Wer sind wir eigentlich? Und wie stellen wir uns dar? Gibt es ein fest umrissenes Ich, das sich abbilden lässt? Und wenn ja, wie lange könnten wir uns mit dieser einen Abbildung identifizieren? Sabian Baumann (*1962) hat zu diesem Thema eine Zeichnung angefertigt, die mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. «Selfie» zeigt zwei rechte Hände, die auf ganz unterschiedliche Art mit Bleistift an einem Selbstporträt arbeiten. Während die eine Hand mit präzisem Strich um die sorgfältige Wiedergabe von Kopfform, Ohren und Haaren bemüht ist, scheint die andere Hand (sie gehört zu einem behaarten Arm) diese Bemühung zunichtezumachen. Mit wilden Kritzelbewegungen hat sie ausgerechnet jene Stelle bedeckt, wo wir das Gesicht des Selbstporträts erwarten.
Warum lässt Sabian Baumann zwei rechte Hände das Selbstporträt zeichnen? Wofür stehen sie und in welchem Verhältnis zueinander agieren sie? Bekämpfen oder ergänzen sie sich? Brauchen sie einander? Gehören sie vielleicht sogar zusammen? Sollte das Selbstporträt überhaupt zu dem von der einen Hand angestrebten (und konventionell erwartbarem) eindeutigen Ende kommen? Oder geht es Sabian Baumann vielleicht gerade darum, diese Erwartung zu stören und zu zeigen, dass sich Identität niemals endgültig festschreiben lässt, sondern als andauernder Prozess in der Schwebe bleibt?
Sabian Baumann hinterfragt gesellschaftliche Kategorien, die uns in Frauen oder Männer, Menschen oder Tiere, Subjekte oder Objekte teilt und verwischt solche Grenzen bewusst.