Das fortschrittliche Umfeld der University of Iowa bringt Ana Mendieta in den frühen 1970er Jahre in Kontakt mit führenden Exponenten der aktuellen Kunstströmungen. Darunter befanden sich neben anderen Allan Kaprow, Robert Wilson, Vito Acconci oder ihr Professor Hans Breder (mit ihm war sie längere Zeit privat liiert), aber auch die amerikanischen Pionierinnen der feministischen Kunst wie Mary Beth Edelson oder Carolee Schneemann. So erstaunt es nicht, dass Mendietas Arbeiten während der ersten Jahre ihrer künstlerischen Tätigkeit äusserst radikal und unmittelbar körperbetont sind. Sie verlässt die Malerei wendet sich ausschliesslich der Performance und der Fotografie zu.
Seit 1973 unternimmt Mendieta regelmässig Reisen nach Mexico. Erstmals verbindet sie dort ihre Körperinszenierungen mit überlieferten religiösen Praktiken und sucht sich als deren Schauplätze alte Kultorte aus. Im Sommer 1973 entstehen in der archäologischen Stätte Yagul die ersten Arbeiten mit Körperumrissen, die sogenannten „Siluetas“. Später nutzt sie für diesen Werktypus auch ihre unmittelbare Lebensumgebung in Iowa, speziell die Gegend von Old Man’s Creek. Hier setzt sie ihren eigenen Körper in einer Art und Weise in die Natur, dass er sich mit dieser geradezu verbindet. Dabei spielen die Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft (Rauch) stets eine prinzipielle Rolle, während Blut, Hühnerfedern, Pflanzen und Blumen als rituelle Beigaben dienen. Die Posen leiten sich oft von kultischen Praktiken ab, so auch in Mendietas vielleicht berühmtesten Motiv, „Arbol de la vida“ (Lebensbaum), welches die Künstlerin, den nackten Körper mit Schlamm eingerieben, in der Göttinnenpose mit erhobenen Armen vor einem mächtigen Baumstamm wiedergibt. Beziehen sich gewisse „Silueta“-Bilder auf konkrete Göttinnen, erstmals 1977 die Inszenierung „El Ix-Chell Negro“ (Ixchel war die Erd- und Mondgöttin der Maya, Schutzherrin des Webens, der Heilkraft und der Geburt), so sind in anderen statt Körper nur noch Spuren sichtbar, sei es als Zeichen des abwesenden Körpers, sei es als flüchtiges Zeugnis einer stattgefundenen Handlung.
Obwohl als performative Handlungen ohne Publikum konzipiert, sind die meisten „Silueta“-Arbeiten fotografisch (35 mm Farbdiapositive), einige wenige filmisch dokumentiert. In spärlicher Zahl hat Mendieta ausgewählte Einzelabzüge zu Lebzeiten veröffentlicht. Der Nachlass der 1985 unter tragischen Umständen verstorbenen Künstlerin (Raquelín und Ignacio Mendieta) hat neben wichtigen Arbeiten aus ihrer Studentinnenzeit im Jahre 1991 je 12 Bilder aus den zwei zentralen Werkkomplexen, „Mexico Series“ (1973-1977) und „Iowa Series“ (1976-1978), in einer Edition von je 20 Exemplaren als sogenannte „estate prints“ postum neu abgezogen, autorisiert und dem Handel zugeführt. Die Fotografie Nr. 05 der Silueta Works in Iowa ist auch unter dem separaten Titel "El Ix-Chell Negro" verzeichnet.
Peter Fischer