Albrecht Schnider wird am 30. Dezember 1958 in Luzern geboren und verbringt seine Kindheit, die von katholischer Erziehung geprägt ist, auf dem väterlichen Bauernhof in Sörenberg. Nach der Matura besucht er von 1982 bis 1987 die Schule für Gestaltung und die Universität in Bern. Im Jahr 1987 beginnt Schnider mit einer 11-teiligen Serie von Porträts, die sich durch eine reduzierte Farbigkeit und flächige Malweise auszeichnen. Die in kleinen, jedoch uneinheitlichen Formaten gehaltenen Bildnisse – die Köpfe sind von einem nimbusartigen, flächig silbernen Hintergrund umgeben – stellen in ikonenhafter Strenge den Künstler selbst und seine Lebenspartnerin dar. Die Gesichter zeichnen sich durch einen distanzierten, entpersönlichten Ausdruck aus; was darauf hindeutet, dass die Selbstbefragung des Künstlers zugunsten der Suche und des Erprobens neuer formaler Bildfindungen zurückweicht.
Im Sommer 1988 entstehen auf der Alp des Vaters erste kleinformatige Landschaftsbilder. Fortan bilden die Landschaften eine wichtige Konstante in Schniders Schaffen. Sie entstehen kontinuierlich und parallel zu seinen anderen Arbeiten, die sich unabhängig von einem geografischen Ort in klar abgrenzende Werkgruppen einordnen lassen. Die flächigen, exakt begrenzten Farbfelder bestehen aus helleren und dunkleren Partien, die jeglicher erzählerischer Gestaltungsmittel wie Menschen, Bäume, Pflanzen oder Architektur entbehren. Ab 1989 lebt Albrecht Schnider im toskanischen Follonica bei Grosseto bis er 1991 ein Stipendium am Istituto Svizzero in Rom erhält. Bei einem Aufenthalt in Florenz im Jahr 1992 entdeckt der Künstler die Malerei des italienischen Manierismus. Eine zentrale Rolle spielen die Zeichnungen in Schniders Schaffen. Sie belegen die prozessuale Vorgehensweise, indem er den ausdrucksstarken und formalen Qualitäten auf den Grund geht, weisen einen spontanen und freien Strich auf und bilden die Basis seiner bildnerischen Tätigkeit. Das Stilisierte und Distanzierte seiner Malereien wird in der Zeichnung durchbrochen und überwunden.
1991 übersiedelt Albrecht Schnider nach Brüssel. 1994 gewinnt der Innerschweizer Künstler den Manor-Kunstpreis, der Anlass zur Präsentation seiner monumentalen Figurenbilder – dargestellt sind der Maler und seine Familie – im Kunstmuseum Luzern gibt. Die zwischen 1990 bis 1994 entstandenen Werke erinnern an manieristische, aber auch an die christliche Ikonografie. Schniders Gemälde schwanken zwischen Künstlichkeit und Authentizität. Nichts dem Zufall überlassend, hält der Künstler mittels fixierter Konturen und des teils mechanischen Farbauftrags die äussere Wirkung des Bildes unter Kontrolle. Wie bereits in den vorgängigen Porträts treten auch hier die individuellen Züge der Figuren in den Hintergrund.
Anstelle der zuvor miteinander verflochtenen Figuren tritt ab 1996 die in den Zeichnungen erprobte, perfektionierte und geglättete Linie, die durch Weisshöhung eine Dreidimensionalität erlangt. Diese Linie ist ein Pinselstrich, den der Künstler im Malprozess zusehends schematisiert und stilisiert. Ab dem Jahr 2000 ersetzt Schnider die Ölfarbe durch Acryllack. Weiss tritt dominant an die Bildoberfläche und erhält als Bildmittel einen neuen Stellenwert: Es dient nicht mehr als Grundschicht, sondern wird zuletzt aufgetragen. Die Betrachtenden erleben dadurch eine Irritation des Wahrnehmungsprozesses; es entsteht ein komplexes Spiel von Fläche und Raum, von Vor- und Hintergrund. Schniders Kunstwerke weisen sich durch einen perfekten, homogenen Farbauftrag aus, der keine Korrekturen oder Fehler zulässt. Seine Werke wirken wie industriell gefertigte Arbeiten.
1998 zieht Albrecht Schnider nach Berlin, wo er bis heute lebt. In dieser Zeit entstehen die sogenannten Kopfbilder: Eine weisse, bilddominante Fläche breitet sich vom Bildzentrum aus und wird von einer schwarzen, einen Kopf suggerierenden Konturlinie begrenzt. Die Betrachter blicken auf eine weisse Leere – einem Bild im Bild – und werden Teil des ambivalenten Spiels von Abstraktion und Abbild, Individualität und Industrialität sowie Fläche und Volumen. Jüngere Arbeiten des Künstlers zeigen sich überlagernde hauchdünne Scheiben in Blasslila auf weissem Grund. Auch hier betreibt Schnider das Spiel mit der Wahrnehmung, lässt seine Arbeiten, schwankend zwischen Abstraktion und Abbild, ohne endgültige Aussage im Raum stehen.
Albrecht Schnider beschäftigt sich mit der Geschichte der Malerei, indem er deren traditionelle Fragestellungen nach Komposition, Materialität, Abbild und Autorenschaft thematisiert. In seinen Kunstwerken, die von der Gegenständlichkeit bis hin zur Abstraktion reichen, experimentiert er mit dem individuellen Pinselstrich, den er bis zur Chiffre stilisiert. Seine figurativen Motive erinnern an religiöse Darstellungen und seine Landschaften beispielsweise rufen formale Entsprechungen zu Gemälden Vallottons oder Emmeneggers hervor.
Schnider spürt in prozessorientierten Bildfindungen anhand eines Motivs formalen Lösungen nach und evoziert dadurch einen Diskurs über und zur Malerei. In dem Moment als man ihn einzuordnen beginnt, entzieht sich der Künstler und zurück bleiben sich klar voneinander abgrenzende Werkgruppen.
Barbara Hatebur
Aarau, Aargauer Kunsthaus (Ausst.-Kat.), Albrecht Schnider. Das noch Mögliche, mit Beiträgen von Stephan Kunz (et al.), Aarau: Aargauer Kunsthaus, 2006
Solothurn, Kunstmuseum Solothurn/Berlin, daadgalerie Berlin (Ausst.-Kat.), Albrecht Schnider, mit Texten von Friedrich Meschede und Christoph Vögele, Solothurn: Kunstmuseum Solothurn, 1998
Oberholzer, Niklaus, "Papier und Bleistift - oder mehr?", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 252, 31. Oktober 1998, S. 50
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Albrecht Schnider, mit Texten von Martin Schwander und Philip Ursprung, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1994
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Albrecht Schnider. Zeichnungen, hrsg. Albrecht Schnider und Brigitte von Niederhäusern, mit einem Text von Josef Helfenstein, Rom: Istituto Svizzero di Roma, 1991
Zürich, Shedhalle Zürich (Ausst.-Kat.), Albrecht Schnider, hrsg. von Albrecht Schnider, mit einem Text von Harm Lux, Bern: Kurt Salchli Verlag, 1989