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Werkbeschrieb
Die Wand-Projektion „Over your Head“ zeigt lediglich ein weiss vor schwarzem Hintergrund leuchtendes Rund, das sich zunächst vergrössert und dann langsam verkleinert, um schliesslich völlig zu verschwinden. Die Erscheinung hat anfangs eine kompakte, gelblich-weiss geränderte, dem menschlichen Auge oder einem Kameraobjektiv ähnliche Form. Diese Objektiv-Linse, zunächst noch mühelos gegenständlich wahrzunehmen, entwickelt sich in der Folge zu einem sonnenartig-gleissenden, fast das ganze Rechteck der Projektion überstrahlenden (Leucht-)Körper. Diese das Auge blendende Lichtfülle transformiert sich alsbald wieder in ihre anfängliche Augen-Form und löst sich sodann im Dunkel des Grundes auf. Begleitet wird diese sich mehrmals wiederholende Metamorphose von einem surrenden Ton, der an das Geräusch einer Maschine, womöglich eines laufenden alten Filmprojektors erinnert und damit einen narrativen Ablauf erwarten lässt. Die Handlung jedoch ist auf ein Minimum reduziert: Einziges Indiz für das im Medium „Video“ typischerweise wiedergegebene Moment der Bewegung ist die leichte Verformung der Lichtquelle – ein Effekt, der aus der verzögert auf das Ein- und Ausschalten der Leuchte reagierenden Automatik der Videokamera resultiert.
Das je nach Betrachtungsweise transparent wie undurchdringlich wirkende Licht macht im Normalfall ein (Kunst-)Objekt überhaupt erst sichtbar, stellt insofern die Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung dar: Was gemeinhin bloss als Medium zu funktionieren hat, wird hier selber zum Gegenstand der Darstellung. Auch das Auge, auf das die Form der Lichtquelle anspielt, ist, wie das ungegenständliche Licht, ein zumeist unterschlagener Faktor im Wahrnehmungsprozess. Diese üblicherweise nicht in Erscheinung tretenden, also stillschweigend vorausgesetzten Grössen – das Licht sowie das Betrachter- und das Künstlerauge – rücken in „Over your Head“ ins Zentrum der Wahrnehmung. Die Arbeit reflektiert demnach eben die Betrachtung, die im Gang ist, nämlich das Sich-Ereignende {Geschehen, Ereignis} zwischen einem Werk und seinem Rezipienten. Dies erkennend, wird der vom Licht geblendete Betrachter also gewissermassen zu einem „blinden Seher“, ähnlich der paradoxen Figur des Teiresias in der griechischen Mythologie, bei dem gerade die offensichtliche sinnliche „Behinderung“ mit höherer Einsicht zusammengeht.
Sowohl das Motiv des Blendens wie auch die Ähnlichkeit der Erscheinung mit dem menschlichen Auge lässt überdies die Interpretation zu, dass hier ausdrücklich thematisiert wird, inwiefern sich ein Kunstwerk von irgendeinem beliebigen Gegenstand unterscheidet: Es lässt sich nicht problemlos betrachten, also konsumieren. Vielmehr entzieht es sich gängigen Identifikationsmustern – es „schaut“ zurück. Die blendende Lichtfülle kann verstanden werden als Weigerung, unkompliziert genossen oder, beispielsweise zur Illustration einer ausserbildlichen Wirklichkeit, einfach nutzbar gemacht zu werden. Damit geht eine Befragung der Kategorien „Subjekt“ und „Objekt“ einher: Der Betrachter ist nicht unzweifelbar souveräner, einzig aktiver Part im Wahrnehmungsprozess. In der Kunstbetrachtung setzt er sich einem Werk aus, das ihn seinerseits in verschiedener Hinsicht, und womöglich „über Gebühr“, wie der Titel „Over your Head“ nahe legt, in Anspruch nimmt.
Eine frühere tonlose Version dieser Arbeit war im Jahre 2001 Teil der Installation „Madame Rosa Black’s Room“. Die Einrichtungsgegenstände jenes Raums – ein Monitor, „Over your Head“ wiedergebend, vor einem Holzstuhl positioniert – waren so angeordnet, dass das Interieur um 90° gedreht erschien, mithin die eine Seitenwand als Bodenfäche fungierte. Die Emanzipation der Arbeit „Over your Head“ aus diesem installativen Kontext ist, wie auch umgekehrt die Integration von zunächst selbstständigen Werken in eine Installation, im Schaffen von Nils Nova nichts Aussergewöhnliches. Zu dieser wie selbstverständlichen Neu- oder Umdeutung gehört auch im Falle von besagter Arbeit der Wechsel vom Monitor zur Projektion an die Wand über einen Beamer. So kommt auf einer anderen Ebene ein Wandlungsprozess ins Spiel, der letztlich wiederum zurückverweist auf die Metamorphose des Lichts von der Bedingung zum Gegenstand der Betrachtung.
Isabel Fluri
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stadt Luzern
Eingangsjahr:2003
Ausstellungsgeschichte
Bienvenue / Willkommen / Welcome @ Altkirch, Altkirch, CRAC (CENTRE RHENAN D'ART CONTEMPORAIN) Alsace, 15.09.2002 - 24.11.2002
Nils Nova, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 13.03.2002 - 02.06.2002
Literatur
Paravicini-Tönz, Gianni und Flurina (Hrsg.), Nils Nova - Screen, mit einem Text von Giovanni Carmine, Luzern, Poschiavo: Edizioni Periferia, 2005
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Nils Nova, mit Texten von Peter Fischer, Lux Lindner, Stefan Banz und Ulrich Loock, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 2002