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Werkbeschrieb
Unter den Arbeiten Lovis Corinths nehmen die Bildnisse, insbesondere die Selbstbildnisse, einen wichtigen Platz ein. Zeit seines Lebens schafft der Maler Abbildungen von Menschen aus seinem Umfeld und zumeist anlässlich seines Geburtstages im Juli fertigt er jeweils ein Bildnis seiner selbst an. Auch die Kritik kommt gemeinhin übereinstimmend zum Urteil, Corinth habe als Porträtist seine höchsten künstlerischen Leistungen vollbracht.
Das im Sommer nach Corinths Schlaganfall entstandene Gemälde "Selbstbildnis mit Panamahut" zeigt einen mit weissem Hemd und ultramarin- bis nachtblauem, doppelreihig geknöpftem Jackett bekleideten Herrn mittleren Alters. Der Porträtierte schaut etwas schüchtern und verhalten, aber dennoch interessiert auf den Betrachter. Er posiert in Dreiviertelansicht vor einem bläulichen Hintergrund, der allerdings kaum Raumtiefe suggeriert. Bei diesem Bildhintergrund handelt es sich links um eine blassgrünblaue Fläche, auf der sich ein schriftlicher Vermerk des Künstlers eingeritzt findet: "Lovis Corinth/ipse me/pinxi/Aug 1912/Bernried"; rechts dagegen ist eine zweifarbig in blauweissem Rapportmuster bemalte oder tapezierte Wand zu sehen. Der Anschein der Raumlosigkeit wird überdies verstärkt dadurch, dass mit dem Hervortreten der beigefarbenen Leinwandgrundierung im Bereich des rechtsseitigen, blauweiss gemusterten Hintergrundes der scheinbare Raum "auszufransen" droht. Bemerkenswert bezüglich der Räumlichkeit ist aber auch, wie stark sich Corinth als Bildfigur selber in den Vordergrund rückt. Sowohl der aufgesetzte helle Hut – oberhalb des dunkel gestreiften Hutbandes – als auch die Schulter und die rechte Armpartie sind durch den Bildrand angeschnitten, was den Eindruck einer unmittelbaren Nähe des Dargestellten zum Betrachter entstehen lässt.
Das Porträtgemälde basiert auf einem schlichten, farblich komplementär aufgebauten Arrangement von Blassgelb-Nachtblau und Chamois-Grün, das Hut und Inkarnat der Kleidung und dem Hintergrund gegenüberstellt. Corinth versucht offensichtlich, die Malerei als solche zu thematisieren, indem er Pinselstrich neben Pinselstrich setzt und sich nicht um einen malerischen Realismus bemüht, der die Künstlichkeit des Bildes zu verschleiern versucht. Das vorliegende Gemälde zeichnet sich gerade aus durch den "Widerspruch" zwischen Repräsentation einer plastischen Figur einerseits und Präsentation des künstlerischen Materials, der Farbe, andererseits. Hierin womöglich von der Malerei Vincent van Goghs beeinflusst, erzielt Corinth diese Wirkung über den pastosen Farbauftrag und den spezifischen Pinselduktus, der das Bildfeld in ornamentaler Flächigkeit strukturiert. Das mit kurzen Pinselstrichen mehr plastisch modellierte Gesicht jedoch hebt sich vom Rest des Gemäldes ab, was den starken Ausdruck der Figur unterstreicht.
Mit seinem Verweis auf die sommerliche Jahreszeit – der Panamahut als Urlaubs- oder Freizeitaccessoire – sowie den leuchtenden satten Farben von Kleidung und rechtem Hintergrund wirkt dieses Bild eindeutig freundlicher und optimistischer als andere, einige Wochen und Monate früher gemalte Selbstbildnisse. Vorliegendes Werk entsteht, wie die Signatur besagt, an Corinths bevorzugtem Feriendomizil am Starnberger See, wo er sich während des Sommers 1912 zur Erholung vom erlittenen Schlaganfall aufhält.
Wie auch ein Vergleich mit weiteren Selbstbildnissen sowie mit Fotografien zeigt, ist das Selbstporträt bei Corinth nicht einfach ein gemaltes Spiegelbild, das sein repräsentatives Äusseres treffend wiedergibt. Ebenso wenig handelt es sich beim vorliegenden Gemälde um ein eigentliches "Künstlerporträt", wie viele andere Selbstbildnisse Corinths, insofern sich der Maler hier als Privatperson ohne Künstlerinsignien wie Pinsel, Palette oder Staffelei darstellt. Nicht nur Farbauftrag, Bildausschnitt und Komposition, sondern auch Motiv – der genesende sich selbst beobachtende Mensch – nehmen mithin Bezug auf Vincent van Goghs berühmtes "Selbstbildnis mit verbundenem Ohr", das Corinth womöglich bekannt ist.
