Von Albrecht Schnider besitzt das Kunstmuseum Luzern – auch dank einer Schenkung aus Privatbesitz – eine umfangreiche Gruppe von Arbeiten von den 1980er Jahren bis in die 2000er-Jahre. Verschiedene Formen der Abstraktion, aber auch gegenständliche Motive wie Kopf oder Bildgattungen wie Landschaft und Porträt sind in dieser Werkgruppe zu finden.
Im Vergleich zu den teilweise grossformatigen Bildern in der Sammlung des Kunstmuseums nimmt sich die kleinformatige Arbeit Skulptur (Spiegel) von 2010 eher marginal aus. Ein runder Spiegel von ca. 20 cm Durchmesser wird in schrägem Stand gehalten von einigen Pinseln, die senkrecht von seiner Rückseite abstehen. Dort sind sie dadurch befestigt, dass sie in einer dicken Schicht weisser Farbe festkleben. Was auf den ersten Blick wie ein Missgeschick im Atelier wirkt, erweist sich bei näherem Hinsehen als humorvolle und doch tiefgründige Reflexion über die Bedingungen der Malerei.
Die Pinsel zeigen sich als unverzichtbare Werkzeuge, weil sie den runden Spiegel nur dadurch in seiner aufrechten Stellung halten, dass sie untrennbar mit der Farbe verbunden sind. Die weisse Farbe erinnert wohl nicht zufällig an das bevorzugte Malmedium des Amerikaners Robert Ryman (* 1930). Dessen treffende Unterscheidung zwischen «colour» und «paint», also zwischen Farbe als lichthafter Erscheinung und Farbe als streichfähiger Paste, war für die Malerei nach den 1960er-Jahren fundamental. Die Eigenart von Farbe, plastisches Material zu sein, veranschaulicht Ryman durch die fast ausschliessliche Verwendung von weisser Farbe. Die dicke Schicht weisser Paste auf der Rückseite von Schniders Spiegel wirkt wie ein Reflex der Ryman’schen Praxis.
Der Spiegel selbst schliesslich ist seit alters her eine Metapher für die abbildende Funktion von Kunst. Denn die täuschend echte Nachahmung der Realität galt lange Zeit als herausragender Zweck von Malerei und Skulptur, was erst durch die abstrakten Tendenzen am Beginn des 20. Jahrhunderts in Frage gestellt wurde.
In Schniders Werk spiegelt sich je nach der Position von Betrachter und Betrachterin ein anderes Detail des Ausstellungsraums, wobei diese Ausschnitte durch die runde Form des Spiegels teilweise verfremdet und damit abstrahiert werden. Einmal mehr verschränkt der Künstler also in diesem kleinen, beiläufig erscheinenden Werk auf fundamentale Weise die beiden im vergange-
nen Jahrhundert als völlig gegensätzlich und unvereinbar geltenden Sparten der gegenständlichen und der abstrakten Kunst.
Heinz Stahlhut