1978 findet in der Berner Kunsthalle die von Johannes Gachnang kuratierte Einzelausstellung „The Exhibition of Perfect“ von James Lee Byars statt. Unter anderem werden die Werke „THE PERFECT AUDIENCE“ (KML 2009.33w) und “I SAW HIM OVER THERE” (2009.32w) präsentiert. Die gleichnamigen sich in der Sammlung des Kunstmuseums Luzern befindlichen Marmorplatten sind Repliken von 1986. In der Ausstellung werden mehrheitlich Skulpturen gezeigt, die sich zwar formal am Minimalismus orientieren, jedoch in beinahe klassischem Sinn präsentiert werden und nach Sockeln verlangen. Die grösseren, meist aus Marmor bestehenden Werke werden auf weissen Kisten aus Satin, kleinere Objekte in speziell dafür angefertigten Vitrinen ausgestellt. Zahlreiche Arbeiten sind im Rahmen von Byars’ 'Plays' entstanden und fordern den Betrachter zum Agieren auf. Ein Beispiel dafür ist die Skulptur „STEPPING OVER THE STONE IS MYSTIC“, die sich direkt im Eingangsbereich befindet. Die Besucherin, der Besucher ist gezwungen, über die Marmorplatte zu steigen, um die Ausstellungssäle zu betreten und wird dadurch selbst zum Akteur. Insofern impliziert diese Handlung auch einen Übergang von der einen Erkenntnisebene zur nächsten – vom Alltag in den Kunstraum. Die erste Besucherin betritt – entgegen der Intention des Titels – die schwarze Marmorplatte, die unter dem Druck entzwei bricht. Die Bruchstelle wird anschliessend vergoldet.
Anhand der Ausstellung offenbart sich ein Wandel in Byars’ Œuvre zu jener Zeit. Nebst der sinnlichen Wahrnehmung eines inszenierten Augenblicks, werden nun auch die Fragen nach Raum, Skulptur und Material neu gestellt. Während frühere Werke als Teil einer Handlung oder einer Geste entstehen, können die Arbeiten nun vielmehr auch als Kunstwerke im 'traditionellen Sinn' begriffen werden. Durch den Gebrauch von beständigem (Edel-) Material ab Mitte der 1970er Jahre – mit wachsender Intensität ab 1987 – wendet sich Byars Skulpturen zu, die Ewigkeitswert besitzen. Das Vollkommene findet sich für ihn dabei nicht in der materiellen Vollkommenheit, sondern in der Suche danach. Inspiration für seine meist bildlosen Formen erhält er während seiner Aufenthalte im Ausland durch die gebotenen Werkstoffe vor Ort, wie in Griechenland durch den besonderen Marmor oder in Bern durch das von Sandstein geprägte Stadtbild. Während die nunmehr 'traditionellen' Skulpturen auf mehr Resonanz im Kunstmarkt stossen, versucht sich Byars noch immer der kommerziellen Seite der Kunst zu entziehen. Insbesondere mit dem für seine Skulpturen verwendeten Material reiht er sich in eine Folge verschiedener klassischer Bildhauer und nimmt insofern eine geradezu 'archetypische' Position innerhalb der bildenden Kunst ein. (Vgl. KML 2009.36w; KML 2009.37w) Diese bricht er jedoch wieder auf: Anleihen an die traditionellen Vorläufer setzt er überraschend ein und bewegt sich in seinen Werken stets an der Grenze zwischen Ephemerem und Materialisiertem.
Patrizia Keller