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Werkbeschrieb
Das Bild zeigt eine Frau bei der Handwäsche, sie hat den Kopf leicht zur Seite gewendet, um dem Knaben, der im Hintergrund am Boden kauert, ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser ist in ein Spiel versunken. Eine Decke ist am Boden ausgelegt, konzentriert blickt der Junge, den wir im Profil sehen, auf die Szenerie, die er vor sich auf der Decke ausgebreitet hat. Das Bild ist insgesamt in einer dunklen Tonigkeit gemalt, Kopf und Hände der Frau sind ins Licht gerückt, die Wand im Hintergrund ist beleuchtet. Der Standort des Betrachters ist frontal zur Frau, die links von der Bildmitte steht. Die Lichtquelle befindet sich ausserhalb des Raumes, eigentlich dort, wo der Maler gestanden haben müsste, als er die Szene erfasste. Mit seinen Augen blicken wir in diesen einfachen Raum hinein, der wie eine offene Kiste wirkt. Der Bildausschnitt ist aussergewöhnlich: Auf der linken Seite und am unteren Rand hat Hodler eine zusätzliche Bildgrenze in sein Gemälde integriert, so als sollte die Trennung zwischen dem Standort des Malers und dem Geschehen im Raum verdeutlicht werden. Dieser Kniff ist für Hodlers Figurendarstellungen der Frühzeit untypisch, durch ihn wird der Frau mit dem Kind ein eigener Raum zugewiesen, der eine Intimität gewährleistet und gleichzeitig eine Distanz zum Maler schafft. Diese Konstellation vermeidet Hodler in anderen Bildern explizit, wenn er den Betrachterstandpunkt in unmittelbarer Nähe zu den Dargestellten, nicht selten in leichter Aufsicht, wählt.
Auffällig sind die starken Helldunkelakzente und die vorherrschenden Brauntöne, die uns unmittelbar die niederländische Malerei in Erinnerung rufen, wie sie Hodler durch Barthélemy Menn kennengelernt hatte. Hodler war gegen Ende des Jahres 1871 nach Genf gekommen, um dort die Alpenbilder von Diday und Calame zu kopieren. Menn war 1872 dem Maler beim Kopieren im Musée Rath begegnet, nahm ihn als Freischüler auf und spornte ihn an, sich anhand von Rembrandt-Reproduktionen aus seinem „Foto-Museum von Meisterwerken der Malerei“ selbst in der Helldunkelmalerei zu üben. Diese Beschäftigung mit der seit der Renaissance praktizierten Methode, die Körperlichkeit der Figuren zu steigern, sehen wir im Gemälde „Die Wäscherin“ durchaus exemplarisch verwirklicht. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass die auf dem Bild angebrachte Datierung „1876“, die überdies später angebracht worden sein muss, angezweifelt wurde.
Erstmals erwähnt wird das Bild 1912 in einer Rezension von Johannes Widmer zur Ausstellung bernischer Künstler im Kursaal Interlaken: „Bedeutend ist Hodler auch hier vertreten, mag auch die halbe Welt sonst noch Werke von ihm sehen. Sein ältester Stil, der harmonisch braune Innenton und die ruhig angesehene Gebärde, erscheinen in einem Werk aus dem Jahre 1876, einer ‚Wäscherin’.“ 1923 zieht Ewald Bender die von Hodler erst später angebrachte Datierung „1876“ in Zweifel, und setzt sie in die Zeit „um 1874“ an, was dann ausser von Hans Mühlestein und Georg Schmidt, die den Künstler nicht belehren wollten, allgemein in der Literatur akzeptiert wurde. Dennoch bleiben Fragen, die die Datierung betreffen, offen. So schreibt Jura Brüschweiler – leider ohne die Quellen zu nennen – in seiner 1983 verfassten Chronologie, dass Hodler zwei Bilder gemalt habe, auf denen der junge Albert Trachsel dargestellt sei, und erwähnt in diesem Zusammenhang „Die Wäscherin“. In seinem ein Jahr später geschriebenen Text über Trachsel verweist er dann nur noch auf das Kleinformat „Knabe am Ofen“ (Öl auf Papier, auf Karton, auf Holz, 20 x 28.5 cm, Privatbesitz), das nach der zufälligen Begegnung Hodlers mit dem Nachbarsjungen Albert Trachsel im Winter 1872/73 entstanden war. Auch Trachsel selbst erwähnt in seinen autobiografischen Schriften nur das eine Bild, das Hodler von ihm malte. Falls die Datierung „um 1874“ für „Die Wäscherin“ angenommen wird, wäre Trachsel als zehnjähriger Knabe dargestellt. Der Knabe dürfte hier aber wohl kaum älter als acht Jahre sein. Die Zuschreibung auf Albert Trachsel kann mit der Datierung nicht in Einklang gebracht werden. Die Bestimmung der Dargestellten bleibt offen.