Die Deutung des "Selbstbildnis mit Panamahut" als Inszenierung des Künstlers als Leidender oder "Märtyrer der Moderne" (Matthias Mühling, in: Ausst.-Kat. Hamburg, 2004) liegt folglich nahe. Die "Gestimmtheit" der dargestellten Figur ist also wie in den übrigen Porträts nicht nur augenblicklicher Gesundheits- und Gemütszustand, der als momentane Haltung unter bestimmtem Lichteinfall in impressionistischer Weise festgehalten würde, sondern scheint ebenso sehr immer auf das grundsätzlicher Charakteristische des Porträtierten zu verweisen – im vorliegenden Bild etwa eingelöst durch den ambivalenten, gleichermassen skeptisch-scheuen wie aufmerksam-prüfenden Blick des Dargestellten.
Isabel Fluri
Provenienz
Kunstmuseum Luzern
Eingangsjahr:1953
Provenienz/ Provenance
Oskar Hermes, München
Dr. Alfred Faller, mind. seit 1936
Dr. Berta-Faller-Lorenz, Luzern
Kunstmuseum Luzern, 1953
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References
- Charlotte Behrend-Corinth: Lovis Corinth. Die Gemälde – Werkverzeichnis, München 1992.
- Kunsthalle Basel: Lovis Corinth, Basel 1936.
- Online-Bestände der Universität Heidelberg
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Das Selbstbildnis mit Panamahut von Lovis Corinth gelangte 1953 als Legat der Frau Dr. Berta-Faller-Lorenz aus Luzern in die Sammlung des Kunstmuseums Luzern. Frau Faller-Lorenz war die Witwe des Luzerner Zahnarztes, Dr. Alfred Faller Lorenz. Die Konsultation des Ausstellungskatalogs der Kunsthalle Basel zur Corinthausstellung im Jahr 1936 ergab, dass Herr Alfred Faller bereits im Besitz des Selbstbildnisses gewesen sein muss, da er als Leihgeber aufgeführt war. Gemäss dem Werkverzeichnis von Charlotte Behrend-Corinth befand sich das Gemälde zuvor im Besitz von Oskar Hermes in München. Leider sind darin weder Jahreszahlen angegeben noch vermerkt, ob es sich um eine geschlossene Provenienzkette handelt. Der Katalog wurde 1992 von Frau Beatrice Hernand überarbeitet, die uns leider keine weitere Auskunft über die Provenienzangaben des Werkverzeichnis machen konnte.
Die Recherche nach dem Kunsthändler Oskar Hermes hat ergeben, dass er 1916 verstarb und seine Kunstsammlung im Februar 1917 von Hugo Helbing versteigert wurde. Der Auktionskatalog war in den digitalen Beständen der Universität Heidelberg einsehbar, jedoch war unser Bild darin nicht aufgeführt.
In der Sammlung-Online der Berlinischen Galerie ist das Konvolut des Kunstarchivs Werner J. Schweigers aufgeführt, worin wir die Angaben zum Kunstbesitz Oskar Hermes bestätigt fanden. Dass Corinths Selbstbildnis mit Panama-Hut nicht in der Nachlassaktion Oskar Hermes auftaucht, lässt darauf schliessen, dass es schon vorher von Hermes selbst verkauft wurde; ob direkt an Alfred Faller, ist jedoch nicht zu eruieren.
