Am 1. April 1831 kommt Albert Anker im Bauerndorf Ins im bernischen Seeland als Sohn eines Tierarztes zur Welt. Als Albert fünf Jahre alt ist, zieht seine Familie nach Neuchâtel, wo er später Schule und Gymnasium besucht. Die Nähe zum frankophonen Sprach- und Kulturraum erweist sich für Ankers Werdegang, der seinen Namen schon früh von Albrecht in Albert ändert, als entscheidend. So wählt er 1854 keine deutsche Kunstakademie, etwa jene in München oder in Düsseldorf, wie die meisten seiner deutschsprachigen Berufskollegen, sondern geht nach Paris in das Atelier des Schweizer Klassizisten Charles Gleyre und an die Ecole Impériale et Spéciale des Beaux-Arts. Gerade die spezifische Verbindung, die das einfache ländliche Motiv seiner Heimat mit der hoch entwickelten malerischen Kultur der Weltstadt eingeht, macht den Reiz von Ankers Werk aus.
Zunächst jedoch beginnt er auf Wunsch des Vaters ein Theologiestudium in Bern und in Halle. Trotz einer weitgehenden Identifizierung mit diesem Berufsstand, interessiert er sich ab 1851 brennend für die Malerei, was ihn in einen heftigen inneren Konflikt stürzt. Erst knapp vor Ende des Studiums informiert er den Vater in einem an Weihnachten 1853 verfassten Brief über seine eigentliche Leidenschaft. Nach zögerlichem Einwilligen des Vaters in die neuen Berufspläne verspricht Anker, auch als Künstler seinen bürgerlichen Lebenswandel nicht zu ändern und „eher ein rechtschaffener Mensch als ein berühmter Maler zu werden“.
Bei Charles Gleyre lernt er zeichnerische Präzision und koloristische Zurückhaltung, während er im Louvre alte Meister kopiert. Bereits während seines Studiums kann er mehrere dieser Kopien verkaufen und erhält ausserdem erste Porträtaufträge. Seinen frühen Erfolg bezeugen auch erste Medaillen, die er an der Ecole des Beaux-Arts erhält. In einem Verkaufsbüchlein, dem "Livre de Vente", notiert er alle Einkünfte und Ausgaben, gleichsam um sich damit seiner Geschäftstüchtigkeit zu versichern und seine Berufswahl durch den nachgewiesenen Verdienst im Nachhinein zu legitimieren. Wie seinem Vater versprochen, führt er ein wohlgeordnetes, bürgerliches Leben und hält sich an regelmässige Arbeitszeiten. Zwischen 1854 und 1890 verbringt er den Sommer in Ins, die Wintermonate jeweils in Paris, das in ihm nach eigenen Angaben den Arbeitseifer entfache. In der Grossstadt besucht er regelmässig Konzerte oder Zirkusvorstellungen. Der Mittelpunkt seines Lebens bleiben aber Freunde, Familie und die tägliche Beschäftigung mit der Malerei.
1860 stirbt der Vater. Nachdem er bereits in früher Jugend Mutter, Schwester und Bruder verloren hat, wird der Tod zum wichtigen Thema in seinem Frühwerk. Im Jahr darauf unternimmt er seine erste Italienreise. Drei Jahre später heiratet er Anna Ruefli, eine Freundin seiner verstorbenen Schwester. Mit ihr hat er sechs Kinder, von denen zwei das Kleinkindalter nicht überleben. Um nach der Familiengründung eine zusätzliche Einkommensquelle zu erschliessen, beteiligt er sich zwischen 1866 und 1892 als künstlerischer Mitarbeiter in der Fayencefabrik von Théodore Deck in Paris. Dieser Teil seines Œuvres umfasst ungefähr 500 eigenhändig bemalte Wandplatten und -teller, die thematisch oft an seine Ölmalerei anknüpfen.
Mit seinen Motiven einer intakten, dörflichen Lebensgemeinschaft, die weder sozialkritisch hinterfragt wird, noch nostalgisch verklärt ist, gelingt ihm 1859 in Frankreich ein erster Durchbruch. Definitiv kann er sich 1864 auf dem Markt etablieren, als ihn der Pariser Kunsthändler Goupil ins Programm aufnimmt.
Als 37-Jähriger glaubt Anker seine endgültige, künstlerische Sprache bereits gefunden, sein künstlerisches Potential ausgeschöpft zu haben. Tatsächlich prägen Kontinuität und Einheitlichkeit sein Werk, was eine Datierung oder eine Gliederung in Etappen erschwert. Die Tonalität wird zwar um 1870 heller und der Pinselstrich etwas breiter und freier, aber insgesamt bleibt seine Kunst einem Stil verpflichtet. Denn die von ihm angestrebte Wiedererkennbarkeit – sie soll ihm bei der Behauptung auf dem Kunstmarkt helfen – verträgt sich nur schlecht mit malerischer Experimentierfreude.