Mehr Kenntnis haben wir über die Provenienz des Bildes. 1917 ersucht Wilhelm Wartmann, Direktor des Kunsthauses Zürich, den damaligen Besitzer Hermann Wyder (1862–1932), Gemeindepräsident von Interlaken, um die Leihgabe von zwei Gemälden für die grosse Retrospektive im Kunsthaus Zürich und lässt in seinem Brief auch eine Empfehlung Hodlers einfliessen: „Hodler legt auf die Thunerseelandschaft, die sich bei Ihnen befinden soll, sehr grossen Wert und rühmt noch fast mehr die Wäscherin.“ Wann genau Wyder das Gemälde erwarb ist nicht bekannt. Wyder war jedoch als Kurdirektor auch Mitorganisator der „Ersten Internationalen Kunstausstellung“ im Kursaal Interlaken 1909, für die sich Hodler als Zugpferd einspannen liess. Als Eigentümer des Hotels „National“ und als Verwaltungsrat der Kursaal-Gesellschaft hatte er ein vitales Interesse an dieser Ausstellung. Neben der „Wäscherin“ besass Wyder das Gemälde „Ansicht des Thunersees von Breitlauenen“ von 1906 und sein eigenes, 1908 entstandenes Bildnis. Mit Hodler war er also schon länger bekannt. 1912 wurde „Die Wäscherin“ in Interlaken ausgestellt und im Katalog ohne Preisangabe vermerkt, was auf eine Leihgabe aus Privatbesitz hinweist. 1921 gehört das Bild jedoch gemäss dem Werkverzeichnis von Carl Albert Loosli bereits dem Berner Eisenhändler A. Wittlin. An die Auktion im Jahre 2008 gelangte das Bild schliesslich aus dem langjährigen Besitz einer Küsnachter Familie.
Christoph Lichtin
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Gottfried Keller-Stiftung, Bern
Eingangsjahr:2008
Ausstellungsgeschichte
Hodler. Amiet. Giacometti. Werke aus Innerschweizer Sammlungen, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 10.07.2010 - 10.10.2010
Hodler-Gedächtnis-Ausstellung, Bern, Kunstmuseum Bern, 20.08.1921 - 23.10.1921
Ferdinand Hodler-Gedächtnisausstellung, veranstaltet zur Ehrung des Meisters bei Anlass der zwanzigsten Wiederkehr seines Todestages, Bern, Kunstmuseum Bern, 19.05.1938 - 26.06.1938
Der frühe Hodler. Das Werk 1870–1890, Pfäffikon, Seedamm-Kulturzentrum, 11.04.1981 - 14.06.1981
Schweizer Meister. Sammlungsausstellung zum 75–Jahr–Jubiläum der Bernhard Eglin–Stiftung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 31.05.2008 - 20.10.2008
Ausstellung Ferdinand Hodler im Zürcher Kunsthaus, Zürich, Kunsthaus Zürich, 14.06.1917 - 05.08.1917
Ferd. Hodler. E. de Fiori. W. Lehmbruck. Herm. Haller. H. Hubacher. E. Morgenthaler, Bern, Kunsthalle Bern, 24.08.1919 - 21.09.1919
Ausstellung von Werken Bernischer Künstler, Interlaken, Kursaal, 14.07.1912 - 31.08.1912
Figuren und Porträts von Hans Holbein bis Ugo Rondinone aus der Sammlung, Kunstmuseum Luzern
Von früh bis spät. Bilder des Alltags aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, 04.03.2017 - 26.11.2017
