landschaften sey es beständig Sonntag".
Die idyllische Auffassung der Szenerie erinnert an Biedermanns frühes Studium der holländischen Landschafts- und Tiermalerei des 17. Jahrhunderts. Auch die detailliert ausgeführten Staffagefiguren weisen eine gewisse Nähe zur holländischen Malerei auf: Den Blick herausfordernd aus dem Bild gewandt, scheint der junge Hirte dem Betrachter etwas zeigen zu wollen. Solche Figuren findet man beispielsweise in der holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts als Hilfe zur Aufschlüsslung der Bildbedeutung. Hier funktioniert der Hinweis allerdings nicht, denn worauf der Junge mit seiner Rechten weist, bleibt unklar. Den Eindruck der Landschaft als Ort der ländlichen Harmonie und einfacher bäuerlicher Sitten wird dadurch allerdings nicht geschmälert.
Regine Fluor-Bürgi
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, 1933 Ankauf
Eingangsjahr:1933
Provenienz/ Provenance
R. Biedermann-Mantel, Winterthur, mind. um 1930
Prof. Dr. Paul Fink, Winterthur
Bernhard Eglin-Stiftung, 1935
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References Kunstmuseum Winterthur: Gedächtnisausstellung zu Johann Jakob Biedermann vom 7. September bis 5. Oktober 1930, Kat. Nr. 56.
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
• Korrespondenz Herr Thomas Huth, Technischer Leiter Kunstmuseum Winterthur, 21. November 2017
• Inventar der Sammlungen der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1945
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Stadtarchiv Luzern
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Gemäss dem «Inventar der Sammlungen der Bernhard Eglin-Stiftung» aus dem Stadtarchiv Luzern konnten wir den Verkäufer des Gemäldes ausfindig machen: Am 15. Oktober wurde es bei Prof. Dr. Paul Fink aus Winterthur erworben. Herr Fink war seit 1910 Konservator des Kunstmuseums Winterthur. Herr Thomas Huth - technischer Leiter des Kunstmuseums Winterthur - konnte uns die Auskunft geben, dass das Gemälde im Jahr 1930 an der Gedächtnisausstellung für Johann Jakob Biedermann im Kunstmuseum Winterthur ausgestellt worden ist. Im entsprechenden Katalog wird Robert Biedermann als Besitzer des Gemäldes angegeben, dessen Frau Anne-Louis Biedermann von 1913 bis zu ihrem Tod 1941 Vorstandsmitglied des Galerievereins Winterthur (Unterstützungsverein des Kunstvereins Winterthur) war. Unklar bleibt, ob Paul Fink 1935 lediglich als Vermittler zwischen der Familie Biedermann-Mantel fungierte, oder ob es zwischen 1930 und 1935 noch in seinen Besitz gelangt ist. Daher ist die Provenienzkette streng genommen nicht lückenlos, jedoch unproblematisch.
Kategorie B
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Alpine Air. Swiss Artists Inspired by Mountains, Tokyo, The Bunkamura Museum of Art, 04.03.2006 - 09.04.2006
Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 03.03.1940 - 31.12.1940
L'art Suisse des origines à nos jours, Genf, Musée d'art et d'histoire
Alpine Air. Swiss Artists Inspired by Mountains, Nagano, Matsumoto City Museum of Art, 29.10.2005 - 23.12.2005
Alpine Air. Swiss Artists Inspired by Mountains, Shimane, Shimane Art Museum, 02.01.2006 - 24.02.2006
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Fantaisie Equestre, Lausanne, Musée Cantonal des Beaux-Arts, 23.07.1982 - 12.09.1982
Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 15.12.1935 - 08.01.1936
Eröffnungsausstellung, Luzern, Kunsthaus Luzern, 10.12.1933 - 01.03.1934
La collection retrouvée. Von Füssli bis Hodler: Meisterwerke aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.07.1993 - 26.09.1993
J. J. Biedermann, 1763-1830, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 13.03.1938 - 13.04.1938
Gedächtnis-Ausstellung für J. J. Biedermann. 1763–1830, Winterthur, Kunstmuseum Winterthur, 07.09.1930 - 05.10.1930
Home Grown – Winterthurer Malerei durch die Jahrhunderte, Museum Oskar Reinhart, Wintherthur, 10.01.2014 - 01.06.2014
Schnee. Rohstoff der Kunst, Bregenz, Vorarlberger Landesmuseum, 20.06.2009 - 04.10.2009
Literatur
Fehlmann, Marc ; mit Beiträgen von Marc Fehlmann ... [et al.], Home Grown – Winterthurer Malerei durch die Jahrhunderte, Museum Oskar Reinhart, Winterthur 2014
Bregenz, Vorarlberger Landesmuseum (Ausst.-Kat.), Schnee. Rohstoff der Kunst, hrsg. von Tobias G. Natter, Ostfildern: Hatje Cantz, 2009
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Tokyo, The Bunkamura Museum of Art (Ausst.-Kat.), Alpine Air. Swiss Artists Inspired by Mountains, mit Texten von Beat Wismer (et al.), Tokyo: The Bunkamura Museum of Art, 2005
Schaller, Marie-Louise, Annäherung an die Natur. Schweizer Kleinmeister in Bern 1750-1800, hrsg. von der Bürgergemeinde Bern und der Stiftung "Graphica Helvetica" Bern, Bern: Stämpfli, 1990
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Lausanne, Musée cantonal des beaux-arts (Ausst.-Kat.), Fantaisie Equestre, mit Texten von Willy Rotzler und Erika Billeter, Lausanne: Musée cantonal des beaux-arts, 1982
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Meyer-Rahn, Hans, Gesamtbericht über die Gründung und Tätigkeit der Bernhard Eglin-Stiftung von 1933-1946, Luzern: Bernhard Eglin-Stiftung, 1946
Hugelshofer, Walter, Johann Jakob Biedermann, 1763 (Winterthur)-1830 (Zürich). 12 Reproduktionen nach Gemälden von J. J. B. aus dem Kalender für das Jahr 1945, hrsg. von der Schweizerischen Unfallversicherungs-Gesellschaft in Winterthur, Winterthur: Schweizerische Unfallversicherungs-Gesellschaft, 1945
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Hauptwerke der Museen Winterthur und Luzern, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1940
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), J. J. Biedermann, 1763-1830, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1938
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Die Erwerbungen der Bernhard-Eglin-Stiftung, mit einem Vorwort von Paul Hilber, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1935
Winterthur, Kunstverein Winterthur (Ausst.-Kat.), Gedächtnis-Ausstellung für J. J. Biedermann. 1763-1830, Winterthur: Kunstverein Winterthur, 1930