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Werkbeschrieb
Die Darstellung, die dem niederländischen Künstler Pieter Coecke van Aelst (1502–1550) zugeschrieben wird, zeigt Christus mit seinen Jüngern in einem Boot, das in einer Bucht im stürmischen Wasser liegt. Christus wendet sich mit einem Segensgestus der Menschenmenge an Land zu, sein Blick verliert sich jedoch in der Leere. Die Menschen und die Apostel scheinen aufgebracht und beunruhigt zu sein, lebhafte Gebärden und verdrehte Körperhaltungen stehen im Gegensatz zu der ruhigen Ausstrahlung der Christus-Figur.
Obwohl der Bildtitel nur ein Thema nennt, verknüpft das Werk wahrscheinlich zwei biblische Ereignisse zu einem erzählerischen Ganzen: eine Predigt, die Christus gemäss Matthäus- und Markus-Evangelium auf dem Wasser in einem Boot hält einerseits und die in drei Evangelien vorkommende wundersame Bändigung eines Sturmes andererseits.
Im Gegensatz zu der berühmten „Bergpredigt“ aus dem Matthäus-Evangelium hat sich im christlichen Bild-Kanon für den lehrenden Christus auf dem Wasser kein entsprechend eigenständiges Motiv etabliert. Die ungewöhnlichen räumlichen Verhältnisse – die Schar verfolgt das Geschehen auf engstem Raum – sind auf die enorme Beliebtheit Jesu Christi zurückzuführen: Da die Zuhörerschaft so zahlreich erscheint, muss Christus auf ein Boot ausweichen. Die Apostel werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, hier weicht das Gemälde von der Textvorlage ab.
Die zweite einfliessende Textquelle ist die Schilderung von der Stillung des Sturmes, die je nach Evangelium vor (Mt) oder nach (Mk) der eben beschriebenen Predigt geschieht. Der biblische Text schildert, wie ein „grosser Windwirbel“ sich erhebt und Wellen in das Boot schlagen, während Christus ungetrübt schläft. Die Jünger, welche Christus begleiten, sind wach und verängstigt, sie wecken Christus und bitten ihn, etwas gegen das Unwetter zu unternehmen, was dieser – nach einer Aufforderung zu mehr Gottvertrauen – dann auch tut.
Die visuelle Verschränkung der beiden Ereignisse bedeuten eine narrative Verkürzung: Während sich das Volk an Land noch die Gleichnisse anhört, beschreiben die aufgewühlte See und die verängstigen Gesichter der Apostel bereits den Sturm (gemäss Matthäus-Evangelium auch in umgekehrter Reihenfolge denkbar).
Möglicherweise illustriert das Bild auch die „Heilung der zwei besessenen Gadarener“, eine Begebenheit, die sowohl im Matthäus- als auch im Markus-Evangelium unmittelbar auf die „Stillung des Sturmes“ folgt. Die Episode erzählt, wie Christus und seine Jünger in die Gegend der Gadarener kommen, wo ihnen zwei Besessene aus Höhlen entgegen laufen. Christus heilt die beiden, indem er die bösen Geister, welche die Unglücklichen dämonisieren, in eine Herde Schweine fahren lässt, woraufhin die Tiere einen Abhang hinunter in den See stürmen und ertrinken. Die Bewohner einer nahe gelegenen Stadt erfahren von der erfolgreichen Heilung und bitten Christus, ihr Gebiet zu verlassen. Bis auf Christus und die Jünger sind die Figuren auf dem Gemälde, dieser zweiten Auslegung folgend, nicht eindeutig zuzuordnen. Auch die schweinische Austreibung fehlt, was die Geschichte um ihren eigentlichen Höhepunkt bringt. Möglicherweise wurde die Tafel beschnitten, dies würde auch die ungewöhnlich anmutenden Blickrichtungen erklären.
Denise Frey
Provenienz
Kunstmuseum Luzern, Depositum der Stadt Luzern, 1956 von Ida Flersheim-Schlesinger, Luzern, zuhanden des Kunstmuseums
Eingangsjahr:1956
Provenienz/ Provenance Julius Drey, 1922
Julius Böhler, München 1926 nachgewiesen
Richard Ederheiemr, New York City
Ida Flersheim- Schlesinger, Luzern
Bibliografische Referenz/ Bibliographical References
Unmittelbare Quellen (Dokumente mit unmittelbarem Bezug zum Objekt)/ Primary Sources
Korrespondenz mit Marisa Bourgoin, Mitarbeiterin von Archives of American Art: The Richard Ederheimer Papers.
