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Werkbeschrieb
Auf einem grosszügigen Querformat ist eine ländliche Szenerie mit einem Bauernhaus und mehreren hinter- bzw. übereinander gelegenen Hügelzügen zu erblicken. Zahlreiche Bäume, von Lüthy als einfache Dreiecksformen zeichenhaft wiedergegeben, überwuchern die Berghänge. Auch andere in der Natur aufgefundene vielfältige Erscheinungen werden zu einfachen, grossen Formen umgedeutet, deren Flächigkeit durch dicke Konturlinien noch betont wird. Im Vergleich zu etwas früheren Landschaftsbildern des Künstlers fällt auf, dass auf jede Art von plastischer Modellierung sowie auf eine naturalistische Beleuchtung, die helle Akzente und Schattenwürfe schaffen würde, verzichtet wird.
Die Farben, die dünn und in relativ trockener Konsistenz auf eine teilweise sichtbar werdende Leinwand aufgebracht wurden, sind angenehm gedämpft: Orange, Rotbraun, Taubenblau und Grün vermitteln den Eindruck herbstlich umgefärbter Wälder nach einem Regentag. Dennoch sind die Farben nicht als beschreibende Lokalfarben zu verstehen. Ihnen kommt vielmehr ein kompositioneller Stellenwert, beispielsweise eines zwischen kalt und warm oszillierenden Farbklangs, zu.
Kompositorisch wird durch die ländliche Behausung, den Baumriesen sowie den flachen Hügel dahinter die Bildmitte betont. Ansonsten fällt eine Vorliebe für einen ziemlich symmetrischen Bildaufbau auf. Eine gewisse Nähe ist zu dem etwa gleichzeitig entstandenen Landschaftsbild "Häuser und Bäume" (KML M 95.205x) auszumachen. Das Farbenspektrum ist dort ähnlich harmonisch gedämpft, die Formen vereinfacht und klar umrissen, allerdings ist ihre Fragmentierung geometrisch strenger.
Das Leben in der freien Natur und dessen Wiedergabe sowie eine Faszination für das Abgelegene scheinen den Expressionisten gereizt zu haben. Dass es sich bei Lüthys Landschaftsgemälden nicht um reine Naturabbilder mit bestimmbaren topographischen Orten handelt, ist klar. Was aber kennzeichnet eigentlich die expressionistische Landschaftsmalerei? "Der Künstler stellt nicht die Natur dar – sondern sein Erlebnis in derselben. Wenn in der Kunst von Natur die Rede ist, so kann nur das Naturerlebnis des Künstlers, also die menschliche Natur gemeint sein", schreibt Walter Helbig, ein weiteres Gründungsmitglied des Modernen Bundes an die befreundete Irma Woermann 1913. Das vorliegende Bild würde demnach einen durch das persönliche Erlebnis gefilterten und aus der Erinnerung neu geschaffenen Natureindruck darstellen. An einen der "Väter des Expressionismus", Paul Gauguin, erinnern auch folgende, in Weggis verfasste Notizen von Lüthys Künstlerfreund: "Das Werk ist erst dann künstlerisch zu nennen, wenn der Künstler kraft seiner eigenen Phantasie über die Erscheinung der Gegenstände hinaus eine noch vor ihm ungeschaute Formenwelt entstehen lassen kann, die die Sphäre unserer Umgebung durchbricht und in eine höhere Sphäre eindringt, die in der Ausstrahlung der Dinge verborgen liegt." Helbig muss in diesem Zusammenhang explizit erwähnt werden. Das Gemälde "Berglandschaft in der Innerschweiz" wurde nämlich bisher ihm zugeschrieben. Sowohl in Ausstellungen – etwa zum Expressionimus in der Schweiz 1975 – oder in der Retrospektive des Künstlers in Locarno 1993, wird das Gemälde als ein Hauptwerk Helbigs rezipiert, wenn auch die Nähe zum gleichzeitig in Weggis tätigen Lüthy jeweils festgehalten wird. Eine Analyse der Unterschrift deutet aber eindeutig auf Oscar Lüthy als Autor hin.
Regine Fluor-Bürgi
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stiftung BEST Art Collection Luzern, vormals Bernhard Eglin-Stiftung, 1996 ex Galerie Patrick Fröhlich, Bern
Eingangsjahr:1996
Ausstellungsgeschichte
Landpartie. Die Luzerner Landschaftsmalerei zwischen "Paysage intime" und dem Aufbruch ins 20. Jahrhundert, Hochdorf, Kulturzentrum Braui, 07.11.1998 - 22.11.1998
Moderner Bund. 2. Ausstellung, Zürich, Kunsthaus Zürich, 07.07.1912 - 31.07.1912
Künstlergruppen in der Schweiz 1910-1936, Aarau, Aargauer Kunsthaus, 15.05.1981 - 30.08.1981
Walter Helbig, Locarno, Pinacoteca comunale, 06.06.1993 - 15.08.1993
Der Moderne Bund. Arp, Helbig, Lüthy, Gimmi, Huber, Klee, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 13.08.2011 - 13.11.2011
Ins Offene! Landschaftsdarstellungen von Ferdinand Hodler und Robert Zünd bis Max von Moos, Luzern, 08.03.2014 - 16.11.2014
Expressionismus: Die wilden Fauves kommen!, Lens, Fondation Pierre Arnaud, 15.12.2017 - 20.05.2018
Expressionismus Schweiz, Kunstmuseum, Winterthur, 10.07.2021 - 16.01.2022
Expressionismus Schweiz, Museo Archeologico Regionale, Aosta , 24.06.2022 - 23.10.2022
Expressionismus Schweiz, Städtische Museen Heilbronn, 12.11.2022 - 26.02.2023
Literatur
Fässler, Doris (Hrsg.), Der Moderne Bund. Beginn der Moderne in der Schweiz, mit Texten von Christian Bührle, Doris Fässler, Walburga Krupp, Paul Müller, Osamu Okuda, Viola Radlach und Silvia Volkart, Luzern: Diopter, 2011
Hübner, Klaus, "Der Kampf der "Wilden" gegen das Alte. Der Moderne Bund im Kunstmuseum Luzern", in: kunst:art. Die kostenlose Zeitung für Kunst und Künstler, Juli-August, 2011, S. 10
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Landpartie - Die Sammlung des Kunstmuseums Luzern auf Reisen im Kanton, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Theo Kneubühler, Ulrich Loock und André Rogger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1998
Radlach-Pries, Viola Maria/Barzaghini, Mario/Brentini, Fabrizio, Walter Helbig, Locarno: Pinacoteca comunale, Casa Rustica, 1993
Radlach, Viola M., Walter Helbig. Spuren seines Frühwerks: 1896-1924, Zürich: Universität Zürich, 1982