Literatur
Lichtin, Christoph, "Ferdinand Hodler, die Wäscherin, um 1874", in: Bericht über die Tätigkeit der Eidgenössischen Kommission der Gottfried Keller-Stiftung 2005-2008, Zürich: Gottfried Keller-Stiftung, 2009, S. 38-42
Vogel, Maria, "Schweizer Meister seit 1772", in: Willisauer Bote, 6.6.2008, S. 5
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Schweizer Meister / Swiss Masters. Publikation zum 75-Jahr-Jubiläum der Bernhard Eglin-Stiftung / Publication for the 75-year Jubilee of the Bernhard Eglin Foundation, hrsg. von Peter Fischer und Christoph Lichtin, Luzern: Kunstmuseum Luzern; Bern: Benteli, 2008
Zürich, Schuler Auktionen (Auktions-Kat.), 108. Kunst- und Antiquitätenauktion, Zürich: Schuler Auktionen, 2008
Zürich, Schuler Auktionen (Auktions-Kat.), 107. Kunst- und Antiquitätenauktion, Zürich: Schuler Auktionen, 2007
Berlin, Nationalgalerie/Zürich, Kunsthaus Zürich/Paris, Musée du Petit Palais (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler, Katalog von Jura Brüschweiler und Guido Magnaguagno, mit Texten von Luc Boissonnas (et al.), Zürich: Kunsthaus Zürich, 1983
Pfäffikon, Seedamm-Kulturzentrum (Ausst.-Kat.), Der frühe Hodler. Das Werk 1870–1890, Katalog von Franz Zelger und Lukas Gloor, Bern: Benteli, 1981
Lüthy, Hans A., "Ferdinand Hodler als Realist", in: DU, Die Kunstzeitschrift, Nr. 6, 1981, S. 14-17
Mühlestein, Hans/Schmidt, Georg, Ferdinand Hodler 1853-1918. Sein Leben und sein Werk, Erlenbach-Zürich: Rentsch, 1942
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler-Gedächtnisausstellung, veranstaltet zur Ehrung des Meisters bei Anlass der zwanzigsten Wiederkehr seines Todestages, Bern: Kunstmuseum Bern, 1938
Bender, Ewald, Die Kunst Ferdinand Hodlers. Gesamtdarstellung. Band 1. Das Frühwerk bis 1895, Zürich: Rascher, 1923
Loosli, Carl Albert, "Generalkatalog", in: Carl Albert Loosli, Ferdinand Hodler. Leben, Werk und Nachlass, Band 4, Bern: Suter, 1921-1924, S. 52-161
Bern, Kunstmuseum Bern (Ausst.Kat.), Hodler-Gedächtnis-Ausstellung, Bern: Kunstmuseum Bern, 1921
Bern, Kunsthalle Bern (Ausst.-Kat.), Ferd. Hodler. E. de Fiori. W. Lehmbruck. Herm. Haller. H. Hubacher. E. Morgenthaler, Bern: Kunsthalle Bern, 1919
Zürich, Kunsthaus (Ausst.-Kat.), Ferdinand Hodler, mit einem Text von W. Wartmann, Zürich: Verlag der Zürcher Kunstgesellschaft, 1917.
Interlaken, Kursaal (Ausst.-Kat.), Ausstellung von Werken bernischer Künstler, Sektion Bern der Gesellschaft schweiz. Maler u. Bildhauer, Bern: Neukomm und Zimmermann, 1912
Widmer, Johannes, "Ausstellung bernischer Künstler im Kursaal zu Interlaken", in: Neue Zürcher Zeitung, 133. Jg., Nr. 227, Drittes Abendblatt, 16.8.1912, S. 1