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Werkbeschrieb
Den Sommer verbrachte das Ehepaar Vallotton meist im Château de la Naz oberhalb von Lausanne oder in seinem Haus in Honfleur. In diesem kleinen Fischerdorf in der Normandie entstand auch Vallottons Roman „La vie meurtrière“, der aber erst posthum erschien. Der ironisch-sarkastische Roman schildert in der Ich-Form das Leben Jacques Verdiers. Zum Selbstmord entschlossen berichtet Verdier verzweifelt von seinem Fluch, jeden seiner Bekannten ins Verderben gestürzt zu haben. In einem zweiten, 1920 geschriebenen und erst 1970 posthum publizierten Roman mit dem Titel „Corbehaut“ lässt Vallotton ähnlich wie in seinem malerischen Werk die bürgerliche Fassade einer Kleinstadtidylle brüchig werden und das Grauen und die Doppelmoral des Bürgertums durchscheinen. Damit schafft er einen interessanten Beitrag zur phantastischen Literatur und findet zu einem verfremdend-dekorativen Stil, der Personen und Landschaften bisweilen ins Unheimlich-Unwirkliche überträgt. So spielen sich etwa in eleganten Interieurs sarkastisch geschilderte Ehedramen ab.
In Honfleuer ist neben vielen anderen Werken auch das Gemälde „Ciel gris, ciel noir“ (Abb. S. 078) entstanden. Extreme Licht- und Wetterphänomene haben Vallotton immer fasziniert. Landschaften im Gegenlicht, Sonnenuntergänge, Wolkenbilder, aber auch ganz unspektakuläre trübe Wetterlagen mit dumpfem grauem Himmel sind charakteristische Bildmotive. Der Wind wird im Gemälde von 1910 von Vallotton eindrücklich umgesetzt, die Bäume werden vom Sturm gebeutelt. Die Darstellung der extremen Wettersituation setzt Vallotton mit einer minimalen Farbpalette von Hell- bis Dunkelgrau, jedoch mit einem heftigen Farbauftrag um. Es ist eines der seltenen Bilder im Œuvre des Künstlers, in welchem die Farbe Grau eine derart dominante Rolle spielt. Es transportiert eine emotionale Stimmung, die durchaus mit Vallottons Gemütslage in Verbindung gebracht werden kann. Sein Charakter war von depressiven Stimmungen geprägt. Sein Tagebuch ist voller Notizen, in denen er seine momentane Gemütsverfassung beschreibt und oft drückt er diese mit einem Vergleich mit der aktuellen Wetterlage aus. So schreibt er etwa am 30. August 1915: „La pluie, enfin! Tout devient grave et le paysage se met à l’unisson des pensées grises et monotones” In „Ciel gris, ciel noir“ wird der Landschaftsraum zum Stimmungsraum.
Der Begriff der „paysage composé“ spielt im Spätwerk Vallottons eine wichtige Rolle. Der Künstler verstand darunter Landschaften, die zwar auf Beobachtungen in der Natur beruhen, aber nicht die sichtbare Wirklichkeit wiedergeben sollen. Er verwendete dazu häufig in der Natur entstandene Skizzen, mit Hilfe derer er das Bild später im Atelier ausführte. Die Skizze selbst zeichnet sich dabei bereits durch eine Abstraktion der wesentlichen Teile aus, und diente dazu, aus der tatsächlich geschauten Landschaft eine idealtypische Wirklichkeit entstehen zu lassen. Vallotton benützte die Wirklichkeit als Baumaterial, aus dem er seine eigene Bildwirklichkeit erschuf. Ein grosser Anteil der Bildelemente ist deshalb aus verschiedenen Motiven zusammengesetzt oder stark interpretiert. In seinem Tagebuch begründete er das Ziel dieser synthetischen Malerei folgendermassen: „Je rêve d’une peinture dégagée de tout respect littéral de la nature, je voudrais reconstituer des paysages sur le seul secours de l’émotion qu’ils m’ont causée, quelques grandes lignes évocatrices, un ou deux détails, choisis, sans superstition d’exactitude d’heure ou d’éclairage.“
Christoph Lichtin
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, Hildegard und Raimund Stierli-Kronenberger, Oberwil BL. Die Taxe wurde von Christoph Engelhorn, Meggen, bezahlt.; Auktion vom 13.6.1996, Galerie Koller
Eingangsjahr:1996
Ausstellungsgeschichte
Félix Vallotton (1865-1925). Peintures, Lausanne, Galerie Vallotton, 24.06.1976 - 04.09.1976
Ausstellung Januar, Zürich, Kunsthaus Zürich, 09.01.1913 - 11.02.1913
Félix Vallotton, Lausanne, Galerie Vallotton, 19.11.1992 - 30.01.1993
Hommage an Viktor Lüthy (1924–1998), Luzern, Kunstmuseum Luzern, 25.08.2004 - 26.09.2004
Exposition de peintures de Félix Vallotton, Paris, Galerie Druet, 22.01.1912 - 03.02.1912
Ergriffenheit – Werke aus der Sammlung von Hodler bis Henning, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 11.06.2005 - 13.11.2005
Félix Vallotton, Genf, Galerie Engelberts
René Auberjonois, Albert Kohler, Alexander Soldenhoff, Félix Vallotton, Basel, Kunsthalle Basel, 09.05.1926 - 30.05.1926
Der Lesesaal. Werke aus der Sammlung von Hodler, Augusto und Giovanni Giacometti, Amiet, Vallotton, Markowitsch, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 06.05.2006 - 27.08.2006
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Ins Offene! Landschaftsdarstellungen von Ferdinand Hodler und Robert Zünd bis Max von Moos, Luzern, 08.03.2014 - 16.11.2014
ABC der Bilder. Die Sammlung lesen, Luzern, 25.02.2023 - 19.11.2023
Literatur
Lichtin, Christoph, "Félix Vallotton", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 119-122
Lichtin, Christoph, "Félix Vallotton", in: Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli 2008, S. 119-122
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Ducrey, Marina, Félix Vallotton. L'oeuvre peint. Catalogue raisonné, Lausanne: Fondation Félix Vallotton; Mailand: 5 continents Editions srl; Zürich: SIK, 2005 (Catalogues raisonnés d'artistes suisses 22)
Lüthy, Viktor, "Bernhard Eglin-Stiftung", in: Jahresbericht der Kunstgesellschaft Luzern 1996, S. 30-31
Lausanne, Galerie Vallotton (Ausst.-Kat.), Félix Vallotton, Katalog von Marina Ducrey, Lausanne: Galerie Vallotton, 1992
Lausanne, Galerie Vallotton (Ausst.-Kat.), Félix Vallotton, Katalog von Marina Ducrey, Lausanne: Galerie Vallotton, 1992
Ducrey, Marina, "Actualité. Suisse. Lausanne. Félix Vallotton", in: L'Oeil, Nr. 447, Dezember 1992, S. 99
Ducrey, Guy/Ducrey, Marina, La Galerie Vallotton depuis 1913..., Lausanne: Galerie Vallotton, 1988
Lausanne, Galerie Vallotton (Ausst.-Kat.), Félix Vallotton (1865-1925). Peintures, mit einem Beitrag von Georges Borgeaud, Lausanne: Galerie Vallotton, 1976
Vauxcelles, Louis, "Exposition Vallotton. Magnifique exposition", in: Gil Blas, 24.1.1913, erneut in: Félix Vallotton. Documents, 1974, S. 269