Seit Ende der 1950er Jahre experimentiert Geiger in formal streng reduzierter Ölmalerei mit der Wirkung modulierter Farbfelder und deren Komplementärkontrasten. Künstlern wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke gelingt es damals mit konsumkritischen Pastiches von Pop-Elementen die gegenständliche Kunst im Nachkriegsdeutschland zu rehabilitieren. Dennoch bleibt Geiger im aktuellen Diskurs verankert. Aus der naturwissenschaftlichen Perspektive der aufkommenden Op Art erhält seine Wahrnehmungsmalerei pionierhafte Züge. Nicht nur in neuen Kunstformen wie dem Happening oder der Performance, sondern auch in der gegenstandslosen Kunst setzt sich eine partizipative, körperbezogene Haltung durch. Ausgehend davon, dass sich der Bildbegriff seit der impressionistischen Malerei stetig vom symbolischen Bedeutungsträger zum sinnlichen Abbild erweitert hat, erforschen nun Künstler wie Bridget Riley oder Victor Vasarely die visuellen Bedingungen von Subjekt und Malerei. Dabei verwischt nicht nur die Grenze zwischen Künstler und Betrachter, sondern auch zwischen der intellektuellen und physiologischen Wahrnehmung.
Ab Mitte der 1960er Jahre verwendet Geiger Acryl- und fluoreszierende Tagesleuchtfarben. Ähnlich dem industriellen Lackierverfahren trägt er sie mit Spritzpistole und Schablonen auf die vor ihm liegenden Leinwände auf. „486/68“ und „548/69“ gehören zum Zyklus „Gerundetes Gelb“ (1968-1969). Hier untersucht er das Zusammenspiel von Gelb, Weiss und Grau in Form von gerundeten, deckend aufgebrachten Flächen, die mit einem puderig wirkenden Pigmentnebel besprüht werden. Das haltlos entlang der Flächen wandernde Auge gibt sich dem Sog von grellen, beissend kalten dann wieder flauen, dunstig warmen Farbnuancen hin. Mit dem Auge überschreitet schliesslich der gesamte Körper die Schwelle der begrenzten Leinwand und tritt ins räumliche Farbuniversum über. In Tagebucheinträgen beschreibt Geiger seine Faszination für die Raumfahrt und wie diese seine Arbeit schon seit den 1950er Jahren prägt („E 105 Raumstation“, 1950; „361/61 Gagarin“, 1961). Parallel zur Eroberung des Weltraums sucht die Jugendkultur der 1960er Jahre eine Bewusstseinserweiterung im rauschhaften Zustand, ausgelöst durch Musik, Kunst oder Drogenkonsum. Geigers Einladung, in gestimmte Farbräume überzutreten, trifft den Nerv der Zeit.
Von den metaphysisch-alchemistischen Farb-Interpretationen Yves Kleins ist Geigers Farbbekenntnis insofern abzugrenzen, als er das Geiger-Rot im ganzen Spektrum ansiedelt und es also nicht auf eine bestimmte Pigmentkombination fixiert. Wenn Klein ab 1959 mit Gold und Pink arbeitet, transportieren seine Monochrome eine streng definierte Symbolik. Geiger legt die Farbwirkung seiner Bilder im Vergleich dazu weitaus weniger dogmatisch fest. Zwar geben beide Künstler ihre persönliche Faktur für ein mechanisches Malverfahren und zugunsten der Farbwirkung auf. Dennoch erforscht Klein anhand der patentierten Marke „International Klein Blue“ letztlich auch die Mechanismen, die einen Gegenstand zum Kunstwerk machen. Für Geiger steht dagegen allein das Kippmoment zwischen visueller und körperräumlicher Farberfahrung – die sinnliche Grenzüberschreitung also – stets im Vordergrund. Dennoch ist Farbe in beiden Fällen nicht nur künstlerisches Material, sondern die Materie – „ein Element“, wie Geiger sagt – mit Tendenz zum Immateriellen. Das Konzept des immateriellen Farbraums hat seinen Ursprung in der christlichen Licht-Metaphysik des Mittelalters und prägt den Kirchenbau seit dem 12. Jahrhundert. Hier steht der von farbigem Licht durchflutete Chorraum für spirituelle Erleuchtung und die Harmonie der göttlichen Schöpfung.
Gabrielle Schaad