In seinen Videos nimmt Beat Streuli ähnlich wie in den Diaprojektionen und Fotografien scheinbar beiläufig Menschen auf der Strasse von Grossstädten insbesondere von New York auf. Während er für die Fotografien oder Dias teilweise seine Protagonisten mit der Kamera begleitet, wird in den Videos das laufende Geschehen auf der Strasse von einem bestimmten Punkt aus aufgenommen und wiedergegeben. Die Kamera bleibt in den „Allen Street“-Videos (insgesamt existieren drei Versionen, von denen das Kunstmuseum Luzern zwei besitzt) während der ganzen 45 Minuten unbewegt auf einen kleinen Ausschnitt der Strasse von Lower East Side, New York, gerichtet. In „Allen Street I, 5-24-94“ bildet ein schräg durch das Bildfeld laufender Gehsteig die Konstante. Im Vordergrund auf dem Gehsteig spielen Jugendliche mit einem Ball, dahinter ziehen Passanten oder Autos vorbei. Vom Spiel bekommen wir nur die eine Hälfte zu sehen, die andere Partei befindet sich ausserhalb des Bildes – auf der Seite des Betrachters. Im anderen Video „Allen Street II, 5-29-94“ öffnet sich das Bild dagegen vom Betrachter weg, da am unteren Bildrand Jugendliche mit dem Rücken zu uns auf einer Bank sitzen, die sich bereits ausserhalb des Bildfeldes befindet. Andere Personen kommen hinzu, sie begrüssen sich, tauschen sich aus, wechseln Plätze.
Anders als in der Diaprojektion wird so die Bewegung nicht mittels Unterbrechung und Wechsel von Bild zu Bild vermittelt, sondern die Bewegung durchzieht das Bildfeld. An der Grenze zum Bildrand entsteht eine Spannung zwischen statischem Bildausschnitt und der darin bzw. darüber hinaus verlaufenden Bewegung. Das sonst kaum beachtete und oft in Langeweile versinkende alltägliche Geschehen wird einerseits im gleich bleibenden Ausschnitt gesteigert und andererseits durch die Begrenzung des Blickfeldes einer besonderen Aufmerksamkeit unterzogen. Indem wir die Ziellosigkeit der jugendlichen Personen, die ihre Zeit vertreiben, beobachten, werden wir gleichzeitig fasziniert von ihren kleinen, teilweise ungelenken Gesten. Gleichzeitig werden wir auch der Dringlichkeit des Lebens bzw. des Überlebens der Menschen bewusst, sei es durch den Kontakt zu anderen Menschen oder den Austausch von Drogen oder Geld.
Die Details rufen die Problematik der in Lower East Side von New York lebenden Menschen auf den Plan, bleiben aber anders als im Dokumentarvideo unkommentiert. Die „Allen Street“-Videos bieten keinen Überblick über das Geschehen mit seinen sozialen und politischen Konflikten. Vielmehr geben sie einen scheinbar zufällig gewählten Ausschnitt wieder und eröffnen so einen unvoreingenommen Blick auf die Strasse als Lebensraum.
Annamira Jochim