Kategorie B
Ausstellungsgeschichte
Rémy Zaugg. Trois ou quatre porte-fenêtres (le lac, des bateaux, le rivage, les hôtels, les alpes...). Un Autoportrait, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 13.07.1991 - 15.09.1991
Ich. Lovis Corinth, Hamburg, Hamburger Kunsthalle, 19.11.2004 - 06.03.2005
Lovis Corinth, Hannover, Niedersächsische Landesgalerie, 26.10.1958 - 30.11.1958
Lovis Corinth, Essen, Museum Folkwang, 10.11.1985 - 12.01.1986
Lovis Corinth. An Exhibition of Paintings, London, The Tate Gallery, 09.01.1959 - 15.02.1959
Max Liebermann, Max Slevogt, Lovis Corinth, Basel, Kunsthalle Basel, 08.10.1980 - 09.11.1980
Slevogt, Liebermann, Corinth, Schaffhausen, Museum Allerheiligen
Lovis Corinth, Wolfsburg, Volkswagenwerk
Sonderbund Köln Europäische Kunst 1912, Köln, Wallraf-Richartz Museum
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Lovis Corinth. Das Porträt, Karlsruhe, Badischer Kunstverein, 04.06.1967 - 03.09.1967
Lovis Corinth 1858-1925 zum Gedenken. Ölgemälde, Graphik, Linz, Neue Galerie der Stadt Linz, 01.10.1960 - 01.11.1960
Lovis Corinth, München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, 24.01.1986 - 30.03.1986
Ergriffenheit – Werke aus der Sammlung von Hodler bis Henning, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 11.06.2005 - 13.11.2005
Lovis Corinth, Basel, Kunsthalle Basel
Lovis Corinth, München, Städtische Galerie und Lenbach Galerie
1912: Break up of Traditions. Traditions et ruptures, Winnipeg, Winnipeg Art Gallery, 07.08.1987 - 04.10.1987
Literatur
Hamburg, Hamburger Kunsthalle (Ausst.-Kat.), Ich, Lovis Corinth. Die Selbstbildnisse, hrsg. von Ulrich Luckhardt und Uwe M. Schneede, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, 2004
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Armin Meili - Der Architekt Armin Meili (1892 -1981) und das Kunst- und Kongresshaus Luzern (mit einem Verzeichnis der Ausstellungen im Kunstmuseum Luzern 1933 - 1993), mit Texten von Karin Gimmi, Stanilaus von Moos, Martin Schwander und Hans-Peter Wittwer, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Baden: Lars Müller, 1993
Wien, Kunstforum Bank Austria und Hannover, Forum des Landesmuseums Hannover (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth, hrsg. von Klaus Albrecht Schröder, München: Prestel Verlag, 1992
Charlotte Behrend-Corinth, Lovis Corinth. Die Gemälde - Werkverzeichnis, München: Bruckmann, 1992
Horst Uhr, Lovis Corinth, Berkeley, Los Angeles, Oxford: University of California Press, 1990
Winnipeg, Winnipeg Art Gallery (Ausst.-Kat.), 1912: Break up of Traditions. Traditions et ruptures, hrsg. von Louise d'Argencourt, Winnipeg: Winnipeg Art Gallery, 1987
Essen, Museum Folkwang und München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth. 1858-1925, hrsg. von Zdenek Felix, Köln: Du Mont, 1985
Lovis Corinth. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und druckgraphische Zyklen, Köln, Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln Köln: Museen der Stadt 1976
Kneubühler, Theo, "Aus dem Kunstmuseum Luzern. Lovis Corinth: Selbstbildnis mit Panamahut. August 1912. Öl auf Leinwand, 66 x 52 cm (Werkkatalog Nr. 515)", in: Vaterland Luzern, Nr. 42, 20.02.1976, S. 13
Rudolf Pfefferkorn, Die Berliner Secession. Eine Epoche deutscher Kunstgeschichte, Berlin: Haude & Spener Berlin: Haude & Spener, 1972
Karlsruhe, Badischer Kunstverein (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth. Das Porträt, Karlsruher: C.F. Müller GmbH, 1967
Linz, Neue Galerie der Stadt Linz (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth 1858-1925 zum Gedenken. Ölgemälde, Graphik, mit einem Text von Walter Kasten, Linz: Neue Galerie der Stadt Linz, 1960
London, The Tate Gallery (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth. An Exhibition of Paintings, mit einem Text von Hans Konrad Röthel, London: The Tate Gallery, 1959
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958
Hannover, Niedersächsische Landesgalerie (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth. Gedächtnisausstellung zur Feier des 100. Geburtsjahres, hrsg. vom Kunstverein Hannover, München: Prestel, 1958
Basel, Kunsthalle Basel (Ausst.-Kat.), Lovis Corinth, Basel: Kunsthalle Basel, 1936
Adolf Reinle, "Luzern, Kunstmuseum", in: Du. Schweizerische Monatsschrift, (15. Jahrgang), Nr. 2, Februar 1955, S. 38