Nicht ohne Bedenken gibt Anker 1890 seinen Wohnsitz in Paris auf und wohnt von da an in Neuchâtel und Ins. Dort nimmt er aktiv am Dorfleben teil, amtet beispielsweise als Sekretär der Schulkommission. Ausserdem ist er Mitorganisator der schweizerischen Abteilung der Pariser Weltausstellung, Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission, Mitglied der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung und Ehrenmitglied der Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer. Um 1900 verleiht ihm die Universität Bern den doctor honoris causa.
Im Auftrag des Verlegers Frédéric Zahn illustriert Anker widerwillig eine Gotthelf-Ausgabe. Anders als Gotthelfs unbarmherzige Schilderungen des Menschen in den oft katastrophal endenden Erzählungen sucht Anker in seiner Kunst das Gute und Hoffnungsvolle im Menschen. Seine gefälligen, lebensbejahenden Motive mit den verständlichen Themen machen seine Kunst einem breiten Publikum leicht zugänglich. Bereits zu Lebzeiten populär, gilt Anker heute als Schweizer Nationalkünstler par excellence.
Ein Schlaganfall und eine daraus resultierende Lähmung zwingen ihn 1901 dazu, mit der linken Hand zu arbeiten. Er steigt auf die kräftemässig leichter zu bewältigende Aquarellmalerei um und produziert ab 1902 jährlich gegen 100 Aquarelle. Bei den meisten handelt es sich um Porträts kleineren Formats, die ihm ein Anlehnen der Hand erlauben.
Am 16. Juli 1910 stirbt der Maler in Ins. Noch im gleichen Jahr findet eine Gedächtnisausstellung in Neuchâtel statt. Im Jahr darauf veranstaltet auch das Berner Kunstmuseum eine Ausstellung und eine erste monographische Studie erscheint, verfasst von Ankers Jugendfreund Albrecht Rytz.
Regine Fluor-Bürgi
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Albert Anker und Paris. Zwischen Ideal und Wirklichkeit, hrsg. von Matthias Frehner, Therese Bhattacharya-Stettler und Marc Fehlmann, mit Beiträgen von Therese Bhattacharya-Stettler (et al.), Bern: Stämpfli Verlag AG; Bern: Kunstmuseum Bern, 2003
Martigny, Fondation Pierre Gianadda (Ausst.-Kat.), Albert Anker, hrsg. von Therese Bhattacharya-Stettler, mit Texten von Matthias Frehner (et al.), Martigny: Fondation Pierre Gianadda, 2003
Kuthy, Sandor/Bhattacharya-Stettler, Therese, Albert Anker 1831-1910. Werkkatalog der Gemälde und Ölstudien, Basel: Wiese Verlag; Bern: Kunstmuseum Bern, 1995
Lüthy, Hans Armin, Albert Anker. Aquarelle und Zeichnungen, mit Texten von Paul E. Müller, Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1989
Bellinzona, Civica Galleria d'Arte (Ausst.-Kat.), Albert Anker, 1831-1910, hrsg. von Matteo Bianchi und Maria Will, mit einer Einführung von Rossana Bossaglia, Bellinzona: Civica Galleria d'Arte, 1989
Kuthy, Sandor/Lüthy, Hans A., Albert Anker. Zwei Autoren über einen Maler, Zürich: Orell Füssli, 1980
Trubschachen, Kulturverein Trubschachen (Ausst.-Kat.), Bern und Solothurn. 9. Gemäldeausstellung Trubschachen, Trubschachen: Kulturverein Trubschachen, 1980
Huggler, Max, Albert Anker, 1831-1910. Der Maler und sein Dorf, Bern: Wyss, 1977
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Albert Anker, mit einem Vorwort von Hugo Wagner, Bern: Kunstmuseum Bern, 1960
Konolfingen (Ausst.-Kat.), Ausstellung Albert Anker, mit einem Text von Heinz Balmer, Konolfingen, 1954
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Die Hauptmeister der Berner Malerei 1500-1900. Jubiläumsausstellung. 600 Jahre im Ewigen Bund der Eidgenossenschaft 1353-1953, mit einem Vorwort von Max Huggler, Bern: Kunstmuseum Bern, 1953
Zbinden, Hans, Albert Anker. Leben, Persönlichkeit, Werk, Bern: Paul Haupt, 1952 (Berner Heimatbücher, Nr. 10/11)
Basel, Kunsthalle Basel (Ausst.-Kat.), Kunstwerke des 19. Jahrhunderts aus Basler Privatbesitz, Basel: Kunsthalle Basel, 1943
Mandach, Conrad von, 136 Gemälde und Zeichnungen von Albert Anker, Zürich: Fretz und Wasmuth, 1941
Basel, Kunsthalle Basel (Ausst.-Kat.), Albert Anker, Basel: Kunsthalle Basel, 1937