Korrespondenz mit Jame Moske vom Metropoitan Museum of Art New York
Niederländisches Institut für Kunstgschichte:
https://rkd.nl/explore/images/39424
https://rkd.nl/explore/images/39423
Christies Auktion 2004:
https://www.christies.com/lotfinder/Lot/jan-swart-van-groningen-groningen-c-1500-after-4230901-details.aspx
Weitere konsultierte Quellen/ Further sources
• Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Berlin
• Cultural Plunder by the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg: Database of Art Objects at the Jeu de Paume
• Database “Central Collecting Point München” Database “Kunstsammlung Hermann Göring”
• Getty Provenance Index, German Sales Catalogs
• Lootedart.com Lost Art
• Répertoire des Biens Spoliés
• Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke (“Reichsliste von 1938”)
Zusammenfassung/ Conclusion
Das Werk kam 1956 als Teil des Legats von Ida Flersheim-Schlesinger in den Besitz der Stadt Luzern. Gemäss dem «Verzeichnis der Legate von Frau Ida Flersheim Schlesinger» handelt es sich dabei um ein Werk von Pieter Coecke van Aelst. Unserer Recherche führte uns auf die Datenbank des Niederländischen Instituts für Kunstgeschichte. Darin liess sich das Werk mit einer fotografischen Abbildung aus dem Archiv Max Friedländers finden, wobei die Zuschreibung Pieter Coecke van Aelst abgesprochen wird. Die Datenbank konnte uns in der Provenienz des Gemäldes einen grossen Schritt weiterbringen. 1922 war es demnach bei Julius Drey, einem jüdischen Kunsthändler aus München, wonach es 1926 bei Julius Böhler in München war. Danach kam das Gemälde in den Besitz des New Yorker Kunstsammlers Richard Ederheimer (1878-1959), jedoch kennen wir zu diesem Besitzverhältnis keine Jahresangaben, ausser dass Ederheimer 1959 starb.
Unsere Recherche zu Ederheimer führte uns zunächst zum Metropolitan Museum in New York, das ebenfalls ein Werk aus Ederheimers Besitz in seiner Sammlung hat. Herr James Moske scheute keine Mühe, uns ausführlich Antwort zu geben und uns auf weitere Publikationen zur Sammlung Ederheimer, zu Pieter Coecke van Aelst und auf das Archiv of American Art zu verweisen, worin sich eine Dokumentensammlung zu Richard Ederheimer befindet. Die Publikationen brachten uns leider nicht weiter. Die Anfrage im Archiv of American Art ergab den Kontakt mit Frau Marisa Bourgoin, die sich einen groben Einblick in die Ederheimer Papers verschaffte, ohne einen Hinweis auf unser Werk zu finden. Für eine detaillierte Recherche fehlen dort jedoch die Kapazitäten, und ein Besuch im Archiv in New York würde unser Budget sprengen. In der Datenbank des RKD liess sich ein Werk finden, dass sich rein formal und inhaltlich eindeutig als das Pendant zu unserem Werk herausstellte. Es zeigte sich auch, dass besagtes Bild bis und mit Richard Ederheimer dieselbe Provenienz aufweist. Höchst wahrscheinlich handelt es sich bei diesen beiden Werken um Flügel eines Triptychons, wobei die beiden Flügel nach dem Besitz von Ederheimer voneinander separiert wurden. Das zweite Panel tauchte 2004 an der Auktion Christies auf, wo es als Werk von Jan Swart van Groningen versteigert wurde. Gemäss den Provenienzangaben von Christies wurde das Werk im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts vom Vater des Vorbesitzers erworben. Demnach hat Ederheimer das Bild und möglicherweise auch unseres seinen Nachkommen vermacht. Bis zum jetzigen Zeitpunkt konnte die Herkunft des Werkes nicht abgeschlossen werden und es stehen sowohl noch Antworten von den American Archives und vom Auktionshaus Christies aus.
Kategorie B
Ausstellungsgeschichte
PROJEKT SAMMLUNG. Meisterwerke des 16. bis 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 26.06.1994 - 11.09.1994
Passagen und Relikte. Vom Holbein–Wandbild bis zu Meglingers Brückenbildern. Werke des 16. und 17. Jahrhunderts aus der Sammlung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 06.03.2009 - 28.06.2009
Musikfestwochen Luzern. Sammlung Legat Frau J. Flersheim, Luzern, Wandelhalle des Kunsthauses
Kunstnachlass Ida Flersheim, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 02.12.1956 - 06.01.1957
Die Evangelien in der künstlerischen Darstellung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 24.02.2011 - 26.05.2011
Literatur
Luzern, Stadt Luzern/Luzern, Kanton Luzern (Slg.-Kat.), Durchsicht. Aus dem Kunstbesitz von Kanton und Stadt Luzern, Luzern: Stadt Luzern, Kanton Luzern, 1983
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungskatalog der Gemälde, mit Texten von Tina Grütter, Martin Kunz, Adolf Reinle, Beat Wyss und Franz Zelger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1983
Reinle, Adolf, Das Luzerner Kunstmuseum. Ein Führer durch die Sammlung, hrsg. vom Stadtarchiv Luzern und einer vom Stadtrat bestellten Kommission, Luzern: Kommissionsverlag Eugen Haag, 1958