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Werkbeschrieb
Die religiösen Themen wie die zahlreichen Madonnenbilder im Werk von Moriz Melzer werden oft mit seiner Herkunft aus dem katholischen Böhmen in Verbindung gebracht. In der Tat ist er in Albendorf geboren, einem kleinen böhmischen Dorf, das von einer grossen Wallfahrtskirche dominiert wird. Neben den barocken Kirchen seiner Heimat setzt er sich bei seinem Italienaufenthalt 1914 in Florenz ausgiebig mit der italienischen Malerei auseinander. Die „Madonna II“ des Kunstmuseums Luzern ist jedoch kurz vor diesem Aufenthalt entstanden und wird bereits 1913 in der Galerie Commeter in Hamburg und beim „Salon d’Automne“ in Paris ausgestellt.
Seine religiösen Darstellungen tragen einen eigenwilligen Charakter, der sich in Kolorit und Komposition von der traditionellen christlichen Ikonographie abhebt. Der Einsatz der Farbe ist vergleichbar mit dem der Expressionisten der damaligen Zeit, indem sie nicht mehr das Äussere der Dinge charakterisiert, sondern ihre innere Substanz. Die Expressionisten lösen sich von der Motivfarbe zugunsten eines Eigenwerts der Farbe, ohne aber das Motivische ganz aufzugeben. Vielmehr entsteht durch das Verhältnis von Motiv und Farbe eine Spannung, die das Bild in Bewegung bringt. Der Zusammenhang zwischen Intensität und Ausdehnung einer Farbe bestimmt die Bildkomposition Melzers auf jeweils eigene Weise wie hier bei der Madonnendarstellung oder auch in den Badeszenen.
Die Komposition der „Madonna II“ nimmt zwar auf den ersten Blick Bezug auf tradierte Mutter-Kind-Darstellungen, sticht aber wegen ihrer grünlichen Hautfarbe heraus, weswegen sie auch „Grüne Madonna“ (Ausst.-Kat. 1918 und 1957) genannt wurde. Das Grün der Haut verleiht der Madonna etwas Befremdliches, das sie auf eine Ebene jenseits des Menschlichen hebt. Umgekehrt verschmilzt ihr Heiligenschein mit dem Braunton des Bildgrundes, auf dem sich ihr blaues Kleid abzeichnet. Im Verschwinden des Heiligenscheins im Bildgrund nimmt die Madonna eine menschliche Form an, die von der entrückten Farbigkeit des Gesichts kontrastiert wird.
Die Verbindung von göttlichen und menschlichen Eigenschaften charakterisiert auch die Darstellung der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Obwohl die Madonna sich dem Kind zuneigt und ihre Arme es umfangen, blickt sie es nicht wirklich an und hält es auch nicht mit ihren Händen fest. Das Kind ist umringt von der Mutter und dennoch scheint es frei in den Stoffbahnen des Kleides zu liegen. Diese eigenartige Geborgenheit in der Stofflichkeit des Kleides und die merkwürdige Eigenständigkeit des Kindes finden sich auch in anderen Madonnendarstellungen von Melzer wie in der „Meeresmadonna“ und der „Handmadonna“. Diese zeigt sich in der Haltung und im aufmerksamen Blick des Kindes aus dem Bild heraus, während die Mutter in Versunkenheit dargestellt ist.
Neben der Farbigkeit verleiht der Künstler dem Bild auch mittels seiner Herstellungstechnik, der Monotypie, eine besondere Ausdruckskraft. Sie zeichnet sich durch starke Konturen und satte farbige Flächen aus. Diese Farbflächen werden von Aussparungen durchsetzt, die wie Glanzlichter das Papier hervorleuchten lassen. Dadurch werden hier zum einen die stoffliche Qualität des Kleides der Madonna und zum anderen die Leuchtkraft ihres Gesichtes und der Hände hervorgehoben.
Annamira Jochim
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, 1944
Eingangsjahr:1936
Ausstellungsgeschichte
Moriz Melzer, Köln
Sammlung Walter und Alice Minnich 1936/37
Moriz Melzer, Dresden
Moriz Melzer, Hamburg
Moriz Melzer, Frankfurt
V. Graphische Ausstellung des deutschen Künstlerbundes, Hamburg, Galerie Commeter
Moriz Melzer, Düsseldorf
Moriz Melzer, Wien
Moriz Melzer, Düsseldorf
Salon d'automne, Paris, Grand Palais des Champs-Elysées, 15.11.1913 - 05.01.1914
Moriz Melzer, Stettin
Moriz Melzer, Mannheim
Schenkung Minnich 1937
Moriz Melzer, Leipzig
Moriz Melzer, München
1933-1993. 60 Jahre Kunstmuseum Luzern im Meili-Bau, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 20.04.1993 - 02.05.1993
Restaurierung 2006
Literatur
Arnhold, Hermann; LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, Morgner und die Moderne, Wienand Verlag 2015
Regensburg, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Ausst.-Kat.), Moriz Melzer. Streben nach reiner Kunst. Werke von 1907 bis 1927, hrsg. von Gerhard Leistner, Regensburg: Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, 2007/2008
Greschat, Isabel/Lichtin, Christoph (Hrsg.), Pechstein, Melzer, Soutine, Terechkovitch. Der Sammler Walter Minnich und das Kunstmuseum Luzern, Heidelberg: Kehrer; Luzern: Kunstmuseum Luzern, 2006
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Berlin, Otto-Richter-Halle (Ausst.-Kat.), Moriz Melzer. Zum 80. Geburtstag, mit Texten von Hellmut Kotschenreuther und Elisabeth Dauthendey, Berlin: Otto-Richter-Halle; Buch und Kunstdruck Hans Markert Söhne, 1957
Paris, Grand Palais des Champs-Elysées (Ausst.-Kat.), Salon d'automne. Catalogue des ouvrages de peinture, sculpture, dessin, gravure, architecture et art décoratif, hrsg. von der Société du Salon d'Automne, Paris: Kugelmann, 1913